Midge Ure / Fragile
Fragile Spielzeit: 53:26
Medium: CD
Label: Hypertension/Souldfood, 2014
Stil: Synthie Pop, Electro

Review vom 31.07.2014


René Francke
Über den Musiker Midge Ure ist schon so viel geschrieben worden, dass es müßig wäre, wenn ich hier jetzt auch noch einmal den umfangreichen Katalog seiner Stationen und Verdienste auflisten würde. Wem dieser Schotte weniger oder gar unbekannt sein sollte, dem lege ich als Einstieg die Musik der New Wave-Band Ultravox wärmstens ans Herz. Doch auch als Solokünstler hat der Mitbegründer des "Live Aid"-Projektes einige musikalische Meilensteine geschaffen; zu den bekanntesten zählen sicherlich "If I Was" und "Breathe". Just in diesem Sommer hat Midge Ure nach mehr als zehn Jahren ein neues Studioalbum auf den Markt gebracht. Es trägt den Namen "Fragile".
In dieser langen Zeit ist er aber alles andere als untätig gewesen: Neben der Veröffentlichung verschiedener Live-Alben und seinem Herzensprojekt "10" von 2008, einem Album mit Coversongs, die Ure musikalisch geprägt haben, feierten im gleichen Jahr Ultravox ihr Comeback und brachten 2012 das Album "Brilliant" auf den Weg.
Und nun diese neue Soloscheibe, "Fragile". Ihr Titel ist Programm. Bis auf "Become" sind alle Lieder dieser CD geprägt von weitgehend bedächtigen Tönen, seinem unverwechselbaren ruhigen, feinfühligen, vornehmlich unaufdringlichen Gesang und tiefer Melancholie. Midge Ure vereint hierauf geschickt die elektronischen Grundelemente und sphärischen Klänge, wie man sie auch von Ultravox kennt, mit neuen, zeitgemäßen Ideen, und man merkt jedem einzelnen Song auf "Fragile" an, dass der Mann sich ein sehr selten gewordenes Gut bei der Entstehung und Ausarbeitung seiner Musik genommen hat: Zeit. »Fragile has been a long time in the making, in fact a small lifetime but that isn't due to lack of ideas, nor the desire to create something new. It just worked out that way« schreibt Midge im Vorwort seiner neuen CD.
Dadurch ist ihm ein Album mit Tiefgang gelungen, das so viel Ruhe und Schwerelosigkeit ausstrahlt, welche sich vielleicht noch nicht beim ersten Hörgang entfalten, aber mit fortwährenden Hören fühlt sich "Fragile" wie das Eintauchen in einen unablässig expandierenden Klangozean an. Nur vorweg: Wer schnelle Radiohits hierin sucht, wird kaum fündig werden. Midge Ure muss ja auch niemandem mehr etwas beweisen, keine leichtzugänglichen Ohrwürmer schreiben, um schnell und groß Kasse zu machen. Und genau das macht diese Platte so sympathisch. Denn während da draußen ein Sturm voller immer platter werdender One-Hit-Wonder-Körnchen grenzenloser Ideenlosigkeit tobt, konzentriert sich Midge auf den Kern der Musik: »That indefinable something which makes you listen to a piece of music over and over again. When you can't feel satisfied until you hear that guitar melody or that vocal phrase just one more time« Wie recht er hat.
Unhektisch und gefühlvoll spannt Midge Ure in Stücken wie "Let It Rise", "For All You Know" und dem Titelsong "Fragile" einen endlos scheinenden Klangkosmos, durch den der Zuhörer traumwandlerisch schwebt. Stets steht die Musik im Vordergrund und der Gesang ordnet sich dieser geschmeidig unter, ohne unterzugehen. So tröpfelt das Klavier bei "I Survived" wie ein farbenprächtiger Sommerregen in ein seichtes Meer aus Synthie-Klängen, während sich der Künstler an seinem zweiten Frühling erfreut. Beim anschließenden, schreiender Elegie durchströmten "Are We Connected" hinterfragt Ure spitzfindig das Paradoxon unserer Zeit: Sind wir in unserer vernetzten Welt wirklich miteinander verbunden? Oder ist nicht eher das Gegenteil eingetreten, eine triste Welt voller isolierter Individuen, Internetjunkies, die sich nichts sehnlicher wünschen als eine echte, natürliche Verbindung zur eigenen Art?
"Become" fällt mit seinen pumpenden Beats und starken Discotanz-Reminiszenzen etwas aus dem Rahmen dieses Konzeptalbums, weswegen dieses Stück auch die mit Abstand kürzeste Halbwertzeit haben wird. Bei "Star Crossed" packt Midge Ure dann die Gitarre aus dem Koffer und verzaubert mit akzentuierten cleanen Akkorden auf flächendeckenden Synthiestrukturen. Die Krönung dieser Scheibe stellt in meinen Augen und Ohren das Instrumentalstück "Wire And Wood" dar: Einfache und doch allumfassende Akustikgitarrenmelodien eröffnen und durchziehen diese grandiose Ode ans Leben, welches gleichermaßen nach Aufbruch und Niedergang tönt. Sieben Minuten lang vermutet man, einem Orchester zu lauschen – doch in Wirklichkeit ist dies das Werk eines Einzelnen.
Prominente Unterstützung bekam Midge beim Lied "Dark, Dark Night", das von Mobys Handschrift und Ures typischem, diesmal verzerrten Saitenspiel in der Bridge lebt. Erinnert mich mit seiner bedächtigen Gleichförmigkeit an Depeche Modes "Only When I Lose Myself" und endet mit einem motorähnlichen Geratter wie bei "Stripped".
Der Grundmelodie des zweiten Instrumentalstückes "Bridges" wohnt so viel aufblühendem Moll inne, dass sich meine Tränendrüsen schleusenartig öffnen wollen. Und der wahrhaft zerbrechliche Titeltrack am Schluss bietet an Synthie-, Gitarren- und Gesangsklängen noch einmal die gesamte Kunstpalette der vorangegangen neun Songs.
Der Zugang zu "Fragile" mag nicht leicht fallen, doch er ist keineswegs schwerfällig. "Fragile" ist geprägt von Melancholie, doch fern von überbordender Schwermut. Geduld lautet die Devise für ein derartiges Album, das in unserer rasenden Zeit wie eine Oase, wie eine traumhafte Insel wirkt. Midge Ure hat wieder mal ein fantastisches Synthie Pop-Album mit Seele und Substanz geschaffen.
Line-up:
Midge Ure (vocals, synths, guitars)

Additional musicians:
Moby (keyboards, programming - #7)
Russell Field (drum samples - #1)

Tracklist
01:I Survived
02:Are We Connected
03:Let It Rise
04:Become
05:Star Crossed
06:Wire And Wood
07:Dark, Dark Night
08:For All You Know
09:Bridges
10:Fragile
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