Neil Young With Crazy Horse / Americana
Americana Spielzeit: 51:48
Medium: CD
Label: Reprise Records (Warner), 2012
Stil: Folk Rock

Review vom 28.06.2012


Holger Ott
Neil Young hat mit "Americana" den großen Wurf gemacht. So viel sei schon einmal vorweg gesagt. Dieser Mann hat stets das Talent, nach langer Abstinenz plötzlich unverhofft und aus dem Stillen heraus für Aufsehen zu sorgen. Seit einigen Wochen gestattet er den Fans Downloads einzelner Songs seiner neuen CD vor dem offiziellen VÖ-Termin.
Natürlich ist jeder neugierig was Neil, dieses Mal in Begleitung seiner Band Crazy Horse, auf die Beine gestellt hat. Seit sechs Jahren arbeitet er wieder mit der Truppe zusammen, und mal ganz ehrlich: Ob es Crazy Horse, oder andere Begleitmusiker sind, ist eigentlich völlig egal. Neil Young dominiert sowieso immer das Geschehen und ragt mit seiner unverkennbaren Gitarre und seiner Stimme aus der Menge hervor. Selbstverständlich erwartet jeder Hörer ein Album mit neuen Songs aus der Feder des Folk Rock-Barden, aber dieses Mal hat er etwas geleistet, mit dem garantiert niemand gerechnet hat. Neil entführt seine Fans auf eine lange Reise durch die Vergangenheit der Vereinigten Staaten, oder besser gesagt, in die Zeit, als die Staaten begannen sich zu vereinigen. Die Bebilderung des CD-Covers verläuft über endlose Planwagen-Tracks zu den ersten Siedlungen, die von den Feuerrössern besucht werden, bis zu den Anfängen des Automobils. Und über allem reitet der große Häuptling Crazy Horse. Die Covergestaltung ist dermaßen interessant, dass ich lange Zeit damit beschäftigt bin, mir die Details anzusehen. Das dazugehörige Booklet ist in einem völlig neuen Format gestaltet. Wie ein Miniaturbuch halte ich es in der Hand, und habe leider große Schwierigkeiten, die extrem kleine Schrift auf dem dunkelbraunen Untergrund zu entziffern.
Die Auswahl der Songs wird Neil Young mit Sicherheit große Schwierigkeiten bereitet haben. Gibt es doch in der Geschichte der USA reichlich Material, das vertont wurde und zu Gassenhauern oder zu gewaltigen Hymnen wurde. Einer dieser Hymnen hat sich der Meister angenommen und wer den Titel "God Save The Queen" liest, wird sich erst einmal fragen, was die Nationalhymne des Britischen Königreiches mit den USA zu tun hat. Als kleine Geschichtskunde sei erwähnt, dass "God Save The Queen" bis 1931 als inoffizielle Hymne der USA galt. Erst dann wurde sie von "The Star Spangled Banner" abgelöst, das bereits seit 1889 von der US-Navy benutzt wurde. "God Save The Queen" ist das letzte Stück auf "Americana", und mit Verlaub, wie ich finde, der einzige schlechte Song auf der CD. Die anderen zehn Tracks sind soweit verfremdet, dass man oft erst am Refrain erkennt, worum es sich handelt. Young hat wieder einmal ganze Arbeit geleistet und den Songs seinen unverkennbaren Stempel aufgedrückt. Zum Teil tobt er sich dabei ordentlich aus, und schiebt die Songs, wie bei "Tom Dula" bis zu acht Minuten vor sich her. Keine Sorge, es wird nicht langweilig. Im Gegenteil, Young macht die Stücke so spannend, dass der Hörer immer mehr möchte und förmlich danach giert zu erleben, was er aus der nächsten Nummer gemacht hat.
Den Anfang macht dabei "Oh Susanna", ein Country-Meisterwerk, das auch mal als Shanty hergehalten hat. Young verwandelt den Song in etwas völlig Neues. Etwas chaotisch ist der Beginn, aber dann findet die Band in einen Rhythmus, bei dem wirklich jeder mit muss. ('My Darling') "Clementine" kennen Jung und Alt aus der Schule. Ich kenne niemanden, der diesen Song nicht wenigstens einmal singen musste. Ich habe ihn in der Schule gehasst, aber in dieser Version gefällt er auch mir. Im Anschluss an den Langläufer "Tom Dula" nimmt sich Young "Gallows Pole" vor. Schon Led Zeppelin haben sich daran versucht und die harte Version in die Rille gepresst.
Young geht die weichere Gangart und liegt damit genau richtig. Der Titel ist zwar recht flott, aber bleibt dabei immer geschmeidig und wird nicht durch unnötige Gitarrenriffs verzerrt. Besonders zum Schmunzeln bringt mich "Get A Job". Wenn ich dabei die Augen schließe und mir die Situation auf einer Bühne vorstelle, sehe ich die Band Crazy Horse als Chor im Frack mit Zylinder und schwarzer Fliege, wie sie mitschunkelnd den Background singen.
Macht das mal beim Hören ebenso, und ihr werdet mir zustimmen. Ihr hört puren Swing der zwanziger Jahre.
Ich mache einen Sprung zu "High Flyin' Bird". Die Band treibt den Song nach vorne. Er ist für mich ganz deutlich der beste auf der CD "Americana". Da groovt es von vorne bis hinten, und Youngs Gitarre gibt dem Ganzen noch den Rest. "This Land Is Your Land" darf natürlich in diesem Sammelsurium nicht fehlen. Der Klassiker der einfachen Bevölkerungsschichten und der Protestsong überhaupt auf dem Album. Hier in einer herausragenden Country-Version abgeliefert, bei der sich der Meister zum ersten und einzigen Mal nicht mit der Gitarre zurückhält. Sein typisches quietschendes und knarrendes Teil bestimmt den Sound des Stücks, als wenn er damit die Massen wieder zum Protest aufrufen will. Lediglich einmal wird es etwas ruhig und nachdenklich.
"Wayfarin' Stranger" kommt als Country-Ballade rüber und zwingt den Hörer über die Probleme zu sinnieren, die es in den Jahrhunderten während der Entwicklung der USA gab und noch immer gibt. Warum nehmen sich die Weißen das Recht heraus, die Ureinwohner jeglicher Länder zu erniedrigen und zu vertreiben? Warum haben Weiße dunkelhäutige Menschen zu Sklaven gemacht? Mit welchem Recht? Neil Young wirft diese Fragen alle wieder auf und zwingt mit "Americana" die Menschen erneut über ihr maßloses Fehlverhalten nachzudenken.
"Americana" ist keine Lobeshymne an die gute alte Zeit, "Americana" ist die Verurteilung des weißen Mannes. Eine der besten CDs von Neil Young und ein Muss für jeden CD-Schrank.
Line-up:
Neil Young (vocals, guitar)
Frank 'Poncho' Sampedro (vocals, guitar, keyboards)
Billy Talbot (bass)
Ralph Molina (drums)
Tracklist
01:Oh Susanna
02:Clementine
03:Tom Dula
04:Gallows Pole
05:Get A Job
06:Travel On
07:High Flyin' Bird
08:Jesus' Chariot
09:This Land Is Your Land
10:Wayfarin' Stranger
11:God Save The Queen
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