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The Sad Flowers / Desolation – CD-Review

The Sad Flowers / Desolation – CD-Review

Das geht ja gut los, wenn die beiden belgischen Musiker Jan Ooms und Jany Claeskens die Musik ihrer Band The Sad Flowers wie folgt beschreiben: »Their music style is hard to define but time will tell…«.

Die in Antwerpen beheimate Formation ist eine Studioband und unter diesem Namen seit 2013 unterwegs. Interessant scheint mir die Tatsache, dass die musikalische Sozialisation bei Jan auf Namen wie Bryan Ferry, Robert Palmer, Phil Collins, Paul Carrack, Jean Michel Jarre oder Vangelis verweist, während Jany von Hard Rock, Progressive Rock, Heavy Metal, Rock, AOR, Art Rock, Folk Rock und Blues spricht.

Gleich der Opener lässt Großes erwarten. Filmreif, bzw. wie Musik zu einem edlen Fantasyepos schälen sich die ersten Klänge aus den Lautsprechern. Tieffrequent, rollend und Magie verströmend wabern die Frequenzen durch den Äther, der Bass setzt einen Herzschlag, dem sich das Schlagwerk hinzugesellt und schon sind wir mitten drin in einer "Sphere", die großformatig dahintrabt, Gitarre und Keyboard setzen dezente Tupfer und alles in allem erinnert das an das großartige Debüt von Alan Parsons Project.

Die einerseits angenehme und dabei auch (zwar irgendwie wohligen) Grusel verbreitende Stimmung lässt mich an ein riesiges Raumschiff denken, welches über der Erde parkt und die Menschheit zu Spekulationen betreffend den Absichten der Aliens treibt. Und da wären wir dann schon bei dem Konzept des Albums, das sich um die momentanen globalen Zustände dreht. Um eine mögliche Evolution, ausgelöst durch das Verhalten der Menschen der Natur und den Bewohnern der Erde gegenüber. Passend zum Thema sind auch die Motive auf dem sechsseitigen Digisleeve sowie im 16-seitigen Booklet, die der Künstler Mieke Janssens nach den Ideen der Musiker gestaltet hat.

Der zweite Track des Albums, "Deep", greift meine Raumschiff-Idee auf, denn die Anfangsgeräusche lassen in der Tat an einen Kommandostand mit fremder Technik denken. Düstere Tunes trotz klarer Gitarre schweben ein und der gekonnt vorgetragene Gesang zum instrumentalen Dur- und Moll-Geschehen lässt unweigerlich an Wardruna denken. Jan und Jany bauen extreme Spannung auf, setzten auf eine einerseits schön-schaurige Melodie und zerschlagen sie dann (ebenso gekonnt) durch Wechsel des Tongeschlechts. Das ist großes Kino und selbst die achteinhalb Minuten sind eigentlich recht kurz, für diesen musikalischen Film.

"Distance" bewegt sich im gleichen Fahrwasser und wieder ist es eine Freude, der Stimme Jan Ooms zum düsteren Umfeld zu lauschen. Auch die Gitarre hat in dieser Nummer einen Ritt zu absolvieren, ohne jedoch den Grundtenor des Stücks zu verletzen. Im Begleitschreiben tauchen Angaben wie Rock, Hard Rock, Alternative Rock sowie Cold Wave auf. Für mich ist die Musik trotz alternativ-rockiger Spuren (hauptsächlich der Gitarre wegen) allerdings eher dem Prog Rock zuzuordnen. Cold Wave findet sich dann vielleicht ab und an beim Gesang, denn geshoutet wird eher nicht, die Vocals werden stellenweise in einer Mischung aus Erzählmodus und Singen dargeboten.

"Payback Time" lässt mich das eben Geschriebene stellenweise fast zurücknehmen, denn dieser Song ist schon doch ein (gezähmter) Rocker. Fast so, als hätten AC/DC und Beggar’s Opera eine Liason getestet.
Die beiden Musiker zeigen auf ihrem zweiten Output (nach dem 2017er gleichnamigen Debüt) nicht nur das berühmte Händchen für majestätisches Großwand-Auftreten, sondern flechten immer wieder Hinhörer ein, die begeistern. Ob das nun eine sphärische Gitarrenpassage, zarte und fast verloren wirkende Pianoklänge oder was auch immer ist. Über allem sind aber immer starke Harmonien vorhanden, deren Wirkung durch abrupte Tonartwechsel enorm verstärkt wird.

"Deception" zeigt ein weitere Pfund der beiden: das Songwriting. Spannung erzeugen durch düster schleppenden Rhythmus, durch das Einstreuen kurzer (synthetischer) klassischer Streicherstellen und klerikal wirkender Backings. Auch die Sirene zu Beginn beim auf Deutsch gesungenen "Rücksichtslos" ist gut gewählt, um den Hörer zu packen und den Fokus auch auf die Lyrics zu legen. Diese sind übrigens allesamt im Booklet abgedruckt. Diese Nummer rockt gut nach Vorne und steht in extremen Kontrast zum folgenden "Sadness", das wieder dem Duktus surrealer Landschaften und dem immer noch über dem Erdball schwebenden Raumschiff folgt; trotz absolut realem Text … »The pain won’t go away cause this sadness is here to stay«. Dazu soliert eine Gitarre wie von einer anderen Welt.

Verklärt auf bessere Zeiten rückblickend ertönt "Rock Heart" und ist musikalisch das Stück mit den meisten Dur-Anteilen. Sonor-sanft dazu die Stimme von Jan Ooms. Einfach toll, wie die Kompositionen den Hörer gefangen nehmen. "Rain" ist der zweitlängste Track der Platte und wieder ein starkes Stück Prog. Süßliche Klanglandschaften konkurrieren mit der eindringlichen Aussage des Textes, bevor der Watchtower das Album mit den Worten »Yet It’s so hard to see a solution – Once more the day has turned to night« adäquat beendet.

Tolles Werk der beiden Belgier, das geradezu nach einer Fortsetzung schreit. Alleine schon wegen des Raumschiffes. Hut ab nicht nur für die Musik auf "Desolation" sondern auch für das ganze Drumherum, denn die zwei Musiker zeichnen auch alleine für Produktion, Aufnahme, Mix und Mastering in Jans Studio verantwortlich.


Line-up The Sad Flowers:

Jan Ooms (lead vocals, keyboards, programming, backing vocals)
Jany Claeskens (all guitars, bass, keyboards, programming, backing vocals)

Tracklist "Desolation":

  1. Sphere (4:25)
  2. Deep (8:26)
  3. Distance (5:35)
  4. Doubt (3:26)
  5. Payback Time (4:16)
  6. Sad Flowers (5:26)
  7. Scorpions & Snakes (5:29)
  8. Deception (5:53)
  9. Rücksichtslos (4:42)
  10. Sadness (6:01)
  11. Rock Heart (4:38)
  12. Rain (7:38)
  13. Watchtower (4:54)

Gesamtspielzeit:70:14, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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