"Was ich noch erzählen wollte:" Markus Rill
Markus Rill Die Kolumne in RockTimes
von unseren Rockmusik-'Machern'
in ihrer eigenen Schreibe

Nashville/Würzburg oder Americana different style

Review vom 22.11.2008


Markus Rill
Die RockTimes-Redaktion freut sich, dass unsere neue Kolumne angenommen wird und mit dem Singer/Songwriter Markus Rill ein weiterer Künstler für uns zur Feder (bzw. Tastatur) gegriffen hat. Der Würzburger gehört in die erste Garde der europäischen Americana-Musikmacher. Als einziger Deutscher ist er beim spezialisierten Blue Rose-Label unter Vertrag - und reiht sich damit zwischen Größen wie Kris Kristofferson, Steve Earle, Buddy Miller oder John Hiatt ein. Seine letzten drei Studioalben hat Markus mit namhaften Session-Assen in Nashville aufgenommen und für eine ganze Reihe seiner Stücke Songwriterpreise geerntet, was ihm auch die Anerkennung von
Tom Waits und Jerry Lee Lewis einbrachte.
Exklusiv für unsere RockTimes-Leser erzählt er von der Live-im-Studio-Arbeit in der Music City und dem völlig anderen Schaffen an seinem neuen Album Bag Of Tricks. Dabei beleuchtet er ausführlich die Unterschiede zwischen beiden Aufnahmeverfahren und lässt uns ausgiebig hinter die Kulissen blicken. Auch für Musiker-Kollegen hat Markus einige Tipps parat, für die wir uns ebenfalls stellvertretend bedanken!
Liebe RockTimes-Leser,

als ich das erste Mal in Nashville aufgenommen habe, war mein Respekt riesengroß. Freitagnachts kam ich in Nashville an, am Montagmorgen sollte es ins Studio gehen mit Topmusikern, deren Namen ich von zig Booklets her kannte, die ich aber noch nie getroffen hatte. Ich hatte gehofft, am Wochenende mit Produzent und Gitarrist Duane Jarvis die Songs durchgehen und über Arrangement-Ideen sprechen zu können. Duane aber spielte am Wochenende bei einem Festival in Kanada und kam erst spät am Sonntag heim. Am Montagmorgen um 10 Uhr lernte ich die anderen Musiker kennen. In den nächsten zwei Tagen - länger dauerten die Aufnahmen der Basic Tracks für das Album "Hobo Dream" nicht - wurde so ziemlich alles, was ich bisher an Studioerfahrungen in Deutschland gemacht hatte, über den Haufen geworfen.
Live, live, live ist das Credo von Toningenieuren, Produzenten und Musikern auf der 'guten Seite' von Music City, East Nashville. Nachdem ich bei meinen ersten Aufnahmen 2004 dort noch vor allem an meinen eigenen Fähigkeiten, Gitarrenparts und Gesang live brauchbar aufs Band zu bringen, gezweifelt hatte, war ich bei meinem letzten Studioaufenthalt in Guitar Town fürs Album
The Things That Count davon überzeugt, dass Liveaufnahmen das bessere Ergebnis bringen würden. Nicht, weil ich drei Jahre später etwa ein perfekter Sänger und Gitarrist geworden wäre, sondern weil ich mittlerweile verstanden habe, dass Kunst von Emotion, Authentizität und Spannung lebt - und diese Qualitäten nur bei der Liveaufnahme auf natürliche Art entstehen.
Allerdings habe ich bei den mit sehr begrenztem Budget entstandenen Aufnahmen beim Nebenprojekt "Bag Of Tricks" gelernt, dass die digitale Welt des Datenaustauschs über Webserver musikalisches Zusammenspiel über Kontinente hinweg ermöglicht und dabei auch viel schöne Musik entstehen kann. RockTimes hat mich gebeten, mal die Vor- und Nachteile der verschiedenen Aufnahmetechniken aus meiner Sicht darzustellen.
Dies vorweg: Im Grunde genommen sind Liveaufnahmen unübertrefflich. Allerdings nur, wenn sehr gute Musiker zusammenspielen und Ihr, die Musikfans, Spontaneität, Feeling und den speziellen Funken, der nur dann entsteht, wenn tolle Musiker miteinander (nicht nacheinander) spielen, höher bewertet als Sterilität und Fehlerlosigkeit. Ihr seht an meiner Wortwahl, dass ich das tue. Ich denke, genau darum geht es bei handgemachter Musik, bei Rock'n'Roll im weiteren Sinne.
In Nashville läuft es so: Ich bereite für die Musiker Lead-Sheets in der so genannten Nashville Notation vor. Das heißt, da stehen keine Akkordnamen (C, D, G) und Taktstriche, sondern Zahlen (1 für den Akkord in der Tonart des Stücks, 4 für Subdominante, 5 für die Dominante) und Symbole (z.B. für vorgezogene Akkorde - 'push' oder 'split bars', Akkordwechsel innerhalb eines Takts). Im Regieraum des Studios spiele ich den Song dann ein-, zweimal nur auf der akustischen Gitarre vor. Dabei machen sich die Musiker Notizen auf ihren Sheets (schließlich hab ich gerade mal Grundkenntnisse in dieser Nashville Notation) und der Drummer findet das Tempo. Außerdem sag ich kurz was dazu, welches Feeling ich mir für den Song vorstelle, welche rhythmische Vorstellung ich davon habe und ähnliches. Allerdings liegen wir da meistens ohnehin auf einer Wellenlänge.
Dann geht jeder auf seinen Platz und setzt Kopfhörer auf. In den meisten Studios sind wir räumlich getrennt, haben aber Blickkontakt. Nun spielen wir den Song kurz an, schauen, ob das Tempo passt, probieren vielleicht die ein oder andere Arrangementidee kurz aus und checken eventuell eine heikle oder wichtige Stelle des Songs. Allerdings wird das nur lose skizziert, sozusagen Trockenübungen. Erst wenn wir aufnehmen gilt's. Die Toningenieure haben aber sehr oft ein feines Gespür dafür, wann die Trockenübungen in einen kompletten Take münden könnten. Schon mehr als einmal rollte der Song ganz gut an und der Toningenieur signalisierte uns dann weiterzuspielen, weil das Band bereits lief.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir jemals einen Song mehr als viermal gespielt hätten. Falls das nötig wäre, wäre das wohl ein Zeichen dafür, dass mit dem Song oder dem Arrangement etwas nicht stimmt.
Andererseits haben wir bei den Aufnahmen zum letzten Album tatsächlich mehrmals den sagenumwobenen 'First Take', den ich bis dahin für eine Legende hielt, hinbekommen. Beim Song "Sarah Stein", einem getragenen Sechs-Minuten-Stück, war uns allen klar, dass es schwierig würde, die nötige Spannung und Emotion mehrfach auf voller Länge zu halten. Tatsächlich war der erste Take so gut, dass wir keine weiteren Anläufe versucht haben.
Grundsätzlich gilt, dass die Performance immer wichtiger ist als Perfektion.
Natürlich machen die Jungs dort auch einen geilen Sound, aber sie unterbrechen nicht 'ne Session, die gerade gut läuft, um ein Mikro auszutauschen und dann 15 Minuten lang neu einzupegeln, bis jegliche Atmosphäre wieder zerstört ist, wie ich es in Deutschland oft genug erlebt habe. Natürlich gibt's Übersprechungen, wenn ich Gesang und Gitarre gleichzeitig live einspiele (das heißt, man hört etwas Gitarre im Gesangsmikro und man hört Gesang auf der Gitarrenspur, was den Mix erschwert), kann auch sein, dass mal die Bassdrum oder die E-Gitarre auf einer anderen Spur durchklingt. Aber wenn der Take geil ist, ist er nun mal geil. Dieses hör- aber nicht beschreibbare Feeling des Miteinander-Musizierens kommt einfach nicht zustande, wenn - wie in den 80ern üblich - erst der Drummer seinen Part klopft, dann der Basser dazuspielt und-so-weiter-nach-der-Reihe und anschließend alles zusammengefügt wird. Für mich ist es kein Wunder, dass 80er-Jahre-Platten, die auf diese Weise eingespielt wurden, lange nicht so lebendig klingen wie soundmäßig eher matschige Stones-Platten aus den 70ern.
Das heißt ja nicht, dass Overdubs verboten wären oder dass man nicht auch mal ein, zwei Takte ausbessert oder im Mix beim Gesang nicht mal eine Zeile oder Phrase aus den anderen Takes einfügt, ohne den Flow des Livetakes zu zerstören. Schließlich ist eine Studioaufnahme ein anderes Medium als ein Liveauftritt. Ich denke, in der Kunst gibt es ohnehin keine Dogmen. Unkonventionelle Ideen auszuprobieren, ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Schließlich kann nur der, der etwas ausprobiert, auch etwas Neues entdecken.
Deshalb habe ich bei den Aufnahmen zu meinem aktuellen Album "Bag Of Tricks" - einer Sammlung von Coverversionen - auch einiges ausprobiert, was meinem eigentlichen Credo des Live-Aufnehmens widerspricht. Im Grunde wurde ich dazu gezwungen. Vorwegschicken sollte ich, dass es nie einen Plan gab, ein Coveralbum zu machen. Die Aufnahmen der Songs kamen so etwa im Lauf der letzten drei Jahre zusammen.
Vor drei Jahren wollte ich mit einigen Kumpels das, was ich in Nashville gelernt hatte, in einem deutschen Studio umsetzen: Live aufnehmen, sogar soweit wie möglich, den Gesang live mitnehmen. Schließlich wollten wir einige Rock'n'Roll- und Countryklassiker einspielen, da verbot sich zu viel Gefrickel von selbst. Das lief auch soweit gut.
Allerdings fand sich in meinem Bekanntenkreis keine Sängerin, die als Partnerin für unsere Version des Johnny & June-Duetts "If I Were A Carpenter" in Frage gekommen wäre. Also fragte ich meinen Kumpel Jim Stringer in Austin, TX., ob er nicht eine Sängerin kennt, die mit mir duettieren könnte. In der nächsten Woche sang dann Sunny Sweeney mit umwerfend texanischem Charme in Jims Studio zu unserem per Datenaustausch übermittelten Playback, dass sie mich heiraten und ein Kind von mir haben wollte, selbst wenn ich ein Zimmermann wäre. Jim schickte uns ihre Gesangsspur wieder zurück und es klang fast, als ob wir uns beim Singen tief in die Augen gesehen hätten. Übrigens habe ich Sunny mittlerweile persönlich kennengelernt, ohne dass ich sie an ihr Versprechen erinnert hätte.
Weil das gut klappte, dachten mein Kumpel Todd Thibaud und ich, wir könnten der vom
Rich Hopkins-Fanclub im vergangenen Jahr an uns separat herangetragenen Bitte, einen Song ihres Idols aufzunehmen, auch im Duett erledigen. In Würzburg nahmen mein musikalischer Partner Andi Obieglo und ich das Gerüst des Songs auf, Todd spielte bei sich zuhause Mundharmonika und sang, Martin Huch spielte in Hannover eine tolle Slidegitarre dazu. ProTools macht's möglich!
Auf die Spitze trieben wir das Prinzip bei "Can't Help Falling In Love" im September. Eigentlich wollte ich Andi bei einer Demosession nur mal vorspielen, wie ich den Song umarrangiert habe. Andi sagte dann »das nehmen wir mal auf« und spielte noch ein Piano dazu. Dann haben wir überlegt, was der Song noch vertragen könnte. Unser gemeinsamer Freund Jan Hees hat in Karlsruhe Drums & Shaker beigesteuert und der tolle holländische Gitarrist Jan van Bijnen den Song wunschgemäß mit atmosphärischer Gitarre veredelt. Weil uns auf die Schnelle kein homerecording-affiner Kontrabassist einfiel, haben wir dafür ein Sample verwendet - trotzdem ist das Ergebnis zumindest für meine Ohren sehr gelungen.
Also was nun, live aufnehmen oder digital schnipseln?
Wenn das Budget groß und die Musiker klasse sind, würde ich immer vorziehen, live einzuspielen. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie viel ich dabei gelernt habe und wie viel es mir gebracht hat, mit hervorragenden Musikern zusammen zu spielen. Und nur im Livespiel kann unter den beteiligten Musikern ein schwer zu beschreibender, aber durchaus hörbarer Vibe entstehen, der den Song auf ein anderes Level heben kann. Das gilt für die Bühne wie auch für die Studioarbeit.
Weil aber das Geld oft knapp ist, weiß ich mittlerweile auch die Vorteile der digitalen Welt zu schätzen. Viele Kollaborationen sind heutzutage nur noch auf diese Art möglich. Und ein einzelnes Instrument einem live eingespielten Track hinzuzufügen, ist schließlich auch nichts anderes als ein Overdub. Und wenn es Euch nur so möglich ist, mit einem bestimmten Musiker zu spielen, der Euren Track deutlich verbessert, dann ist die Sache doch klar, nicht?
Prinzipiell halte ich das digitale Zusammenspiel bei ruhigeren und Midtempo-Stücken für einfacher als bei flotten, rockigen Nummern. Ich habe es als schwierig erfahren, die Energie eines Rocksongs aufzunehmen und mich einzufügen, als sei ich mit im Studio dabei gewesen.
Ganze Songs mehr oder weniger komplett zusammenzusetzen, würde ich nicht für ein gesamtes Album empfehlen - die Resultate sind oft steril, es fehlt das gewisse Etwas, das ein Album ausmacht. Für einzelne Stücke aber - Samplerbeiträge, Tributes oder ähnliches - halte ich es für einen gangbaren Weg.
Übertreiben aber solltet Ihr es nicht. Für meine Ohren ist ein starker Song in einer abgespeckten Version oft packender als eine aufgeblasene Produktion. Zum Abschluss deshalb noch eine Anekdote aus Nashville:
Bei den Aufnahmen für das Album "Hobo Dream" 2004 hatten wir in Vierer-Besetzung für den Song "Dying Bed" einen guten Take hinbekommen. Ich ging nahezu selbstverständlich davon aus, dass ich meinen Gesang noch mal aufnehmen würde und wir vielleicht noch eine Orgel und weitere Instrumente hinzufügen würden. Aber Toningenieur George Bradfute wurde deutlich: »I wouldn't touch that song with a ten-foot pole«, sagte er zu mir. Er meinte damit, jede Veränderung könnte die Atmosphäre unserer Aufnahme und die besondere Balance, die ihr innewohnt, zerstören. Ich habe auf ihn gehört und weiß heute, dass er Recht hatte.

Ich hoffe, dass auch Ihr für Eure Aufnahmen die richtige Balance findet.
Keep rockin',
Markus
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