Gov't Mule / Dub Side Of The Mule
Dub Side Of The Mule Spielzeit: 77:22 (CD 1), 72:39 (CD 2), 77:00 (CD 3), 72:39 (DVD)
Medium: CD/DVD-Box
Label: Mascot, 2015
Stil: Jam Rock, Reggae

Review vom 29.04.2015


Jürgen Hauß
Gov't Mule-Jubiläumsprogramm, die Dritte! Zum 20-jährigen Betriebsjubiläum haben die Mannen um Mastermind Warren Haynes in den Archiven gekramt und nach Dark Side Of The Mule und
Sco-Mule innerhalb von wenigen Monaten die dritte 'Sonderausgabe' aus ihrem Œuvre veröffentlicht (eine weitere, unter dem Titel Stoned Side Of The Mule wird zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des vorliegenden Reviews ebenfalls bereits erhältlich sein).
Brauchen wir wirklich innerhalb kürzester Zeit so viel altes Material dieser Band (zumal die Musik von "Dark Side Of The Mule" und des vorliegenden Albums sowie des kommenden "Stoned Side Of The Mule" bereits seit langem über die Homepage der Band (bzw. über Muletracks) als Download verfügbar ist)? Abgesehen davon, dass der wahre Mule-Fan wahrscheinlich sowieso alles sammelt, was erhältlich ist (ich jedenfalls bislang), enthalten die beiden erstgenannten Alben als 'Schmankerl' noch eine DVD-Dokumentation des jeweiligen Konzertes, sodass die eingangs gestellte Frage auf den ersten Blick mit einem eindeutigen »Ja« zu beantworten ist.
Doch da beginnt bereits der Frust über das vorliegende Paket. Hat man die DVD im Digipak endlich entdeckt (hinter CD 3 im Pappdeckel!) und ohne Beschädigung von DVD bzw. Hülle entnommen, bestätigt sich beim Einschub in den Player die Vermutung, die bereits bei Lektüre der Inhaltsangabe des Albums entstanden ist: Die DVD enthält (im Unterschied zu "Dark Side Of The Mule") nicht das gesamte Konzert, sondern ist lediglich inhaltsgleich mit CD 2. Schade, und eigentlich nicht erklärlich! Daher beginne ich die inhaltliche Rezension mit dem CD-Album.
Wir schreiben das Jahr 2006. In diesem Jahr haben Gov't Mule mit High & Mighty (insbesondere mit dem darauf befindlichen Song "Unring The Bell") sowie mit Mule On Easy Street eine gewisse musikalische Hinwendung zum Reggae vollzogen, gefolgt von dem wohl umstrittensten Mule-Album Mighty High, das im folgenden Jahr erscheinen sollte. Da war es nur konsequent, das traditionelle 'New Years Eve'-Konzert zum Jahreswechsel im Beacon Theatre in New York mit diesem Stil musikalisch zu prägen. Wer jetzt aber angesichts des eindeutig bestätigenden Plattentitels erwartet, dass das gesamte Konzert dem Reggae gewidmet sei, der irrt.
CD 1 gibt eigentlich ein typisches Mule-Konzert wider, insbesondere zu Silvester, zu dem auch Cover-Versionen anderer Künstler gehören. Vorliegend sind dies die Beatles-Songs "She Said, She Said" und "Tomorrow Never Knows" sowie der sehr nah am Original angelegte Procol Harum-Titel "Whiter Shade Of Pale" (genial: Danny Louis an der Orgel). Nach dem funkigen "Sco-Mule" beendet die wunderschöne Ballade "So Weak, So Strong" den 'ungedubten' ersten Teil des Konzerts. Wenn man die Informationen des Booklets richtig interpretiert, wurde der Abend bislang ausschließlich durch die Mitglieder von Gov't Mule bestritten. Dennoch befinden sich auf dieser CD noch zwei weitere Songs, die 'ohrenkundig' mit erweitertem Ensemble dargeboten wurden.
Und mit der Stones-Ballade "Play With Fire" bekommt man erstmals die "Dub Side Of The Mule" so regelrecht um die Ohren gehauen. Wer das 'steinerne' Original im Ohr hat, wird wohl erst beim Refrain das Cover erkennen. Noch krasser ist allerdings dessen Version auf "Mighty High" (Nomen est omen!). Und "Unring The Bell" kannte man ja bereits von "High & Mighty" (noch eine 'Dub-Stufe' draufgesetzt auf diesen Titel wurde später mit "Rebel With A Cause", wiederum auf "Mighty High"). Beide Songs entstammten daher tatsächlich dem '2nd Set', was durch einen Blick auf die Inhaltsangabe für das Konzert auf Muletracks bestätigt wird. Stilistisch hätten sie ohnehin auch eher zu CD 2 gepasst. Allerdings sind die Scheiben mit Musik derart vollgepackt (alle drei jeweils über siebzig Minuten), dass eine andere Aufteilung nicht möglich gewesen wäre, aber auf der DVD hätten die Songs spielend noch Platz gehabt.
CD 2 (und damit auch die DVD) wird eingeleitet mit dem Al Green-Klassiker "I'm A Ram" (bis heute auch ein Gov't Mule-Klassiker unzähliger Konzerte. Co-Leadgesang sowie eine zweite Gitarre steuert hier und im Folgenden Gordie Johnson (' Big Sugar) bei. Johnson hat Gov't Mule bereits bei "High & Mighty" produziert sowie "Mule On Easy Street" abgemischt. Da ist ja der Richtige bei diesem Konzert auch aktiv mit dabei! Er begrüßt das Publikum anschließend zu einer »Funky Reggae Party« und kündigt einen der musikalischen Stargäste an diesem Silvesterabend an: »The man, who invented the word 'Reggae', the reason you now speak the word 'Reggae Music'«: Die Legende aus Kingston, Jamaica: Toots Hibbert!
Und tatsächlich gerät die Nacht zu einer 'Funky Reggae Party': Die mit (wahrscheinlich künstlichen) Palmen und Fassaden einer 'inseltypischen' Bebauung bestückte Bühne bringen das Klischee-Bild, das man so allgemein von Jamaica hat, ganz gut rüber. Überall hängen überdimensionale Schallplatten mit dem Mule-Logo und später prasselt noch der silvesterübliche Luftballonregen auf Musiker und Publikum herab.
Toots Hibbert hat das Publikum sofort im Griff und animiert es durchgehend zum Mitsingen bzw. Mitmachen. Das Repertoire des Konzerts wechselt ab diesem Moment zu ausschließlich typischem Hibbert-Repertoire, überwiegend Eigenkompositionen (unter seinem Originalnamen Frederick Hibbert und einigen Coversongs (darunter zwei Kompositionen von Otis Redding).
Insbesondere - da man mit dem Video endlich auch die gesamte Band zu Gesicht bekommt, die in dieser Nacht auf der Bühne stand - sei sie an dieser Stelle einmal erwähnt. Neben Gov't Mule, zu denen zu jener Zeit der Bassist Andy Hess gehörte, spielt auf dem Balkon eine wirklich tolle Bläser-/Percussion-Fraktion, bestehend aus Buford O'Sullivan (Posaune), den beiden Damen Pam Fleming (Trompete), Jenny Hill (Saxophon) sowie dem Percussionisten Sean Pelton. Zu erwähnen sind selbstverständlich auch die beiden Background-Sängerinnen Machan Taylor (übrigens die Ehefrau des Mule-Keyboarders Danny Louis!) und Elaine Caswell (wobei ich nirgendwo im Netz eine Bestätigung für die auf RockTimes an anderer Stelle gemachte Aussage, dass es sich hierbei um Schwestern handeln soll, gefunden habe. Aber da lasse ich mich gerne eines Besseren belehren!).
Zurück zum Konzert: Bei "Pressure Drop" streift sich Hibbert die Lederweste ab und eine Gitarre über und gibt dabei einen guten Überblick über seinen eigenen Klangkörper! Gut tun m. E. Hibbert und Gov't Mule daran, den Otis Redding-Klassiker "I've Got Dreams To Remember" bei dem zu belassen, was er ist: eine wunderschöne Soul-Schnulze! Kein Reggae, kein 'Dub', aber dafür Soul pur! Das Publikum dankt es sichtlich. Dass aber auch der Reggae Soul hat, besagt schon der nächste Song; er hätte durchaus auch "Reggae Meets Soul" heißen können. Bei "Hard Road" ist hingegen wieder zu hören, was ich so lange vermisst habe: die jaulende Gitarre von Warren Haynes. Hingegen löst Tools Hibbert hier eine Zeitlang Danny Louis an der Hammond B3 ab und zeigt, dass er auch dieses Instrument spielen kann. Stark hier wiederum die Bläserfraktion, die - jedes Mitglied für sich - einige Soli darbieten kann.
Das anschließende "Should Old Acquaintance Be Forgot" (Happy New Year) passt musikalisch nicht ganz in den Rahmen, war aber zeitlich sicherlich geboten. Ganz im Gegensatz zu dem letzten Song unter Mitwirkung von Toots Hibbert, "Turn On You Love Light": Hier tanzt der Bär bzw. das Beacon Theatre unter dem bereits angesprochenen Luftballonregen in den Farben rot, gelb und grün, die man ja irgendwie automatisch mit dem Reggae verbindet. Und es ist wie bei einem Fußballspiel: Kurz vor Ende der Spielzeit (bzw. kurz vor einer weiteren Pause) verlässt der Star die Bühne, um ihm den gebührenden Applaus des Publikums zukommen zu lassen. Den Schlusspunkt dieses Sets bildet einer der Mule-Klassiker schlechthin: "Soulshine", hier natürlich als "Reggae Soulshine". Grundsätzlich gefällt mir das Original zwar besser, aber die vorliegende Interpretation ist eine durchaus erfrischende Alternative!
Mit Teil 3 des Konzerts wird wiederum eine stilistische Wendung vorgenommen, hin zum Southern Rock der Allman Brothers Band, interpretiert durch die weiteren Gastmusiker Gregg Allman & Friends, also authentisch. Das klingt über weite Strecken halt so, wie man es von ABB erwartet hätte, also: gut (natürlich reine Geschmackssache)!
Aufgelockert wird es ein wenig durch den weiteren Gastmusiker John Popper mit seiner Bluesharp. Im Gegensatz zu Gregg und seinen Freunden bleibt dieser bis zum Schluss und gibt insbesondere den letzten Stücken der Nacht, die nach insgesamt knapp vier Stunden Spielzeit endet, eine bluesige Note. Wenn man von diesem Set einen Song herausheben müsste, wäre das für mich allerdings "It's A Man's Man's Man's World", das quasi übergangslos aus dem 'Vorläufer' "Endless Parade" entwickelt wird. Musikalisch über weite Strecken fast schon minimalistisch dargeboten, steckt Warren Haynes derart viel Soul in den Gesang und seine Gitarrensoli, dass man dahin schmelzen möchte. Eine angemessene Verbeugung vor dem Autor und Original-Interpreten dieses Songs James Brown, der sechs Tage vor dem Konzert verstorben war.
Abschließend noch ein paar Technikalien: Hinter CD 1 findet sich ebenfalls im Pappschuber ein gerade einmal achtseitiges Booklet, das im Wesentlichen die Songs sowie die auftretenden Musiker auflistet. Die Band ist über jeden Verdacht erhaben, allzu großzügig mit Informationen oder Bildmaterial um sich zu werfen. Um aber dennoch die Gefahr zu bannen, das Booklet oder die DVD (bzw. auch die Gesamtverpackung) zukünftig zu beschädigen, habe ich beides in ein Slimcase gesteckt, das nun neben dem Album das Regal füllt.
Der Klang der CDs und das Bild der DVD sind gut, bei der DVD sind Stereo- bzw. 5.1-Klang möglich. Die Bildregie ist ruhig - Totalbilder, die auch oft das Publikum mit erfassen, wechseln in gutem Verhältnis mit Portrait-Aufnahmen, sodass man gerne zuschaut. Aber - wie gesagt - leider nur bei einem Drittel des Konzerts, was mein Gesamt-Resümee leider negativ beeinflusst. Wen das nicht stört, dem sei das Album durchaus zu empfehlen.
Line-up:
Warren Haynes (guitar, vocals)
Matt Abts (drums)
Danny Louis (keyboards)
Andy Hess (bass)

Guests:
Toots Hibbert (vocals, guitar)
Gordon Johnson (guitar, vocals)
Machan Taylor (background vocals)
Elaine Caswell (background vocals)
Buford O'Sullivan (trombone)
Pam Fleming (trumpet)
Jenny Hill (saxophone)
Sean Pelton (percussion)
Gregg Allman (keyboards, vocals)
Val McCallum (guitar)
Jerry Jemmott (bass)
Steve Potts (drums)
Joy Collins (saxophone)
Neil Larsen (keyboards)
John Popper (harmonica)
Tracklist
CD 1:
01:Thorazine Shuffe (9:34)
02:Larger Than Life (6:21)
03:She Said, She Said (4:13)
04:Tomorrow Never Knows (7:41)
05:Whiter Shade Of Pale (6:40)
06:Dolphineus (1:47)
07:Painted Silver Light (8:55)
08:Sco-Mule (10:16)
09:So Weak, So Strong (5:36)
10:Play With Fire (7:25)
11:Unring The Bell (11:01)
CD 2:
01:I'm A Ram (6:21)
02:54-46 Was My Number [with Toots Hibbert] (5:03)
03:Hard To Handle [with Toots Hibbert] (5:12)
04:True Love Is Hard To Find [with Toots Hibbert] (6:05)
05:Pression Drop [with Toots Hibbert] (4:31)
06:Let Down [with Toots Hibbert] (2:38)
07:I've Got Dreams To Remember [with Toots Hibbert] (5:55)
08:Reggae Got Soul [with Toots Hibbert] (7:27)
09:Hard Road [with Toots Hibbert] (9:54)
10:Happy New Year (1:00)
11:Turn On Your Love Light [with Toots Hibbert] (6:38)
12:Reggae Soulshine (12:00)
CD 3:
01:Intro (0:32)
02:Sweet Feeling [with Gregg Allman & Friends] (3:37)
03:Just Like A Woman [with Gregg Allman & Friends] (8:30)
04:I Feel So Bad [with Gregg Allman & Friends] (9:18)
05:Dreams [with Gregg Allman & Friends] (10:44)
06:Million Miles From Yesterday (5:36)
07:Endless Parade (7:05)
08:It's A Man's Man's Man's World (6:05)
09:Ramblin' Gamblin' Man [with John Popper] (7:58)
10:It Hurts Me Too [with John Popper] (7:31)
11:Goin' Out West [with John Popper] (10:10)
DVD:
01:I'm A Ram
02:54-46 Was My Number [with Toots Hibbert]
03:Hard To Handle [with Toots Hibbert]
04:True Love Is Hard To Find [with Toots Hibbert]
05:Pression Drop [with Toots Hibbert]
06:Let Down [with Toots Hibbert]
07:I've Got Dreams To Remember [with Toots Hibbert]
08:Reggae Got Soul [with Toots Hibbert]
09:Hard Road [with Toots Hibbert]
10:Happy New Year
11:Turn On Your Love Light [with Toots Hibbert]
12:Reggae Soulshine
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