Mediale Nischen
Zwischenruf
Es geht auch anders
Manchmal offenbart der Sendersuchlauf, im welchem Zustand sich eine Gesellschaft befindet.
Wenn der Stammsender temporär nicht zu ertragen ist, weil beispielsweise Fast Fraktionsvorsitzender - Fast Bundeskanzlerkandidaten Kandidat und Fast Bundespräsident Wolfgang Schäuble stammelnd erklärt, dass A.M. keine Konzepte vorlegen muss, weil eine Opposition nur herumzunörgeln braucht, ist schnell mal die SEEK Taste gedrückt. Doch es wird noch schlimmer. Station 1 bringt Fairlight-Pop mit schrillem Girliegekreische. Station 2 sendet einen ähnlichen Song, nur von einer andere Tusse gebrüllt. Station 3 serviert den gleichen Wein in Hip-Hop-Schläuchen und Station 4 verseucht den Äther mit der schwülstigen Schmusenummer einer knapp 20-jährigen Aufoperierten. Station 5 bessert das Budget mit überdreht-nervigen Werbespots auf und bei Station Nr. 6 beginnt der nächste Britney Jeylo Angelina - Verschnitt mit der Phon-Tortour. Bei Station 7 kapituliert der Sendersuchlauf vor Marianne und Michael.
Ich bin tatsächlich einmal vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk angerufen worden. Der WDR 2 bat mich, bei einem Musiktest mitzumachen. Man spielte 10 Songs an und ich sollte sagen, ob sie mir gefallen. Bei Liedchen Nr. 6 fragte ich schüchtern zurück, wann denn endlich mal ein anderes gespielt würde. Nach der Schweigesekunde stimmte mir die Interviewerin zu: "Ja, die hören sich wirklich alle ein bisschen gleich an." Es waren langweilige Popballaden, die mir zugemutet wurden. Absolut massenkompatibles Zeugs, ohne wirkliche Akzente, ohne Überraschungen, eigentlich ohne Alles reihte sich aneinander. Warum so ein Mist massenkompatible ist? Vielleicht, weil Musik von den Massen konsumiert wird, nicht aber gehört. Bitte denke sich jetzt niemand das Wörtchen "heutzutage" in den Satz, denn früher war es nicht anders. In diesem Jahrtausend mit seiner Medienvielfalt geschieht das alles nur noch schneller als in der "guten, alten Zeit".
Manchmal offenbart das Fernsehprogramm, in welchem Zustand sich eine Gesellschaft befindet.
Bevor jetzt alle lautstark beipflichten: Ich meine die Musiksender und nicht Big Brother, GSZS, Marienhof und ähnliche Sahnestücke deutscher Fernsehunterhaltung.
Bei MTV, Viva und so weiter habe ich bisher leider nur drei Arten von Musik mitbekommen. Chartmusik, besteht aus den Sommerhits, Hip-Hop und ganz selten mal Metal. Aber dann auch immer gleich das wirkliche Todeszeug. Ausnahmen bilden Rocksendereihen wie "Crossroads" vom WDR oder auch die Shows, die von 3-Sat gezeigt werden. Aber leider sind die in der Minderheit. Was bleibt, ist der arbeitsfreie Samstagmorgen und der MTV Schock. Sehr gut anzusehende Mädels (ich gebe es ja zu) singen irgend einen Mist, wenn sie das denn mal selber machen. Dabei führen sie dann erotisierende Fruchtbarkeitstänze auf (hechel, hechel, lechz). Das war am aller ersten Samstag ja ganz interessant, irgendwann im Januar 1986, aber: Soll das wirklich alles gewesen sein?
Manchmal offenbart die Fachpresse, in welchem Zustand sich eine Gesellschaft befindet.
Aber, die finde ich ganz gut. Denn in Blättern wie Good-Times, Eclipsed und so weiter, wird sich um Nischenmusik gekümmert. Die einen konzentrieren sich auf den Rock der 70' er und der 80'er Jahre, die anderen beackern die Progressiverockszene und noch andere halten die Stemmeisen des Schwermetalls hoch.
Was die ganze Sache auf den Punkt bringt: Massenmedien bedienen nun mal keine Nischen. Oder, sie machen das nur ganz selten.
Was bleibt? Tja, Radio nur als Informationsmedium nutzen und das Fernsehen wirklich nur ganz selektiv einschalten.
Ansonsten mal wieder eine gute CD rauskramen und sich mit einem Buch in einen kuscheligen Sessel pfläzen. Oder eben die RockTimes anklicken, und sich über empfehlenswerte Scheiben zu informieren, News abzurufen oder was Geistreiches ins Forum zu schreiben.
Wir lesen uns
Eure RockTimers


Olli "Wahn" Wirtz, 15.05.2005