Spock's Beard / Live
Live Spielzeit: 122:00
Medium: DVD
Label: InsideOut, 2008
Stil: Prog Rock

Review vom 24.06.2008


Boris Theobald
Nach dem Ausstieg von Neal Morse hatte ich einst befürchtet, der dicke Dampfer der Prog Rock-Szene würde führerlos in die weiten Meere des musikalischen Allerleis abdriften. Gleich auf der ersten Deutschland-Tour mit Nick D'Virgilio als neuem Fronter empfand ich die Band, trotz unbestreitbarer Klasse, als zu sehr spaßorientiert, etwas prätentiös ... die hatten irgendwie noch etwas zu überspielen. Spock's Bartstoppel?
Jahre später gibt es nun diese Live-DVD - und ich bin wirklich beeindruckt. Frontmann Nick hat über die Jahre sehr an sich gearbeitet. Der Gesang ist viel solider geworden - auch hohe Passagen und die Wechsel in die Kopfstimme meistert er fast problemlos und ohne Konditionsprobleme. Extrovertierte, fast alleinstehende Gesangspassagen wie zu Beginn von "Thoughts (Part 2)" oder die intensive Wiederaufnahme mitten in "Walking On The Wind" kommen einfach prachtvoll rüber! Auch übernimmt Nick viel mehr Gitarrenanteile als früher und haut verstärkt in die Tasten. Positiver Nebeneffekt: Da bleibt weniger Zeit zum Rumhampeln...
Zusatz-Drummer Jimmy Keegan - in der Band, seitdem Nick zum Multifunktions-Bart wurde - ist zu einem perfekt integrierten Teil der Band geworden und zeigt sein Können mit edlen Fills und sonstigen Schnörkeleien, die einem Live-Auftritt das besondere Etwas verpassen. Da Nick ja auch ein ganz Großer ist, setzt er sich des öfteren selbst an die Drums, zum Beispiel bei den Instrumentalintros so mancher Longtracks. Den absoluten Genesis-Trip geben sich die beiden Schlagzeuger dann beim technisch brillanten "Drum Duel", das sie auch für die Nicht-Drummer unter uns sehr unterhaltsam inszenieren.
Der vielstimmige Gesang der Band passt viel besser als zu Beginn der Neal-losen Zeit, selbst a cappella-Passagen kommen makellos und butterweich. Daneben klingen die ausgedehnten Instrumentalstrecken inklusive dem jammigen "Return To Whatever" von Alan Morses Soloalbum wie aus einem Guss - ganz großes Handwerk und ganz großes Gefühl! Überhaupt verspüre ich eine starke Harmonie und Spielfreude bei dieser Band - selbst Basser Dave Meros lehnt sich nicht wie früher mal gelangweilt gegen die Boxen.
Ja, und was ist denn das für eine Setlist! Auf dem Zettel stehen viele der vertracktesten, tiefgängigsten und ur-proggigsten Stücke von Alben wie "Day For Night", "V", "Beware Of Darkness" und "Kindness Of Strangers" - außerdem ein Medley aus den "The Light"-Wunderwerken "The Water" (wie herrlich, wenn dieses Klavierthema erklingt!) und "Go The Way You Go". Selbst aus der Post-Neal-Ära, eröffnet ausgerechnet der klassisch angehauchte Spock's Beard-Opener "On A Perfect Day" das Konzert. Oberflächliche Ausrutscher wie "Is This Love" haben es beinahe wie selbstverständlich nicht in die Auswahl geschafft - Mann, macht mich das froh...
Doch nicht alles, was anders ist, ist auch gleich schlechter. Die fast schwermetallischen Einlassungen im Instrumental "Skeletons At The Feast" sind nun wirklich nicht von schlechten Eltern. Und die Geradeaus-Rocker "Surfing Down The Avalanche", "Rearranged" und "They Know We Know" sind außergewöhnlich eingängig, aber auch alles andere als platt. Nicht nur das Live-Publikum, sogar ich habe mitgebrüllt »They know - they know we know!« - so ein Mitsinger zwischendurch kann Stimmungs-Wunder vollbringen und die Leute einfach mitreißen. Die beseelte Performance versetzt diesen Stücken den Ritterschlag!
Die Show wurde 2007 in einem sehr überschaubaren holländischen Club aufgenommen. Auf der Bühne ist es eng, Abstand zu den paar hundert Zuschauern gibt es keinen. Die Show findet in sehr intimer Atmosphäre statt. Die teils erfrischend unorthodoxen Einstellungen, auch mit Handkamera, transportieren das sehr schön. Die Schnitte sind teilweise recht flott, aber kurzweilig und schauen den Akteuren sehr detailliert auf die Finger. Der Klang ist sehr Mischpult-lastig, was ich zumindest bei der DVD-Version prima finde, denn da kommt jeder Ton zur Geltung - und für das Live-Feeling sorgt ja das Bild.
Nach zwei Stunden 'Bärte'-kucken fühle ich mich bestens unterhalten. Was sie spielen, ob alt ob neu: Da steckt Magie drin! Es ist schön zu spüren, dass es nicht 'die alten' und 'die neuen' Spock's Beard gibt, sondern einfach nur eine klasse Band, die einen einst schmerzlichen Verlust inzwischen formidabel kompensiert und sich nicht zuletzt dadurch weiterentwickelt hat, ohne zu vergessen wo ihre Wurzeln liegen. Die Jungs haben auch sichtbar Spaß mit dem, was sie da tun - Ryo turnt auf den Keyboards rum und Jimmy macht Stage-Diving... Nur schade, dass von dieser bierernsten Truppe kein Backstage- und Tourmaterial auf die DVD gepackt wurde. Ansonsten: Daumen nach oben!
Line-up:
Nick D'Virgilio (drums, vocals, guitar, keyboards)
Alan Morse (guitar, vocals)
Dave Meros (bass, keyboards, vocals)
Ryo Okumoto (keyboards, vocals)
Jimmy Keegan (drums, vocals)
Tracklist
01:Intro
02:On A Perfect Day
03:In The Mouth Of Madness
04:Crack The Big Sky
05:The Slow Crash Landing Man
06:Return To Whatever
07:Surfing Down The Avalanche
08:Thoughts (Part 2)
09:Drum Duel
10:Skeletons At The Feast
11:Walking On The Wind
12:Hereafter (Ryo Solo)

As Far As The Mind Can See:
13:Dreaming In The Age Of Answers
14:Here's A Man
15:They Know We Know
16:Stream Of Unconsciousness
17:Rearranged

Medley:
18:The Water
19:Go The Way You Go
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