Nils Wogram's Lush / Pretty Good News
Pretty Good News Spielzeit: 61:01
Medium: CD
Label: Unit Records, 2009
Stil: Jazz Rock/Funk/Fusion

Review vom 02.05.2009


Wolfgang Giese
Nils Wogram, geboren am 7.11.1972 in Braunschweig, wurde 1988 Mitglied des Jugendjazzorchesters Niedersachsen. 1990 berief ihn Peter Herbolzheimer in das Bundesjugendjazzorchester unter seiner Leitung.
1994 erschien Wograms erste Platte, "New York Conversations". Nach weiteren Veröffentlichungen auf den Labeln Enja, Cimp, Konnex usw. hier nun seine 17.Veröffentlichung, auf Unit Records.
Musikalisch 'tanzt er auf vielen Hochzeiten', ist also bekannt dafür, dass er nicht in eine Schublade passt; ob es Duo-Aufnahmen mit dem Pianisten Simon Nabatov, im Quartett Root 70, beim Nostalgia Trio oder die nun wieder etwas andere Musik auf dieser Platte sind.
Auf "Pretty Good News" öffnet er die Tür weit für groovende Klänge mit Pop Musik-Charakter. Es gibt Jazz Rock/Fusion wie früher, aber es scheint, als wolle er sich auch in Lounge-Kreise einschmeicheln.
Was mir spontan nach dem ersten Hördurchlauf auffiel, war, dass mir laufend Erinnerungen durch den Kopf schossen - vieles habe ich irgendwo bereits gehört, viele Assoziationen drängen sich auf, doch in diesem Mix, den der Posaunist hier abliefert, scheint es etwas Neues zu sein.
Geholfen hat ihm eine musikalisch hochkarätige schweizer Crew. Die Musik stammt von Wogram und die Tatsache, dass eine Sängerin dabei ist, bewirkt, dass es auch Texte gibt, die von derselben, nämlich Simone Vollenweider, verfasst wurden. Und, unabhängig davon, wie jeder die stimmlichen Qualitäten der Dame beurteilen mag, sind es gerade die Vokals, die für mich den Fluss der Musik stark hindern.
Hat Wogram in seinem Nostalgia Trio den Rückgriff auf die Vergangenheit vorgenommen, so geschieht dieses auch hier wieder. Es ist zunächst die Fusion-Bewegung der 70er Jahre, die mir dazu einfällt: Musik, wie sie vor allem der Keyboarder George Duke zu jener Zeit einspielte - das ist die für mich stärkste Assoziation.
In der Pressemitteilung von u.k.promotion wird wie folgt ausgeführt:
»Lush - so heißt das neue Projekt des Posaunisten Nils Wogram, der als einer der wichtigsten Vertreter der jüngeren europäischen Jazzszene gilt. Das Ensemble legt seinen Schwerpunkt auf den warmen Zusammenklang des Gesangs mit akustischen und analog-elektrischen Instrumenten.«
Und genau das ist es, was ich hier vermisse, den »warmen Zusammenklang«.
Bei den Gesangsvorträgen fallen mir gleich vier verschiedene Dinge auf: Simone Vollenweider hat unzweifelhaft eine interessante Stimme, die ich gern in Zusammenhang mit Liedern aus dem Singer/Songwriter-Folk-Milieu hören möchte... hier sind es vier Richtungen, die ich vernommen habe und die mir von anderen Künstlern in ihrer Ausgestaltung besser gefallen.
Das sind, und das gilt natürlich für die Ausgestaltung der Musik generell, Anklänge an:
Urszula Dudziak, bei der ich die grenzenlose Experimentierfreudigkeit in Verbindung mit dem Einsatz elektronischer Effekte liebe.
Karin Krog mit dem kühl-nordischen Expressionismus im Ausdruck, in Verbindung mit starker Intellektualität.
Flora Purim, bei der lateinamerikanische Leichtigkeit mit den Melodien fließend in den Gesamtkontext der Musik eingebunden sind.
Robert Wyatt, der Mann im Bunde der Damen, der mit recht hoher Stimme singt, ist jemand, der in seinem Ausdruck ein hohes Maß an faszinierender Skurrilität zeigt.
Doch nun zu den Titeln:
"Pretty Good News": Ein flott groovender Song, mit zwar angezogenem, aber nicht beunruhigendem Ausdruck. Sogar 'Lounger' dürften damit einigermaßen, ohne einen Nervenschaden davonzutragen, klar kommen. Witzig, doch ich finde die kleinen Vokalbreaks mit 'Ansagen' etwas 'überbemüht'. Vielleicht doch eine kleine Anbiederung an eher unangestrengte allgemeine Hörgewohnheiten - das wäre auch etwas 'supermarkttauglich'. Gleichwohl ist das kein von mir kritisierter Qualitätsmangel, es fällt nur auf. Handwerklich ist das OK!
Denn mit seinem luftigen Groove, brillant getragen von den Bassläufen Zwiauers, heisst uns Wogram willkommen: »Welcome To CNN«, eine kurze Nachricht wird verlesen, dann einige elektronische Spielereien, bis Vollenweider einsetzt, »Good Morning How Are You?« Das ist dann der Moment, wo Flora Purim auftauchen und das Lied in luftige Höhen schaukeln sollte. Aber so bleibt es, trotz aller raffinierter Einschübe, sehr am Boden verhaftet, also bodenständig.
Klasse dann allerdings das Solo auf dem E-Piano, einer der Momente, wo Keyboard, Bass und Schlagzeug als Trio einfach begeisternd und packend agieren. Das ist für mich die eigentliche Essenz des Openers. Die ganzen unnötigen Spielereien sind nicht unbedingt schmückendes Beiwerk, auch die 'Freephase' nach dem Pianosolo ist mehr nervend als erbauend, das ist zu losgelöst vom ganzen Stück und nicht sonderlich integriert, dazu ist es zudem zu oberflächlich.
Und ich bin froh, dass es nicht so weiter geht, denn "Into The Warmth" fordert doch schon etwas mehr... Track zwei hat eine romantische Pianoeinleitung, doch leider ist es auch wieder der Gesang, der die Erwartung zunichte macht: Bemüht kommt hier das zum Vorschein, was mich an Robert Wyatt erinnert: Das ist diese Stimmung, die plötzlich eintritt, Carla Bley, Michael Mantler, "Escalator Over The Hill" lassen grüssen, werden aber nur annähernd in deren Intensität berührt.
Dann aber beginnt das Stück endlich, indem uns Nils mit seinem Posauneneinsatz das Zeichen gibt und die Musik locker losswingt, wieder mit Reminiszenzen an den alten 'ECM-Sound' - Chick Corea und "Return To Forever", aber leider auch hier keine Flora Purim... ansonsten sehr beschwingt, ein tolles Solo von Wogram, mit Herzblut vorgetragen und die Begleitmusiker sind voll dabei. Die Band ist hier 'zusammen', die Hirnströme scheinen gleich zu fließen, auch der kleine Break, der zum Pianosolo führt, ist klasse. In dieser Phase ist das einer der Höhepunkte der Platte, faszinierend, wie der Mittelteil von "Into The Warmth" gestaltet ist! Das hat Weltklasse!
Und in dieser schnelleren Phase des Stückes passt der Gesang in seiner Eigenart auch besser und lässt das Stück auch angenehm ausklingen
"Hung-Re-You": Hier ist der erwähnte 'George Duke-Effekt', hier ist es der Gesang, der mir nicht eins ist mit der Musik. Es fehlt die Bildung einer 'geschmeidigen Farce', die Zutaten haben sich nicht vollendet vermengt.
Und: Track drei rockt! Oder besser - jazzrockt! Aber diese bemühten Rapeinlage-Versuche mag ich einfach nicht. Sorry, aber für mich passt das hier nicht her, es sei denn, man hätte hier eine Queen Latifah eingesetzt! Wogram setzt Akzente mit einem sehr kraftvollen Solo, wobei mir auffällt, dass er schon einen eigenen Stil entwickelt hat und gar nicht versucht, zu kopieren, obwohl man unweigerlich nicht an Albert Mangelsdorff vorbeikommt. Dieses Stück liebäugelt mir jedoch zu sehr mit unnötiger technischer Spielerei.
"I Will Be Fine" ist dann Vollenweiders schönster Auftritt, mit einem Beginn, der an die Prog Rock-Band Renaissance zu Zeiten Annie Haslams erinnert, hier ist die gute Simone für mich am besten aufgehoben...
Das Stück hat einen gewissen Jam-Charakter, entwickelt sich langsam aber stetig und gewinnt an Fahrt und Energie, bis es die Anfangssequenz wieder aufnimmt. Das vielleicht abwechslungsreichste Stück.
"Unveiled Depths" - kurz auf den Punkt gebracht: Es nervt mich, es stört den harmonischen Fluss der Platte, zu viel der Elektronik. Daher schlägt es für mich völlig aus der Art. Es wird mir zuviel herumgespielt, das hat keinen Unterhaltungswert und ist vielleicht gut als Soundtrack, nicht mehr. Und wenn dann noch der Versuch unternommen wird, dem Stück Hard Rock-Elemente einzuimpfen, ist für mich Schluss, da muss ich weiterskippen.
Diese ansonsten sparsamer eingesetzte Elektronik ist es übrigens auch, die mich in ihrer Sparsamkeit, und besonders im Umgang mit der Stimme Vollenweiders, auch nicht überzeugt, siehe hierzu meine Ausführungen zu Urszula Dudziak.
Genau so sparsam gehen sie weiter, auf "Thinking Of You", mit repetativen Aussagen wie »What Can I Say The Day Is Grey«, bis sich dann aber eine lockere Leichtigkeit einschleicht, um einem rockenden Gerüst Platz zu machen, an dem sich die Solisten entlang hangeln. Ein Stück mit sehr viel Pop-Charakter. Interessant, aber nicht der Überflieger für mich, weil letztlich etwas 'dünnblütig'.
Colin Vallon ist es, der mich als Solist wirklich packen kann, er spielt so herrlich perlende Läufe, es ist eine echte Zuhörfreude - mit dem Rhythmusgespann hebt er oft so wunderbar ab, dass man sich gern eine Trioveröffentlichung der Drei wünscht. Aber auch in Verbindung mit Wogram entstehen mitunter magische Momente, die die Platte letztlich zu einigen Höhepunkten verhilft, die alle Zweifel mindestens wett machen.
"Lush Life", so heißt eine bekannte Komposition von Billy Strayhorn. 'Üppiges Leben' wohl in etwa; teilweise wird die Musik dem Begriff ihres Bandnamens durchaus gerecht. Objektiv gesehen, eine prickelnde Angelegenheit, subjektiv hätte ich bitteschön eine Ausgabe ohne Gesang und dazu eine Extra Bonus-CD von Simone Vollenweider mit einer Singer/Songwriter-Auswahl....
So schließe ich mit einem weiteren Auszug aus dem Pressetext:
»Lush ist an alle Hörer gerichtet, die sich gern auf Abenteuer einlassen, ohne immer gleich volles Risiko zu fahren.«
Nun gut.
Line-up:
Nils Wogram (trombone, melodica)
Simone Vollenweider (vocals)
Colin Vallon (piano, electric piano)
Wolfgang Zwiauer (bass)
Kaspar Rast (drums)
Tilman Ehrhorn (electronics)
Tracklist
01:Pretty Good News (9:10)
02:Into The Warmth (10:38)
03:Hung-Re-You (7:30)
04:I Will Be Fine (12:42)
05:Unveiled Depths (9:37)
06:Thinking Of You (11:21)
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