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Alexander Dowerk ist Spezies 'Klangkünstler'. Im Atelier des Gitarristen, das er ZweiTon nennt, arbeitet aber - abgesehen von weiteren Gästen - mit Drummer Alexis Paulus noch ein kongenialer Co-Künstler. Ihr akustisches Kunstwerk namens "Form" ist das erste seiner Art und entstand in mehreren kreativen Etappen seit 2005. Es passt am besten in Galerien, die sich auf Instrumental Prog spezialisiert haben. Aber es ist kein statisches Kunstwerk, mit dem der Museumsbesucher 'etwas anfangen' muss. "Form" wirkt vielmehr eine dreiviertel Stunde lang auf den Zuhörer ein und versucht, vor dem inneren Auge etwas in Bewegung zu setzen. Es ist ein feines Spiel aus Melodie und Rhythmik.
Und Atmosphäre. "Sand" ist ein kurzes Warmwerden zu Beginn. Gitarrenarpeggien und elektronische Effekte ergänzen einander zu einer bedrückenden Stimmung. Schwere Gitarrenwände kommen hinzu; und die orientalische Anmutung lässt vermuten, dass der 'Sand' aus einer arabischen Wüste stammt. Das Stück ist noch nicht spektakulär, sondern macht vielmehr Lust auf das, was kommt.
Es ist kein 'Sand' im "Triebwerk". "Triebwerk" heißt das zweite Stück und das erste ausgewachsene Aushängeschild des Instrumentalprojekts. Schon der Titel verheißt die Dynamik des Stücks. Es ist ein enorm lässiger Groove, den Gitarre und Drums an den Tag legen. Dowerk bedient sich einer bestechend einfachen Melodie und an und für sich auch überraschend simplen Variationen derselben. Doch zusammen mit den wunderbar verquerten Rhythmen Paulus' wird ein ungeheuer anziehender surrealer Soundtrack daraus. Auch Paulus tut im Übrigens einen Teufel, allzu professorale Taktarten zu zelebrieren - so oft wird gar nicht gewechselt. Viel öfter sind es die Detail-Eingriffe auf Sechzehntel-Niveau innerhalb überschaubarer Strukturen, wenn er beinahe schwerelos und spielerisch die Zählzeiten seziert.
Man gerät nie in Versuchung, das Tempo über Gebühr zu strapazieren. Und so entstehen, auch mit Hilfe elektronischer Effekte, verträumte und zugleich spannende Stimmungen. Es ist schon erstaunlich, wie gut es den beiden gelingt, ihre anspruchsvollen Ideen in Emotionen umzusetzen. Beim Hören wandert das Ganze automatisch vom Seziertisch ins Gefühlszentrum. Es kommen mir zwischenzeitlich Gitarren-Atmosphäriker wie Joe Satriani in den Sinn, aber ZweiTon sind verproggter. Und meine Lieblingsstelle, die sich ab circa zweieinhalb Minuten ausbreitet, erinnert mich sogar kurz, ganz kurz (!) an Brubeck'sche Verquirlungen von Melodie und Rhythmus.
"9 Days Of Tripping" trippt zehneinhalb Minuten lang und zeigt ZweiTon auch von einer härteren Seite. Nach dem relaxten, zum Teil Fusion-getriebenen "Triebwerk" bestimmen verzerrte Gitarren und dichte Drum-Fills insbesondere den Mittelteil des Stücks. Der erneut durch Loops und Effekte gestützte Sound wirkt proggig-modern, ein bisschen wie experimenteller Prog Metal - beinahe als hätte Kevin Moore seine Finger mit im Spiel. Vielleicht zählt er ja zu den Einflüssen - ein Klang-Querdenker, das würde passen.
Es folgt "Eis" - und die atmosphärische Temperatur sinkt. Zunächst wie eine fast minimalistische Studie, latent angespannt und unbehaglich anmutend, baut sich rasch eine verstörende Dramatik auf. "Eis" ist ein Soundtrack für den Moment im Psychothriller, in dem es um Leben und Tod geht. Aber es ist eine dieser Szenen, in denen der Protagonist allein ist, in einem Wettlauf gegen die Zeit, gefangen im... ewigen "Eis"? Es sind Interpretationsversuche, ohne zu wissen, was zuerst da war - das Bild im Kopf oder die Musik und der Name des Tracks.
Auch "Fehlfunktion" ist kein Kandidat für harmonisches Schwelgen, das ist gleich klar. Die 'Fehlfunktionen' sind scharfe harmonische, melodische und rhythmische Akzente hinein in einen maschinenhaft pulsierenden Drive. Die knapp sieben Minuten sind eine gekonnt konstruierte Unruhe, ohne hektisch zu werden. Denn wie schon bei den Tracks zuvor gilt: Auch da, wo die Spannung bis ans Limit reicht, bleibt der übergeordnete rote Faden erkennbar. Keine atonalen und avantgardistischen Attacken - ZweiTon bleiben zugänglich und fein verdaulich.
Die Frage nach der Zugänglichkeit stellt sich im finalen "Licht" nicht. Denn zum Ende des Albums wird mit einem Harmonie-betonteren Stück der Spannungsbogen wieder feinfühlig geschlossen. Kaskadenartig rieseln kristalline Gitarrenläufe herab und fächern das audiovisuelle Spektrum fühlbar 'hell' und warm für den Hörer auf. Indem sich die melodische Figur stets wiederholt, kaum dass sie abgeschlossen ist, entsteht zudem eine Art 'glitzernder' Spiegeleffekt.
Inwiefern die Transzendenz zwischen akustischen und optischen Eindrücken funktioniert, muss zwar jeder für sich selbst entscheiden, denn solche Musik wandelt immer auf einem schmalen Grat. Jeder kann sie, auch je nach Stimmungslage, banal und belanglos oder filmisch-faszinierend finden. Eines aber attestiere ich ZweiTon mit "Form" in jedem Fall: Sie verstehen es hervorragend, technische Überlegungen in Atmosphäre zu übersetzen. Unbedingt antesten!
Line-up:
Alexander Dowerk (touch guitar, electronics, programming)
Alexis Paulus (drums, percussion, electronics, programming)
Udo Dzierzanowski (acoustic guiter - #6)
Roland Vanecek (tuba - #6)
Andrea Sanz Vela (ciola - #1,4)
| Tracklist |
01:Sand (2:18)
02:Triebwerk (6:42)
03:9 Days Of Tripping (10:25)
04:Eis (6:51)
05:Fehlfunktion (6:53)
06:Licht (9:49)
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