Karthago / Love Is A Cake
Love Is A Cake Spielzeit: 43:21
Medium: CD
Label: MiG Music, 2012 (1978)
Stil: Krautrock


Review vom 04.02.2012


Steve Braun
Es ist immer wieder beruhigend festzustellen, dass vorschnelle und wohl dem jugendlichen Leichtsinn geschuldete Fehlbeurteilungen einer Platte, sich mit mehr als dreißig Jahren Zeitdifferenz korrigieren können. "Love Is A Cake" ist so ein Album. Mit Herzblut und voller Überzeugung hätte ich die Scheibe kurz nach dem Erscheinen im Jahr 1978 verrissen. Es handelte sich um den letzten Output Karthagos und ich war seinerzeit völlig überzeugt, dass das auch gut so war. Pfeifendeckel, es mangelte damals eindeutig an einer differenzierten Betrachtungsweise.
Aus dem zeitlichen Abstand betrachtet, handelt es sich bei "Love Is A Cake" um ein kleines Meisterwerk - aber eben nur um ein kleines, denn Second Step und vor allem
Rock'N Roll Testament ziehe ich trotz allem auch heute noch vor.
Karthago waren seit jeher die 'nordamerikanischste' deutsche Band. Ihre Songs hatten durchweg internationales Format und wären wohl teilweise durchaus 'Billboard-tauglich' gewesen. "Love Is A Cake" war nun ein noch deutlicherer Schritt in 'mainstreamige' Gefilde. Diese flüssige Konsumierbarkeit war seinerzeit sicherlich der ausschlaggebende Kritikpunkt. Aber wenn man in der Retrospektive auf die Werke der Zeitgenossen wie Wallenstein oder Lucifer's Friend blickt, die in ähnlichen Gewässern wilderten, muss man konstatieren, dass "Love Is A Cake" bedeutend überzeugender als deren Erzeugnisse ausgefallen ist.
Kann man hier überhaupt von einem Karthago-Album sprechen oder handelt es sich nicht eher um ein Joey Albrecht-Soloalbum? Beides richtig, würde ich sagen. Ohne Leute wie Ingo Bischoff oder Tommy Goldschmidt war Karthago eigentlich nicht mehr vorstellbar. Andererseits setzte Joey Albrecht den eingeschlagenen Weg (seinen Weg!!) zu mehr Songorientierung und damit eines höheren kommerziellen Erfolgs konsequent fort.
Knapp zwei Jahre nach dem Split 1976 versuchte Joey wieder, eine Karthago-Formation zusammenzubringen, die diesen Namen auch verdient. Zu unterschiedlich waren allerdings die musikalischen Vorstellungen der Gründungsmitglieder. Lediglich Ringo Funk, 1976 als Tour-Drummer zu den Berlinern gestoßen, konnte überzeugt werden. Als Keyboarder konnte der großartige Chico de los Reyes, vor politischer Verfolgung aus seiner chilenischen Heimat geflüchtet, verpflichtet werden. Einzig ein adäquater Bassist wurde nicht gefunden; also musste Joey selbst ran.
"Love Is A Cake" ist als ein Konzeptalbum zum Thema 'Liebe' zu verstehen. Es handelt sich um ironische, teilweise auch selbstkritische Geschichten über Beziehungskisten, ein treffliches Thema für einen Rockstar. T.M. Fabian hat alle Texte geschrieben, während Joey Albrecht in Personalunion als Komponist, Arrangeur, Produzent, Sänger, Gitarrist und Bassist fungierte. Und er hat nichts dem Zufall überlassen - jeder einzelne Ton ist reiflich überlegt gesetzt worden!
Das fällt gleich beim eröffnenden, munter abrockenden "Rock'n'Roll Man" auf. Wer ist denn da für die (weiblichen?) Chöre verantwortlich? Da das Booklet keinen Hinweis auf Gastsängerinnen gibt, bleibt nur die Möglichkeit, dass Joey und Chico, die im Line-up als Sänger notiert sind, in mühsamer Kleinarbeit wer-weiß-wie-viele Spuren eingesungen haben müssen. Gerade diese Chöre brillieren in fast allen Songs und geben "Love Is A Cake" einen dicken nordamerikanischen Touch!
"The Friend" ist ein erstes kleines Perlchen - ein Track, der durch das glockige Fender Rhodes und das einem Synthesizer ähnliche Gitarrensolo noch am ehesten auf die früher bekannten, jazzrockigen Elemente setzt. Die Ballade "Rosie" wird einzig mit der Akustischen begleitet und Joey kann seine Qualitäten als erstklassiger Sänger in den Vordergrund stellen. "Remember" lebt von seinen Rhythmuswechseln zwischen souligem und südamerikanischem Flair. "I Will Live" stellt sich als wunderbar konsumierbarer Easy-Listening-Track mit gewaltigem Hitpotenzial heraus - genau so ein Song, der einen seinerzeit geradezu magisch auf die Tanzfläche seiner Stammdisco gezogen hat.
Kurz zuvor war der Moog-Bass erfunden worden und ein gewisser Peter Frampton hatte die Talk Box einem breiten Publikum bekannt gemacht. Von beidem macht Joey Albrecht beim Titelsong reichlich Gebrauch. Der schwerblütige, leicht soulige Song gehört zu den besten in Karthagos gesamter Schaffensphase. Bei "Woman" wird dann nach längerer Auszeit mal wieder das Tempo angezogen und mit dem eingängig-'funkigen' "Dreams Of Love" fortgeführt. Hier ist ein Groove präsent, der an die Zeiten mit Tommy Goldschmidt erinnert.
"Doing The Best I Can" stellt ein weiteres, dickes Ausrufezeichen dar. Sehr schön wird hier das Tempo variiert - die Talk Box findet im Solo ein weiteres Mal Verwendung. Knackig-prickelnd knallt der treibende Funk von "Crazy Woman" daher, der in einem typischen Wah Wah-Solo Joeys mündet. Einen Country-Rocker hatten wir bis "Ira Lee" noch nie in Karthagos-Repertoire gefunden. Ein Honkytonk-Piano und grölender Gesang lassen zum Abschluss eine bierselige Saloon-Atmosphäre aufkommen.
Wo ist "Love Is A Cake" also in Karthagos Diskographie einzuordnen? Das Album ist zwar eingängiger als jeder seiner Vorgänger, aber zu 'glatt', wie es viele seinerzeit empfanden?? Vielleicht, aber dafür hochelegant - möglicherweise die beste US-Mainstream-Scheibe, die jemals in Deutschland produziert wurde. Ich kann die Kritiker von damals nur dazu einladen, "Love Is A Cake" noch einmal auf sich wirken zu lassen...
Bonusmaterial ist auf dieser Neuauflage von MiG Music leider nicht zu hören. Wahrscheinlich gab es aus dieser Phase, die das vorläufige Ende der Band einleiten sollte, kein brauchbares Material. Nach einem Tour-Desaster und geplatzten US-Träumen ging Joey Albrecht wenig später erst einmal auf Tauchstation. Dafür hat man (wie es zum Standard dieses Labels gehört) das Booklet sehr informativ gestaltet. Neben seinen Liner-Notes schreibt Ex-Produzent, -Manager und -Fotograf Cornelius Hudalla zu jedem Titel ein paar Zeilen zum Verständnis. Einmal mehr eine sehr erfreuliche Veröffentlichung aus dem Hause MiG!
Line-up:
Joey Albrecht (vocals, guitar, bass)
Chico de los Reyes (piano, vocals)
Ringo Funk (drums, percussions)
Tracklist
01:Rock'n'Roll Man (2:22)
02:The Friend (3:49)
03:Rosie (3:31)
04:Remember (4:20)
05:I Will Live (4:26)
06:Love Is A Cake (4:54)
07:Woman (4:09)
08:Dreams Of Love (4:01)
09:Doing The Best I Can (4:40)
10:Crazy Woman (3:35)
11:Ira Lee (2:30)
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