Antonia Vai / Lovers And Prophets
Lovers And Prophets Spielzeit: 50:03
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2012
Stil: Singer/Songwriter

Review vom 31.01.2011


Boris Theobald
Es ist wieder eine dieser kleinen Geschichten von großen Stimmen in der ganz großen Welt des World Wide Web. Die Singer/Songwriterin Antonia Vai, Mitte 20, aus Schweden ließ ihre Lieder im Netz kursieren. Offensichtlich kamen die Songs und ihre Schöpferin gut an, denn das Ergebnis ist ein digital vertriebenes Debütalbum. Nein, gleich zwei - zur gleichen Zeit! "Dirt From When The Earth Was Flat" enthält ausschließlich Songs, die Antonia Vai komplett selbst eingespielt hat. Und auch dieses hier, "Lovers And Prophets", entstand größtenteils ohne fremde Hilfe. Nur zwei Songs sind Studioproduktionen. Den Rest sang und spielte Antonia Vai selbst ein, in Hotelzimmern unterwegs, daheim im Schlafzimmer.
Antonia Vais Songs sind intim - allesamt akustische Schönheiten, aber längst nicht alles zurückgelehnte, gedankenversunkene Beruhigungsmittel. Vai zeigt Temperament, mit einer aufgedrehten, aber ungeheuer lässigen Folk-Nummer wie "Waiting For War" - nur mit Akustischer - oder gar mit einem Touch von Flamenco bei "Don't Let The Bedbugs Bite" - mit Gitarre und Percussion. Dieser Song muss in einer glühend heißen mediterranen Nacht auf einer Veranda entstanden sein. In der Video-Version ist zusätzlich ein Akkordeon zu hören. Es ist eines dieser Stücke, die mehr sind als nur das, was man hört. Der Song kribbelt und tanzt sich ins Gedächtnis.
Antonia Vai singt von falschem Glück und echtem Schmerz, verflüchtigten Hoffnungen und sehr präsenten Erinnerungen. Einige - zumindest für den Hörer - anonyme Protagonisten bekommen 'ihren Song' weg, und eine gehörige Portion offensives Selbstbewusstsein gleich mit. Antonia Vai holt musikalisch zum großen Gegenangriff aus, singt sich mit viel Fantasie in die Alpträume von Verflossenen und wird gar zum Ungeziefer in deren Bett, das sich nachts in Monster verwandelt, um die Erinnerungen wach zu halten ("Don't Let the Bedbugs Bite"). Sie verteilt Denkzettel an Kraft- ("Russian Roulette") und Zeitverschwender ("Time Killer"). Es tut ihr hörbar gut.
Doch hin und wieder geht Antonia Vai auch in die emotionale Defensive. Auch solch märchenhaft-kristallenen Gedankengänge wie "Moth To The Flame" mit Piano und Gitarre gehören zum großen emotionalen Farbspektrum, das sie mit ihrer wirklich erstaunlich eindringlichen Stimme bedient. Sie klingt verletzlich und zerbrechlich, und im nächsten Moment plötzlich trotzig und gar anrüchig. Experimentierfreudig wie Dalbello im halluzinativ-surrealen, indisch eingefärbten "Russian Roulette". Wie Fiona Apple im beschwipsten, zunächst cool groovenden und dann aufwühlend impulsiven "Confessions Of Berlin":
»Confessions Of Berlin is one of those really literal songs. I wrote it after a never ending summer night I had there with some friends two years ago. A really memorable night that got out of hand and ended up in chaos. So, every word in the song is true. Luckily everything went back to normal the day after. And sometimes we listen to the song and go 'Oh, wow, what a messed up night we had' and laugh at our crazy memories.«
Ein Song, eine Geschichte - voilà: ein Highlight! "Confessions Of Berlin" wirkt so unscheinbar und wächst so wunderbar, wird unerwartet intensiv und klingt dann ab, wie diese 'endlos lange Sommernacht' in Berlin. Eine weitere Erinnerung ist verarbeitet und zu den musikalischen Akten gelegt. Antonia Vai macht daraus eine große Kunst und sich selbst hier und auch sonst wenig aus Genres und Stilrichtungen. Sie pendelt sich irgendwo ein zwischen Folk und Soul, Chanson und Jazz, Rock und Pop. Ihre Stimme hat all das und klingt dabei so genial intensiv und gleichzeitig nach lässigem Understatement. Antonia Vai ist ein Erlebnis.
Die beiden Studioproduktionen auf dem Album stechen zwar leicht heraus, jedoch wesentlich weniger, als man erwarten würde. "Macho Woman" geht mit seinem trotzig-agilen, fingerschnipsenden Bartheken-Jazz ein wenig in Richtung Caro Emerald und ist einer der Momente, in denen Antonias Heißblütigkeit ungebremst an die Oberfläche dringt. Doch der Gegenentwurf, die zurückhaltende Variante voller kleiner und großer Spannungen, ist sogar noch anziehender: "Down The Rabbit Hole", der Rausschmeißer, ein 'echter' Rock-Song mit ganzer Band, hinterlässt einen großen Eindruck. Sehr langsam, aber sehr intensiv - rau dahingehaucht und mit diesem mysteriösen Tiefgang ... Wem ich diesen Song abkaufen würde? Antonia Vai und dem Solokünstler
Robert Plant.
Es ist unterm Strich erstaunlich, wie wenig sich die beiden Studiosongs vom Rest abheben, den Antonia Vai komplett selbst aufgenommen hat. Der größte Unterschied ist die umfangreichere Instrumentierung. Aber die Stimme, die Stimmung und die Schwingungen Antonia Vais sind derart prägnant, dass sie über allem stehen. Diese Frau ist eine beachtliche Newcomerin, die definitiv herausragt und viel zu sagen hat. Und so, wie sie es sagt, muss man ihr zuhören. Auch wenn es manchmal, gemessen in Worten, gar nicht viel zu sagen gibt - sie weiß halt, wie, und es sitzt. Wie im "The Smallest Song In The World":
»And he told me
That he hopes
He will not be
One of those
Hopeless guys in
One of my songs
Said; Easy, you won't be
If you don't do me wrong

Well, here it goes
I wrote you a song«
Line-up:
Antonia Vai (vocals on all tracks, all instruments & effects - #1, 3-12))
Felix Gröndal (guitar - #2,13)
Bobo Steneby (keyboard - #2,13)
Labros Liaropoulos (bass - #2,13)
Antoni Yammin (double bass - #2,13)
Pablo Martinez (percussion - #2,13)
Zebastian Swartz (guitar - #13)
Tracklist
01:Don't Let The Bedbugs Bite (4:12)
02:Macho Woman (3:38)
03:Confessions Of Berlin (3:43)
04:Moth To The Flame (5:07)
05:Rainy June (3:24)
06:The Smallest Song In The World (1:16)
07:Russian Roulette (3:45)
08:Time Killer (4:34)
09:Waiting For War (2:31)
10:Snow White (4:57)
11:In The Early Hours (3:40)
12:Storms (3:53)
13:Down The Rabbit Hole (5:21)
Externe Links: