Weihnachtsgottesdienst im November
Zwischenruf Erstkontakt mit IQ-Fans der Gründer-Generationen.



Zwischenruf vom 12.12.2008

Fotos ©: Fabian von Poser


Katharina Hübel
IQ»Vorne links beim Gitarristen, da ist der Platz«, sagt Thomas und schiebt mich durch die bräsigen hinteren Reihen, die sich noch an ihrem Bier festhalten und wohlwollend zu den elektronischen Keyboardklängen der Vorband nicken. Thomas will mich anfixen. Er ist IQ-Hardcorefan, seit er erfahren hat, dass die »wohl genauso gut wie Marillion« sein sollen, seit 1987. Da hatten IQ ihre Hochphase, erklärt er mir, und auch schon mal vor 30.000 Leuten gespielt. Heute ist das eher überschaubar. Der Aschaffenburger Colos-Saal, der 'Prog-Tempel' Bayerns, wie ihn manche bezeichnen, hat nicht das Fassungsvermögen der Stuttgarter Schleyerhalle oder des Münchner Olympiaparks. Dafür Stuckdecke und Discokugel. Und Bierausschank unter Arkaden mit mäßiger Wartezeit.
IQThomas hat mentale Bauchschmerzen. »Eigentlich sollte man so nicht mit IQ anfangen - so kann man kein Fan werden«, sagt er gequält, in Sorge darüber, dass ich einen falschen Eindruck von der "Musik seiner Jugend" bekommen könnte, die ihn immer noch in emotionale Ausnahmezustände entrücken lässt. »Ich hab Dir ja Links geschickt - zur Warnung«, quengelt er vorwurfsvoll. Die ich mir nicht angehört habe. Weil ich einen Scheiß drauf gebe, ob der IQ-Keyboarder, der anscheinend singenderweise auf dem gemailten Audiofile verewigt ist, als Ersatzmann für den Sänger eine Niete ist oder nicht. Heut übernimmt den Job, den der Sängervertretung, ja eh der Bassist, was Thomas unvorstellbare Sorgen bereitet. Der Frontmann ist wieder krank - Peter, der sich als Kinderbuchillustrator über Wasser hält, wie ich erfahre. Der böse Internet-Download macht das Profimusikgeschäft nicht mehr lukrativ. Deshalb gibt es nie übermäßig viele Konzerte von IQ, aber Thomas ist jedes Jahr bei einigen dabei.
»Das verrückteste war, dass wir uns 1997 zu dritt ein Wohnmobil gemietet haben und dann innerhalb von 7 Tagen zu 7 Konzerten gegangen sind.« England, Belgien, Holland, Deutschland, mit der Band im Schlepptau - oder umgekehrt, wie auch immer. Da war Thomas fast Mitte 20 und grad am Studieren. Ich bin 'ne Musikgeneration jünger als er. Kind der 90er, während der Jugend mit Techno und Dancefloor gefoltert, daher jahrelang musikabstinent und -traumatisiert, erst spät auf Linie gebracht.
Jetzt bin ich zur IQ-Einführung nach Aschaffenburg geladen worden. Zum Familientreffen der deutschen Alt-Fans aus der IQ-Gründer-Generation (Achtziger), mindestens aber jedoch Wiederbegründer-Generation (Neunziger).
IQUnd die sind alle da. Teilweise organisiert in seit Jahrzehnten festen Konzert-Fahrgemeinschaften. Teilweise buchen sie dieselben Hotels. Denn man trifft sich oft nur ein Mal im Jahr. Meist in Aschaffenburg. Diesmal: Kurz vor Weihnachten. Und mir schwant so langsam: IQ-Konzerte sind für die Fans wie Weihnachten. Thomas spricht von einem »lieb gewordenen Ritual«. Und dafür fliegt manch einer sogar aus Toulouse ein - wie Björn, Thomas' Schulfreund. Inzwischen geht er auch stramm auf die 40 zu. Wegen erster Schneeflocken musste er seine Maschine umbuchen - 235 Euro Aufpreis. Er rückt sich die Brille zurecht: »Da, Polly Pocket ist wieder da...« Endlich mal 'ne Frau! Wenn auch seltsam gekleidet für einen Rockfan... Zugegeben, ich bin mit meinem rosa T-Shirt und Jeansmini auch nicht grad mit Nietenarmbändern und Totenkopfsymbolen gesegnet.
IQThomas und seine Jungs haben ein einfaches IQ-Shirt mit Jeans kombiniert. Einer mit Halbglatze und dünnem Zöpfchen im Nacken outet sich durch sein schwarzes Shirt als Mitglied des Prog-Stammtischs Halberstadt. Aber: Glitzertop? Und warum »Polly Pocket«?
»Das ist ein Chatname, die kennen wir aus dem Forum - eine Engländerin«, erklärt Thomas. »Die ist auch immer da, verrückte Nudel«, klopft ihm so ein Kerl von hinten auf die Schulter. »Fabian!«, die Prog-Brüder sehen sich wohlwollend an. »Fabian«, erklärt Thomas, »war dabei, als Peter wieder zurück kam!« Der Sänger der ersten Stunde - Peter - war in den Achtzigern mal ausgestiegen.
Gitarrist Mike und die Fans wollten ihn wieder zurück - und da kam's zu geheimen Verhandlungen in einem Café in Manchester. Fabian und zwei Kumpels waren anwesend. »Die Band kannte uns von Konzerten, wir wurden schnell Freunde und waren dann eben auch dabei, als Mike Peter überzeugen konnte, wieder einzusteigen.« Fabian hat diesen musikhistorischen Moment sogar auf Kassette aufgezeichnet. Außerdem hat er, der den IQ-Fanclub mitbegründet hatte, dann mit seinen beiden Freunden auch gleich das legendäre Wiedervereinigungskonzert 1991 in Kleve organisiert.
Da wohnten die Manchester-mitreisenden Kumpels von Fabian, wie praktisch. IQ und Crew mussten sich nämlich nicht mal in ein Hotel einmieten - sie konnten einfach bei den Kumpel-Eltern pennen. »Einer der Freunde«, erklärt mir Thomas beiläufig, »hat übrigens auch GEP gegründet, ein Plattenlabel, damit IQ nicht mehr so von der Großindustrie abgezockt werden.« Das lief anscheinend so gut, dass sich der Hobby-Plattenboss damit professionalisiert hat. Heut lebt er davon. Nach GEP hat er noch Inside Out gegründet, das größte deutsche Prog-Label. IQ-Fans machen eben keine halben Sachen. So wie in Kleve.
IQIQ-Rockern wird nostalgisch warm ums Herz, wenn sie daran zurückdenken, wie Peter damals zurückgekommen ist. Ich beginne zu erahnen, was es bedeuten muss, dass Peter krank ist.... Das kann ja heiter werden, da "vorne links beim Gitarristen", mitten in der Riege der Gründer-Fans. Reformhaus-Christian aus NRW hat schon seine respektable Videokamera ausgepackt. Fast wäre er von der Security nicht reingelassen worden. Bis er seinen Ausweis zeigt: Er ist die offizielle »Videocrew« von IQ.
Oder vielmehr: Hat sich dazu gemacht. In hartnäckigen Jahren konnte er die Musiker davon überzeugen, dass sie ihn brauchen. Und jetzt dreht er immer für ihr Musikarchiv. »Fußballfans wollen die Ergebnistabellen, ich will halt auch später noch wissen, welche Songs IQ bei welchem Konzert gesungen haben«, erklärt er.
Die verhaltensauffällige Alt-Fan-Riege, das sind also heute vielleicht zehn Leute. Dafür ist ihr Einsatz so, als stünden um sie herum noch die 30.000 drückenden und brüllenden Fans von damals. Kaum dass Mike auf der Bühne ist, geht es los. Die Biergläser stellen sie schnell an den Bühnenrand, reißen die Arme in die Höhe und schieben nach vorne. Mike, der Gitarrist, ist heute der einzige »wirkliche« IQ-ler, der der ersten Stunde. Heiß geliebt von der Frontriege links vorne wie ein Teddy, den man zur Geburt geschenkt bekommen hat. Das Stofftier, das erst ein paar Jahre später ins Bettchen gelegt wird, kann nie diesen Status haben. Armer Bassisten-John. Ich find ihn trotzdem toll. Mit seiner Glatze. Und er singt echt gut, finde ich. Auch wenn er ab und zu auf die Texte linsen muss, auf dem roten Notenständer vor seiner Nase.
IQDie puristischen Blödmänner, die aus Protest über das peterlose Konzert nach der Vorband ihre Sachen packten und gingen. Echte Fans bleiben. Denn eine echte Band, die spielt ja auch. Auch ohne Frontmann. Ohne Soundmann. Ohne Videoartisten. An dem Abend war das Bäumchen-Wechsle-Dich nämlich folgendermaßen: Sänger krank. Bassist wird zum Sänger. Roadie bei gesangstechnisch verausgabungswürdigen Stücken zum Bassisten. Ab und zu muss der Roadie dann doch runter von der Bühne und nach hinten zur Soundtechnik. Der andere Ton-Kollege ist nämlich nicht da - seine Frau bekommt gerade ein Kind. Auch auf die sonst wohl aufwändigere Videoinstallation muss verzichtet werden, es laufen ein paar Slideshots per Powerpoint ab. Der Videoartist: auch krank. Aber deswegen, bitteschön, bläst doch keiner ein Konzert ab! Das Familientreffen. Und die Erste-Reihe-Fans haben auch trotz vorangegangener Bauchschmerzen und zahlreicher Bedenken mit den ersten Akkorden glänzende Augen bekommen, sind dabei, sich die Seele aus dem Leib zu rocken: Sie pogen, brüllen, schieben mit vollem Einsatz. Die gerade noch ausgewiesenen intellektuellen Musikkritiker und -skeptiker, eher gesetzt und cool, mutieren zu grölenden Jungs, drängeln an den Bühnenrand, als wollten sie gleich Schlüpfer werfen. Ich find's super, rocke aber lieber in zweiter Reihe. Ich will ja nicht zerquetscht werden.
»Wo sind eure Leuchtarmbänder?«" brüllt John auf Englisch ins Publikum. »Was ist das für ein Brauch?« frage ich Thomas. Um uns herum reißt die folgsame Horde ihre plastikberingten Arme in die Höhe. Wedelt enthusiastisch mit den Neonfarben. Rosa. Orange. Grün.
»Die haben da immer so was - Ballons, Konfetti oder halt Leuchtarmbänder - um den priesterlichen Ernst des Rockgottesdienstes etwas mit Ironie aufzulockern.« Aha. Das sind wohl Insider, die auf einer langjährigen Beziehung aufbauen. Da bin ich als Neuling - noch - außen vor. Hinter mir, in dritter Reihe: Die jüngere Generation IQ-Rocker; mit langen Haaren, weit vom Grauwerden entfernt. Meine Altersklasse. Auch da: Das Gefühl, etwas Besonderem, aber nicht immer Verständlichem beizuwohnen. Faszination in den Augen, Bewegungslosigkeit in den Beinen. Die Zeiten sind einfach nicht mehr, was sie waren: 1987, 1991. Mich beschleicht das Gefühl: Ich bin zur falschen Zeit geboren. Bekomme nur noch den Abglanz großer Zeiten mit.
IQNachdem sich das Publikum ausgejubelt hat, nach der x-ten Zugabe, gehe ich zum CD-Stand, die Band subventionieren. Kinderbuchillustrator finde ich zwar sehr ehrbar und sympathisch - aber mit der Musik aufhören dürfen IQ jetzt, wo ich in ihre Geheimnisse eingeweiht bin, nicht. Eine Viertelstunde nach dem Konzert mischt sich John unter die vereinzelt Verbliebenen, lässt Fotos von sich machen, ein Scherzchen hier, eine Übermütigkeit dort. Neidisch guck ich aus den Augenwinkeln zu den glücklichen Neufans. Ich trau mich nicht weg von der inzwischen wieder sehr coolen Altriege. Die haben's alle nicht nötig, sich nach dem Konzert zu den Groupies zu stellen. Manche davon interessieren sich halt nur für die Musik. Und andere haben mit der Band schon Geburtstage und Hochzeiten gefeiert, rufen Mike und Peter sowieso alle mehrmals im Monat an und gehen manchmal sogar mit ihnen einen heben. Sie versetzt anderes in emotionalen Aufruhr: »Ulf, ich hab Ulf getroffen«, kreischt Thomas aufgeregt. »Und Pollux! Aus dem Forum...« Auf dieser Fanseite ist man erfasst von einer weihnachtlichen Wiedersehensstimmung.
Appendix:
Zu den Pflichten eines frischbeseelten Neu-Fans gehört es auch, die frohen Band-Botschaften im virtuellen Kaffeeklatsch zu vernehmen (klickt euch mal zum Forum durch). Besonders passend zu meinem persönlichen Erleben des Aschaffenburg-Abends erschien mir ein Eintrag von einem Peter, der mit einem Lamento beginnt, wie sehr er IQ-Sänger Peter im Colos-Saal vermisst hat, um dann so zu enden: »A night that made me proud of the place where I found my peace over the last 20 years: Front row, left side! Hail to IQ! The voice of freedom and truth.« Mehr muss man nicht lesen, um zu wissen, was es bedeutet, ein IQ-Fan zu sein. Aber man muss mal auf ein Konzert gegangen sein, front row, left side natürlich, um erlebt zu haben, was ein IQ-Fan ist. Und danach ist man wahrscheinlich selbst einer.
Externe Links: