Wir bieten unsere Kunst wie Sauerbier an.
Bernd Aust RockTimes im Gespräch mit Bernd Aust, Gründungsmitglied der DDR-Rocklegende electra




Fotos: Axel Clemens

Artikel vom 30.09.2007


Ingolf Schmock
RockTimes: Erzähle uns doch bitte etwas über die aktuelle Besetzung und die musikalischen Anfänge von electra.
Bernd: Aktuell spielen bei uns Gisbert Koreng (Gesang), Peter Ludewig (Gesang), Falk Möckel am Schlagzeug, Wolfgang Riedel am Bass, Andreas Leuschner an den Keyboards, Eckehardt Lipske an der Gitarre und Bernd Aust an Flöte und Saxophon.
Wir haben anfangs versucht, wie jeder andere Musik zu machen und als dann in der ehemaligen DDR die Bewegung einsetzte, Rockbands auch im Radio zu produzieren, haben wir uns mit angestellt. Wir hatten dann auch dieses Glück und so nahm das Geschick seinen Lauf.
(electra produzierten für den Rundfunk der DDR 1971 ihre ersten Studioaufnahmen. Die Red.)
RockTimes: Wird es zukünftig Veränderungen bei electra, oder sogar neues Studiomaterial von Euch geben?
Bernd: Veränderungen bei der derzeitigen Bandkonstellation sind nicht geplant. Was neues Material betrifft, haben wir die Erfahrung gemacht, dass nach der Wende unsere Plattenfirma zunächst weggebrochen ist, und es auch keine Angebote von der anderen Seite diesbezüglich gab. Ich finde, ein Produkt herzustellen, ohne dass man es auch verkaufen kann, ist doch sinnlos.
Bernd AustRockTimes: Habt ihr nicht Angst, irgendwo in Stagnation zu geraten?
Bernd: Nein, wir stagnieren ja schon seit 1989, aber uns geht es damit ganz gut und wir haben nach wie vor Spaß am Musizieren. Man muss ja nicht dringlich immer neue Musik erfinden, das hätte nur Sinn, wenn man eine Möglichkeit bekommt, sie anderen Leuten zugänglich zu machen.
Wenn ein Weg nicht existiert, so kann man ihn auch nicht beschreiten. Einfach etwas aus Ehrgeiz zu produzieren oder abzusondern was keiner hören kann, dazu haben wir doch keine Lust. Es würde vielleicht funktionieren, wenn wir unsere ursprüngliche Plattenfirma (Amiga) noch hätten, das geht einigen Bands aus dem Osten genauso.
Johnny Cash hat zum Schluss ja auch nicht seine Plattenfirma gewechselt, sondern es war ein Prozess eines gemeinsamen Arbeitens, und wenn dieser unterbrochen wird, gerät es eben meistens in eine Sackgasse.
Man kann nicht überall Sieger sein, es gibt auch Wege, auf die man verzichten muss. Wir haben acht Platten geschaffen, inklusive vieler Einzeltitel, die jetzt wieder als CD erhältlich sind.
RockTimes: Für mich persönlich galt eure "Adaption"-Langspielplatte immer als eine meisterliche Veröffentlichung seiner Zeit. Könntest Du dir vorstellen, in dieser musikalischen Konzeption noch einmal etwas aufzunehmen?
Bernd: Ich glaube, wir haben es damals sehr intensiv ausgeschöpft. Die für uns geeigneten klassischen Kompositionen haben wir verarbeitet, ich sehe da kein Potential mehr für uns, es sollten dabei schon ein paar Inhalte transportiert werden.
RockTimes: Wird es zukünftig weitere Auftritte bzw. Projekte mit dem Sachsendreier (electra, Lift, Stern Combo Meissen) geben?
Bernd: Es ist nicht abgebrochen, doch die Intensität hat natürlich etwas nachgelassen.
Das Projekt ist leider auch nicht ganz billig, es sind drei Bands inklusive kompletter Beschallung und Lichttechnik, das bedeutet für den Veranstalter ein Stück Risiko. Nach dem ersten Boom sind Sachsendreier-Auftritte stark zurückgegangen, weil das Publikum einfach momentan damit übersättigt ist. Es soll auch nur eine Facette von uns bleiben, wir wollen letztendlich doch lieber einen kompletten Konzertabend beschreiten als nur sechs Titel spielen zu dürfen.
Es war eine gute Idee, die sich jetzt einfach erschöpft hat.
Bernd AustRockTimes: Wie bewertest Du die Rolle der ostdeutschen Musikkultur?
Bernd: Ich weiß nicht, ob man diese so auseinander nehmen sollte - wir haben es jedenfalls früher nicht so empfunden. Wir haben immer konsequent deutschsprachige Rockmusik gemacht, die sich von westdeutschen Liedern kaum unterschieden hat, höchstens bei der Qualität der Texte, die im Osten meist anspruchsvoller bzw. tiefgründiger waren.
RockTimes: Zweifelsohne ist "Tritt ein in den Dom" ein Erfolgstitel bzw. Meisterstück von electra. Kannst du uns etwas über dessen Entstehungsgeschichte erzählen und stimmt es, dass es in der DDR zeitweise auf dem Index stand?
Bernd: Es war einfach so, dass dieses Lied im Rundfunk nicht mehr gespielt wurde, weil die Kulturfunktionäre, die darüber zu bestimmen hatten, ängstlich waren und glaubten, wir würden "Tritt ein in die Kirche" singen, was natürlich nicht der Fall war.
Wir waren damals Czeslaw Niemen-Fans, der ja auch recht sakrale, stark von der Orgel geprägte Kompositionen hervorbrachte, und der uns durchaus inspirierte. Der Text reifte zuerst, nachdem wir unsere Ideen an Kurt Demmler, unseren damaligen Textschreiber, herangetragen hatten. Um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, suchten wir dazu einen möglichen Sänger, welchen wir dann auch in Stefan Trepte gefunden haben.
RockTimes: Wie geht es Stefan Trepte momentan?
Bernd: Stefan Trepte ist Ende Mai bei einem Auftritt von der Bühne gefallen. Sie war stockdunkel, bzw., er hat sich in der Länge der Bühnentreppe geirrt. Das Fazit ist ein vierfacher Unterschenkelbruch, der auch operiert wurde, aber jetzt einfach nicht komplikationsfrei verheilt. Deshalb kann er momentan auch nicht mit uns auf der Konzertbühne stehen und wir haben unseren früheren Sänger Gisbert Koreng (war 1975-1989 bei electra. Die Red.) wieder animiert.
RockTimes: Könntest Du dir eine Reunion bzw. eine erneute Zusammenarbeit mit eurem ehemaligen Sänger Manuel von Senden (Die Sixtinische Madonna. Die Red.) vorstellen?
Bernd: Zu jemanden, der mich überwacht und angelogen hat, und seine 'informelle Mitarbeit' (beim ehem. Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Die Red.) immer abgeleugnet hat, obwohl dies bewiesen wurde, hat man keine menschliche Beziehung mehr. Manuel hat schon länger ein Engagement am Grazer Opernhaus, aber eine Zusammenarbeit zwischen ihm und electra wird es definitiv nicht mehr geben.
Bernd AustRockTimes: Nach 1989 versanken zunächst einige anerkannte DDR-Künstler in ein tiefes Loch! Was habt Ihr in diesem Zeitraum getan bzw. empfunden?
Bernd: Das Loch war ja für Alle erst einmal im Osten real, aber wir hatten eigentlich schon eine gewisse Vorahnung, weil wir auch bereits im Westen spielen durften, d.h. wir wussten von den Geschäftsgebaren dieser Musikindustrie. Deshalb war es keine Überraschung für uns.
Was wir gar nicht erwartet hätten, war die Tatsache, dass uns die Leute nach einiger Zeit einfach wieder hören wollten und sich daran erinnerten, dass electra doch gewisse Qualitäten vorweisen konnten.
Ich finde es völlig normal, dass bei einer gravierenden Veränderung eines Landes auch einige Brücken zusammenstürzen können. Dann sollte man eben versuchen, diese wieder zusammenzufügen. Ich für meinen Teil bin Realist, und einmal davon abgesehen was Links und Rechts von uns so passiert, würde es mich freuen, mit electra noch einige Zeit vor einem begeisterten Publikum spielen zu dürfen.
Wir bleiben trotzdem für alle Seiten offen und bieten unsere Kunst weiterhin wie Sauerbier an. Dabei gerät man nicht in Versuchung sie zu beurteilen, sonst läuft man Gefahr, sich an den Meinungen derer zu orientieren, die es gezwungenerweise aus profitablen Gründen ablehnen.
RockTimes bedankt sich für das Gespräch und wünscht noch viele erfüllte Konzerte.
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