Social Distortion / Hard Times And Nursery Rhymes
Hard Times And Nursery Rhymes Spielzeit: 46:00
Medium: CD
Label: Epitaph Records, 2011
Stil: Punk

Review vom 28.01.2011


Dennis Schwalb
Sieben Jahre sind wieder einmal vergangen, bis Mr. Mike Ness sein neues Meisterwerk der Öffentlichkeit präsentierte. Solche Wartezeiten sind für Anhänger der kalifornischen Punklegende keine Seltenheit; wer sich dafür entscheidet, Social Distortion ein großes Fach in seinem Plattenschrank und einen kleinen Platz in seinem Leben zu reservieren, sollte sich daran gewöhnen, dass sich der heute üblichen Industrie-Taktung von mindestens einem Album in zwei Jahren konsequent verweigert wird, und eine Platte erst dann erscheint, wenn Ness sie als ausgereift genug empfindet.
Bezahlt wird die Geduld dafür jedoch - auch das eine markante Abweichung vom gewohnten Industriestandard - wirklich jedes Mal mit einer Perle, die den geneigten Hörer eben auch ohne Probleme über einen solchen Zeitraum zufrieden stellen kann.
Die Entwicklung, die sich schon mit dem Vorgänger "Sex, Love & Rock'n'Roll" abzeichnete, wird hier konsequent fortgesetzt; die Platte ist noch mal ein gutes Stück ruhiger und nachdenklicher geworden, ohne dabei den Druck und die Tiefe zu verlieren, die Social Distortion mit dem legendären "White Light, White Heat, White Trash" gefunden hatten.
Man könnte sagen, dass Social Distortion im besten Sinne der Sprung aus den 1980er Jahren geglückt ist; sie haben den Balance-Akt geschafft, sich in 30 Jahren weiter zu entwickeln, moderner und frischer zu klingen, und trotzdem ihren unverkennbaren Stil und Charme zu behalten. So haben die Social Distortion von 2011 nichts mehr mit den Social Distortion von 1985 zu tun, und doch sind sie sich gleichzeitig immer treu geblieben.
1. "Road Zombie" - Zugegeben, das Instrumental plätschert irgendwie nichtssagend vor sich hin, und es dürfte einer der schwächsten Opener sein, den man auf irgend einem beliebigen Social Distortion-Album finden kann. Es erinnert mich an das legendäre "Intro" meiner letzten Band - was so ziemlich das schlechteste 'Lied' sein dürfte, an dem ich mich freiwillig beteiligt habe.
2. "California (Hustle and Flow)" - …dann aber geht es schlagartig in allerbester Ness'scher Tradition los mit diesem Bluesrock-Stück. Ich war nie ein großer Freund von diesen ganzen Blues-Geschichten, egal wie hart und rockig sie gespielt wurden. Aber dies hier… es geht von Beginn an ins Ohr und setzt sich dort fest, dass ich mir selbst beinahe unheimlich bin; der gefällige gospelesque Chor im Refrain tut sein Übriges.
3. "Gimme The Sweet And Lowdown" - Die auffälligen Wechsel zwischen bluesigen, eher düsteren Songs und hymnischen, pathetischen Melodieperlen waren schon immer ein Markenzeichen der Platten von Ness und seiner Mannschaft. So geht es auch nach dem eher druckvollen Einstieg mit dem dritten Track eher poppig und gefällig weiter. Der Refrain wirkt ein wenig lieblos zwischen den Strophen und geht eher unter; insgesamt aber ein melodischer Kracher, wie ich sie von dieser Band schon immer geliebt habe.
4. "Diamond In The Rough" - Der erste ruhigere Track des Albums; auch dieser Song ist von seinem wunderschönen Melodiebogen, vor allen Dingen im Refrain, geprägt - und ist ein heißer Kandidat für meine Top 5 der schönsten Punkrock-Liebeslieder aller Zeiten. Textlich hat sich Ness hier wieder einmal selbst übertroffen, und abgesehen davon, dass man das sowieso von keiner anderen Band so sehr behaupten kann, wie von Social Distortion, hört man diesem Lied an, dass es tatsächlich aus Ness heraus 'gewachsen' ist, und nicht wie ein Werkstück mit reiner Handwerkskunst zusammen gesetzt wurde.
5. "Machine Gun Blues" - Nach der kurzen Atempause steht der nächste Kracher dann auch schon wieder Gewehr bei Fuß. Trotz des Titels eine glücklicherweise eher unbluesige Nummer und eigentlich typisch für die rauere Seite von Social Distortion. Man stelle sich einen Mainstreamrocker von, beispielsweise, den Rolling Stones vor, würze diesen mit Punk-Attitüde und rotzigen Gitarren - heraus kommt ein Song wie dieser. Keine Hymne, aber eine Social Distortion-Platte ohne solche Einschläge wäre eben auch keine Social Distortion-Platte.
6. "Bakersfield" - ist das "Footsteps On My Ceiling" dieses Albums. Eine sehr ruhige Ballade, die eigentlich eine sehr schöne Grundstimmung hat. Trotzdem will mir dieser Song nicht wirklich gut gefallen. Er hat alles, was ich an dieser Band und speziell an Ness' Songwriting so liebe - und dennoch wirkt er für meinen Geschmack irgendwie lieblos. Dieser Track wird sein Publikum finden, daran gibt es keinen Zweifel. Für mich im Kontext dieses Albums aber ein kleiner Ausfall.
7. "Far Side Of Nowhere" - Nach sechs Minuten und 24 Sekunden hat sich das Album dann aber auch schon wieder gefangen - mit einer wunderbar melodischen Pophymne, die textlich alles richtig macht, was Punk'n'Roll-Bands jüngerer Zeit hin und wieder falsch machen. Highway- und 'Verschwende-deine-Zeit'-Romantik vom Feinsten, die man auf der Stelle der Liebsten ins Ohr singen möchte, während man sich im Cabrio ohne genaues Ziel über die Landstraße in Richtung Meer bewegt. Eine Decke am Strand, ein Bier in der Kühlbox und alle Regler nach rechts.
8. "Alone And Forsaken" - Ein weiteres Markenzeichen von Mike Ness war es schon immer, dass er seine eigenen Helden durch grandios gelungene Coverversionen ehrte - so auch hier geschehen mit der Country-Legende Hank Williams. Und wieder einmal hat es Ness geschafft, einen völlig stilfremden Song zu arrangieren, dass er klingt, als sei er schon immer ein Social Distortion-Song gewesen. Die Grundstimmung bleibt erhalten, reiht sich aber lückenlos in die raueren, gedrückteren Songs der Band ein und beugt einem allzu hymnischen Grundcharakter des Albums wirkungsvoll vor.
9. "Writing On The Wall" - Den Endspurt der Scheibe leitet die zweite balladeske Pause in der energiegeladenen Riege Ness'scher Meisterwerke ein. Auch hier gilt, was schon bei "Bakersfield" gesagt wurde; "Writing On The Wall" ist ein eigentlich wunderschönes Lied, das eine tolle Melodie und einen wirklich großen Text besitzt - und trotzdem will es bei mir nicht wirklich 'zünden'. Balladen konnte Mike Ness aus meiner Sicht in der Vergangenheit besser; viel besser.
10. "Can't Take It With You" - Mit einem rundum gelungenen Kracher nähert sich das Album dem Ende. Textlich eher typisch für den Mike Ness der 1990er, bricht dieser Song wieder mit der optimistischen Durchhalte-Attitüde dieses und des Vorgängeralbums. Trotz erneuten Einsatzes des Quasi-Gospelchors aus dem zweiten Track sucht man hier melodische Höhen und Tiefen vergeblich, und die Nummer hat eine völlig geradlinige Dynamik, die hervorragend zum Inhalt passt. Wenn rockig, dann so.
11. "Still Alive" - Den Abschluss dieser Platte macht die unvermeidbare Hymne, die gleichzeitig meine persönliche Perle in dieser Zusammenstellung ist. Textlich bewegt sich Ness komplett auf der Linie des Vorgängers "Sex, Love & Rock'n'Roll". Man nimmt ihm ab, dass er nach langer, trostloser Zeit seinen Frieden mit seinem Leben gemacht hat, und stolz darauf ist, sich niemals unterkriegen haben zu lassen. Mehr noch als bei allen anderen Stücken des Albums bilden hier Text und Musik eine Einheit, und auch nach dem inzwischen gefühlt hundertsten Mal Anhören verursacht dieser Track bei mir eine Gänsehaut. Ein würdiger Abschluss für ein grandioses Album, bei dessen letzten Tönen man sich kaum mehr eine Platte vorstellen kann, die man im Anschluss hören möchte.
Tracklist
01:Road Zombie
02:California (Hustle and Flow)
03:Gimme The Sweet And Lowdown
04:Diamond In The Rough
05:Machine Gun Blues
06:Bakersfield
07:Far Side Of Nowhere
08:Alone And Forsaken
09:Writing On The Wall
10:Can't Take It With You
11:Still Alive
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