Editorial - April 2011



Editorial vom 01.04.2011


Andrea Groh
Im Märzen der Bauer …,
nein, nein keine Angst, RockTimes hat keinen Stilwechsel hinter sich, der Titel passte nur so schön zum strahlenden Sonnenschein während des Schreibens (zum Glück strahlt hier nur die Sonne, doch mehr dazu später) und eben zu dem, was manche Landwirte jetzt tun. Wobei man beim Durchlesen der News teilweise eher meinen könnte, es sei Herbst, weil der Mann mit der Sense wieder unterwegs ist. Leider nicht zum Ernten von Getreide, sondern von Leben. Ich möchte hier nur mal erwähnen (ohne wertende Reihenfolge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Kurt Hauenstein (Supermax), Blueslegende Pinetop Perkins, Ronnie Hammond, Melvin Sparks, Smiley Culture, Alex Wiska, Mike Starr (Alice In Chains), Owsley 'Bear' Stanley (aus dem Grateful Dead-Umfeld), Frankie Sparcello (Exhorder) und der Truckfahrer von Blind Guardian.
Nicht ihr Leben, jedoch (verdientermaßen) ihre Freiheit verloren haben Paul Di'Anno (Steuerhinterziehung), Casey Royer von Social Distortion (Drogen und Kindesgefährdung) und Kevin Russel (Fahrerflucht, gefährliche Körperverletzung u.a.).
Ansonsten erscheint es mir diesen Monat etwas unpassend, einen Newsletter darüber zu schreiben, wer sich mit wem versöhnt hat oder auch nicht, und wer eine neue CD aufnimmt.
Nur eine Ankündigung will ich erwähnen: Von den Noise-Drone-Doom Mädels von Gallhammer aus Tokio soll Ende April etwas Neues kommen. Hoffentlich kommt die CD durch den Zoll und ist nicht radioaktiv.
Denn was geschehen ist und noch geschieht ist weitaus mehr, als dass Iron Maiden ihre Konzerte in Japan am 12. und 13.3. abgesagt haben. Einen Tag zuvor, am 11.3. begann mit einem Seebeben eine Reihe von Ereignissen, wodurch Auftritte ausländischer Rock-/Metal-Bands erst einmal in den Hintergrund rücken. Obwohl Slash tatsächlich dort spielte, allerdings in Osaka. Tokio und Yokohama sagte er ab. Eine kleine Ablenkung zwischen den Sorgen: Opfersuche, Schadensüberblick, Stromversorgung, und als ob nicht ein Tsunami schlimm genug gewesen wäre - die dadurch verursachten Beschädigungen im Atomkraftwerk und deren Folgen.
Japan hat eine ungünstige Lage am Rande des pazifischen Feuerrings, welcher durch die tektonische Reibung immer wieder Erd- und Seebeben hervorruft. Da scheint im Moment richtig was im Gang zu sein, denn dem ersten Beben, welches zu den heftigsten seit Beginn der Messungen zählt, folgten bisher über 400 weitere.
Über die geologische Bedeutung dieser Ereignisse, ebenso über die Frage, ob und mit welchen Sicherheitsbestimmungen man in einer solchen Gegend Atomkraftwerke bauen darf, werden und müssen sich Experten Gedanken machen, dies hier ist nicht die Stelle für Antworten darauf. Gleiches gilt für die Diskussion über AKWs überhaupt, welche nun wieder ins Rampenlicht gerückt ist, passend zur Landtagswahl in mehreren Bundesländern.
Dies ist auch nicht Aufgabe und Zweck eines Musikzines wie RockTimes. Dennoch sind Auswirkungen in der Musik zu spüren, spiegelt sie doch Emotionen und Ängste der Menschen, erzählt in Texten davon.
Interessantes Beispiel die deutsche Gruppe Kraftwerk mit ihrem Song "Radioaktivität". Diesen gibt es in einer Version von 1975 und von 1991> mit veränderter (kritischer) Aussage.
Seltsam sind Unterhaltungen mit der jungen Generation, die nach 1986 geboren ist und sich wünscht, die 80er erlebt zu haben. Für die bisher der Begriff 'nuclear' / 'nuklear' hauptsächlich Bestandteil des Namens eines Labels war oder in Texten von (insbesondere Thrash Metal-) Bands aus jeder Zeit vorkam. Sie konnten aber (verständlicherweise) nicht wirklich begreifen, was die Jugend damals fühlte.
Nämlich die Angst vor einem Atomkrieg, welche durch Medien/Schule geschürt wurde, durch Dokumentationen und Informationen, z.B. durch Broschüren, die erklärten, welche Bedeutung die Signale der Sirenen haben, die regelmäßig getestet wurden. Das war damals die 'böse' (kriegerische) Seite des Atoms, die gegenseitige Aufrüstung und Abschreckung zweier Supermächte, deren Waffen die Menschheit etliche Male hätten vernichten können.
Gleichzeitig wurde uns etwas von der 'guten' (friedlichen) Seite des Atoms erzählt. Nämlich die AKWs, die angeblich 'saubere' Energie liefern, um Umweltzerstörung und sauren Regen zu vermindern, damit auch im Jahr 2000 noch Bäume stehen und Trinkwasser vorhanden ist. Damit wir dann noch lebten, sollten die 'bösen Russen' doch keine Bomben auf uns geworfen haben.
Mit solchen Vorstellungen sind wir aufgewachsen, haben Endzeitfilme gesehen, Bands haben das in ihren Namen (Overkill, Destruction, Megadeth) oder Lyrics (z.B. im Konzept der Kanadier Voivod) aufgegriffen. Wobei dieses Thema natürlich nicht nur im Thrash Metal aufgegriffen wurde.
Gelungen fand ich auch, wie die Irish Folk Band The Dubliners mit Ironie auf Verhaltenstipps im Ernstfall ("Protect And Survive") einging. Vieles in den 80ern erscheint mir rückblickend als eine Gegenreaktion auf die düster-grauen Zukunftsvisionen, beispielsweise die fröhlich-naiv wirkende Musik mit dennoch melancholischem Unterton und die quietschbunte Mode.
Am 26.4.1986 kam der Tschernobyl-Super-GAU (diesen April immerhin 25 Jahre her), der zwar nicht der erste Unfall war, aber der bisher bekannteste und schlimmste. Welcher nicht nur einige Klischees von 'guten und bösen' Atomen und von 'bösen Russen' zerstörte, sondern auch Auswirkungen bis nach Deutschland hatte. Kein Gemüse, keine Pilze aus dem Wald essen usw. hieß es, das Thema wurde in den Medien wahlweise heruntergetuscht oder aufgebauscht.
Was nun aktuell wieder der Fall zu sein scheint, allerdings gibt es heute das World Wide Web und mehr Informationen. Dies hilft zwar nicht, irgendetwas ungeschehen zu machen, aber es kann zu Solidaritätsaktionen führen und zum Nachdenken anregen, manches nicht selbstverständlich zu nehmen. Wir können froh sein, im Gegensatz zu vielen Menschen auf der Welt (nicht nur derzeit in Japan, sondern in vielen weitere Ländern, ob durch Krieg oder Armut), größtenteils von existenziellen Nöten verschont zu sein. Wir haben Strom und Internet, die es ermöglichen, diesen Text zu lesen. Wir können uns mit guter Musik beschäftigen, diese kann uns Trösten und Hoffnung geben, dass das Leben weitergehen wird und dass zukünftige Generation irgendwann Songs über die Zeit jetzt hören werden. Diese wird es sicher geben, denn was die Menschen bewegt, schlägt sich dort nieder. Rockmusik ist neben anderen Dingen auch ein Zeitdokument.
Auch wenn die Reaktionen erst zögerlich kamen, mittlerweile sind sie da: Tribute-Aktionen wie Benefiz-Konzerte oder Spenden von Einnahmen aus Verkäufen von Shirts u.a.
Dies mag ein ungewöhnlicher Newsletter sein, eine Momentaufnahme, die bald schon überholt sein wird und die Rückblicke sicherlich nur eine kleine subjektive und spontane Auswahl von dem, was mir diesen Monat durch den Kopf ging. Doch angesichts der Ereignisse erscheint es trivial, von geplanten CD-Veröffentlichungen und neuen Bandprojekten zu berichten, was wir dennoch getan haben, ebenso wie es natürlich auch jede Menge Reviews gab.
In diesem Sinne: Keep on rocking, thrashing oder was auch immer…
Andrea
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