Editorial / Juli 2014



Editorial vom 01.07.2014


Jochen v. Arnim
Liebe RockTimes-Leser,
kennt Ihr das auch, Ihr fleißigen und regelmäßigen Konzertgänger? Ihr freut Euch, endlich mal (wieder) Eure Lieblingssongs oder -interpreten livehaftig auf der Bühne sehen zu können? Ihr habt ja schließlich lange genug darauf gewartet, dass die Tourneeplanung endlich mal wieder einen Ort in erreichbarer Nähe ausweisen würde. Ihr nehmt alle möglichen Anstrengungen auf Euch, versucht, den Termin mit Arbeit oder familiärer Logistik in Einklang zu bringen, schafft es auch tatsächlich, pünktlich vor der Bühne zu stehen und könnt es kaum abwarten, bis es endlich los geht.
Dann fängt es an, die Band ist klasse, der Sänger hat's ja auch immer noch drauf und ja, sogar die meisten der 'guten alten' Stücke stehen auf der Playlist. Aber irgendwas stimmt nicht, irgendwie ist der Wurm drin und hinterlässt einen eher faden Beigeschmack. Dieses seltsame Gefühl beschleicht Euch schon recht bald, und es hat nichts mit der musikalischen Qualität des Dargebotenen zu tun, so viel ist mal sicher. Und dann kommt die 'Erleuchtung': Es ist die Kommunikation, die Interaktion zwischen Band und Publikum. Hier genau klemmt nämlich die Säge, denn es gibt keine. Null Worte der Begrüßung, kaum ein gequältes Thank you nach dem Applaus, von einer Ansage der nächsten Stücke ganz zu schweigen und schon gar keine namentliche Vorstellung der Band. Am Ende ein kurzes Winken, ein halbherzig genuscheltes Etwas zum Abschied, Schluss, aus die Maus.
Was war denn das jetzt, mag sich der eine oder andere dann fragen - und mir geht das auch nicht gerade selten so. Da nehme ich all diese Anstrengungen auf mich, beantrage bei der FIFA die Verlegung des Deutschlandspiels, stürze mich in finanziellen Ruin, riskiere einen Brief vom Scheidungsanwalt, klaue ein Auto für die Fahrt und begebe mich in das übelste Viertel der Stadt. Ich kaufe auch noch ein T-Shirt und die letzten drei Live-Mitschnitte am Merch-Stand, konsumiere mieses Bier und muss mich mit einer unfreundlichen Thekenbesetzung herumschlagen, ganz zu schweigen von den Vollspacken, die die meiste Zeit ungehörig quatschen wollen, aber nicht vor die Tür gehen. Und dann sagt mir der Arsch auf der Bühne noch nicht mal die Tageszeit?
Aber woher soll er auch wissen, dass ich ab morgen zu dem Teil der Bevölkerung gehören werde, der artig Unterhalt zahlt, aber nicht mehr in seinen eigenen vier Wänden wohnen darf, weil meine Frau mich rausgeworfen hat und außerdem wartet draußen ja auch schon die Polizei wegen des geklauten Autos? Keine Frage, das weiß er nicht, kann er ja auch nicht. Aber ich bin da und mit mir noch (hoffentlich) ganz viele andere Fans. Und wir haben alle Eintritt bezahlt und dass wir auch noch 'ne CD oder etwas anderes kaufen werden, das weiß er vom Kassensturz des Vorabends. Also, verdammt noch mal, sag wenigstens Hallo.
Warum ich mich so auslasse? Ganz einfach, es geht mir seit Jahren gehörig auf den Keks, wie lästiges Beiwerk behandelt zu werden und nur das notwendige Übel darzustellen, das der Künstler nun mal leider braucht, um seinem Treiben freien Lauf lassen zu können. Und bevor jetzt jemand protestiert, nein, ich weiß, dass viele, viele Bands ganz anders drauf sind und durchaus wissen, wer ihnen da den Lebensstil finanziert. Ich möchte auch keinen Sänger haben, der sich voll seiner Demut nur beschämend überschwänglich bedankt. Ich muss auch nicht persönlich, namentlich und mit Handschlag von der Bühne herab begrüßt werden. Obwohl….
Das Zauberwort ist weiter oben schon gefallen: Mir geht es um Kommunikation, um Interaktion. Und dass diese Fähigkeit so einigen Musikern abgeht, fällt mir immer dann auf, wenn ich mal ein besonders feines Gegenbeispiel erleben darf. So war ich unlängst eingeladen, Albert Hammond im Kölner Savoy-Theater anzusehen, weil ein Freund von mir das Innenfoto zu dessen neuster Live-Scheibe geliefert hatte. Dieser Abend war das Paradebeispiel dafür, wie auch jemand, der weit über 350 Millionen Tonträger verkauft hat, es immer noch überzeugend als Anliegen ansieht, das Publikum zu 'unterhalten', es zu begrüßen, teilweise mit Namen, es mit einzubeziehen, Dialoge herzustellen und jeden, jeden der dreißig Songs mit einer einleitenden Anekdote zu versehen (und nach der Show noch weit über eine Stunde lang zu signieren, fotografieren und zu quatschen).
Oder ganz banal Ozzy beim Black Sabbath-Gig in Essen letzte Woche, wo es teilweise wie aus Kübeln goss: »It's fucking raining! You know what, I'll join you!« Sprach's und goss sich einen Eimer Wasser über den Kopf, um ebenso nass zu werden, wie es das Publikum schon seit Stunden war. Ich weiß, der hat sich schon ganz andere Dinge über den Kopf geschüttet und die Nummer mit dem Wassereimer ist alt. Aber, er hat dem Publikum für einen kurzen Moment eine sympathische Illusion verkauft.
Ich weiß natürlich auch, dass es für einen Künstler aus dem Oberhaus der Rockmusik ungleich schwerer ist, sich nach der Show den tausenden von Fans zu stellen und sich unter das Volk zu mischen. Diese Art von After Sales-Management kommt eher in kleineren Clubs in Betracht und macht dort sicherlich auch einen Großteil des Charmes aus. Und trotzdem entbindet das auch den Künstler in größeren Hallen nicht von der verdammten Pflicht, dem Publikum wenigstens vorzugaukeln, dass er (der Künstler) ihm (dem Publikum) wenigstens etwas dankbar ist und sich freut, seine Songs präsentieren zu dürfen können.
Ich brauche niemanden, dem es so dermaßen offensichtlich scheißegal ist, ob und wer da unten steht, dass er sich noch nicht einmal zu einem verabschiedenden »Thank you, good night, we love you!« hinreißen lässt. Lebt Euer Künstlerdasein sonstwo aus, aber lasst mich zukünftig damit in Ruhe. Live-Musik ist keine Einbahnstraße, die existiert vom Hin und Her zwischen Saal und Bühne.
Ich weiß, Ihr wollt jetzt Beispiele haben. Ich weiß auch, dass sich vieles von dem bislang Geschriebenen im Bereich der subjektiven Wahrnehmung abspielt, aber wenn ein Frank Zappa hingeht und sich ausschließlich mit dem Rücken zum Publikum, demonstrativ auf einem Barhocker sitzend präsentiert oder dieselbe Person als einziges Statement an diesem Abend auf die Bühne pinkelt, dann ist das keine Kunst, sondern schlichtweg eine Missachtung. Dafür ist mir mein sauer verdientes Geld zu schade. Ok, der ist lange tot, das ist ein schlechtes Beispiel.
Aber auch ein Mensch, wie der noch lebende und musikalisch von mir sehr geschätzte
Van Morrison, über den mir glaubhaft versichert wurde, er ließe bei Shows immer eine Uhr rückwärts laufen und wenn die Zeit um ist, ist sie um, bekommt sicherlich nie wieder einen einzigen Cent von mir. Ihr kriegt meine Kohle, meine Wertschätzung, meinen Applaus und vielleicht sogar meine Treue bis zum bitteren Ende - und dafür habt Ihr Euch den verdammten Arsch abzuspielen und mich zu unterhalten. Das ist wie beim Fußball….
Und jetzt geht Ihr, liebe Leser, hin und blättert noch einmal die Artikel der letzten vier Wochen durch und guckt mal, wen Ihr Euch demnächst live anschauen wollt. Die meisten sind nämlich gar nicht so schlimm und haben Euren Zuspruch wirklich und im ureigenen Sinne des Wortes ehrlich verdient. Außerdem, in Zeiten des großen Clubsterbens wird es trotz des Überangebots vielleicht bald nicht mehr so einfach sein, an der nächsten Ecke ein geiles Konzert zu erleben. Lest Euch unsere Live-Berichte durch, dann wisst Ihr wo man sich die Zeit für gute Musik nehmen sollte.
In diesem Sinne, bis bald mal vor irgendeiner Bühne!

Jochen
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