The Juke Joints / Let It Roll
Let It Roll
Eine Platte, zwei Meinungen. Olaf legt vor und Mike schiebt nach.

Olafs Meinung:
Liebe Freunde der Musik, ich muss gestehen, dass der Rezensent ein wenig ratlos ist.
Ups, wie kann das passieren?
Ganz einfach, mir flatterte vor kurzem das zehnte Album der niederländischen Combo The Juke Joints ins Haus und umgehend in den Kasperplayer. Wenn ich ehrlich bin, erwartete ich etwas in Richtung Jump-Blues, Jump 'n' Jive, Rockabilly, Rock 'n' Roll und fröhliches Geboppe.
Ha, ha, ha, geschnitten, typischer Fall von Fehleinschätzung und mangelhafter Vorrecherche meinerseits, denn stattdessen bläst mir eine stürmische Harp entgegen, die Rhythmusgitarre rockt vor sich hin, ein Sänger mit knödeliger Kaputtstimme krächzt durch die Gegend und eine aggressiv in den Vordergrund gemischte Leadgitarre jault schon mal kurz auf ("Million Miles From Nowhere"). Es folgt ein knackiger Boogierocker ("Let It Roll"), also eigentlich für mich das endgültige Startsignal, die Luftgitarre auszupacken und kräftig auf dem Sofa rumzuturnen. Zwischendurch sägt sogar eine Slidegitarre, gespielt vom Gastvirtuosen Marcel Scherpenzeel.
Aber wieso bleibe ich sitzen?
Als nächstes klimpert ein Boogie Woogie - Piano, gespielt vom Gastmusiker Han van Dam, während Gastsängerin Tineke Schoemaker die "Louella" mit dem Umbrella anstimmt, ursprünglich ein Stück der großen Marcia Ball. Jetzt habe ich schon drei von insgesamt vier Gästen namentlich erwähnt, aber wo bleibt die eigentliche Band?
Ach ja, gegen Ende von "Louella" versteigt sich Gitarrist Michel 'Boogie Mike' Staat in ein Soli, dass im Stile eines Alvin Lee daherkommt, dessen Klasse aber nicht erreichen kann. Aber immerhin, nomen est omen , der Mann spielt hörbar eine klassische Stratocaster.
Anschließend springt mir eine schön swingende Basslinie ins Ohr (Peter Van Merode), eine Harp ('Sonnyboy' V.D. Broek gibt gerne den Williamson) bläst den beschwingten Marsch, die Rhythmusgitarre schrammelt dazu, die Drums (Bandleader, Sänger und Mandolinenspieler Peter Kempe) stolpern vorwärts, der Gesang knödelt immer noch und eine Strat 'lärmt' zwischendurch ("Double Talk"). Bei mir kommt endgültig der Verdacht auf, dass mich weder Peter Kempes Gesang, noch 'Boogie Mikes' Gitarrenspiel erwärmen können.
Bewegten wir uns bisher im Bereich von R&B-Pub-Rock, Boogie-Rock und beherztem Boogie Rock, so ertönt jetzt mit "Blues For The Soul" ein gefühlvolles Instrumental in der Schnittmenge von Stevie Ray Vaughan und einem Landsmann der Juke Joints, nämlich Julian Sas. Das Problem ist nur, dass hier Michel Staat im direkten Vergleich den Kürzeren zieht.
Gleiches passiert beim folgenden "Treat My Baby", das auffällig an Dr. Feelgood gemahnt, aber vor allem Michel Staat kann nicht wirklich gegen Leute wie Wilko Johnson, John 'Gypie' Mayo oder Steve Walwyn bestehen.
Vielleicht mag das jetzt etwas anmaßend rüberkommen, aber in Anbetracht der Tatsache, dass die Juke Joints auf einem Pfad längst erschlossenen Terrains wandeln, lassen sich Vergleiche nicht vermeiden und es ist wie immer: Wer trotzdem auf sich aufmerksam machen will, muss Besonderes zu bieten haben. Und genau da liegt bisher die Krux der Platte. Zumindest meine Wenigkeit kann bis hierhin das Besondere noch nicht entdecken. Es ist freilich solide, keine Frage, aber nicht mehr.
Daran ändert zunächst auch die bluesrockige Bearbeitung von John Lee Hookers "I'm In The Mood" nicht viel, auf der wir David Snel als viertem Gast das Schlagwerk bedienen hören. Immerhin glänzt hier wieder Marcel Scherpenzeel an der mitreißend gespielten Slidegitarre.
Was folgt, rollt mir eher die Fußnägel hoch, nämlich Dave Alvins prinzipiell unkaputtbares "Marie Marie", durch die flotte Rockabilly-Bearbeitung eines Shakin' Stevens vor nunmehr auch schon 26 Jahren zu größeren Hitehren gelangt. Hier endet das Stück leider als Rohrkrepierer, obwohl die Variante mit Akkordeon gar keine so schlechte Idee ist.
Bezeichnenderweise erweist sich das zweite Instrumental der Platte ("The Rumble") als erster wirklicher, wenn auch sehr kurzer Höhepunkt und leitet damit die Wende zum Besseren ein. Plötzlich ist flockig leichter, mitreißender Groove drin, die (eingeschlafenen) Füße müssen einfach mitwippen. Dieses Phänomen, vor Kraft kaum Laufen zu können, ist hier wie weggeblasen. Auch das folgende "You Got To Move" swingt fluffy vorwärts und erinnert angenehm an John Mayall And The Bluesbreakers, nur dass dieser mit den prägnanteren Gitarristen glänzen konnte/kann.
Jetzt kommen wir zum meiner Meinung nach ersten absoluten Höhepunkt der Platte, nämlich den von Tineke Schoemaker wunderbar gesungenen "99 Pounds", herrlich leichtfüßig groovend, absolut zwingend und mit leichtem Funkyeinschlag. Erstmals kann ich mich auch mit dem Gitarrensound gut anfreunden.
Ein großes musikalisches Vorbild der seit über zwanzig Jahren existierenden Band ist immer Rory Gallagher (RIP) gewesen. Habe ich im Unterschied zu manch anderem Rezensenten davon bisher nicht wirklich etwas gehört, so gibt es beim "Bullfrog Blues" natürlich keine Zweifel, denn er ist in dessen Arrangement gespielt. Peter Kempe lässt die Mandoline erklingen und bemüht sich auch stimmlich, ans große Vorbild heranzukommen.
Anschließend überraschen uns die Juke Joints mit einem Song von Steve Earle ("Steve's Last Ramble"), der mich an die Zeit des jungen und draufgängerischen Bruce Springsteen erinnert und ziemlich roh und unbehauen 'rausgerotzt' wird. Eine schöne Abwechslung, die dem Album sehr gut bekommt und auch der Band überraschend gut zu Gesicht steht.
Zum Schluss kommen wir noch in den Genuss von drei 'Special 'After Hours' Bonustracks'. "Out Of The Blue" offenbart dabei keine neuen Erkenntnisse, sondern shuffleboogied sich mit guter Harp so dahin, während "Boogie At Midnight" schlicht und ergreifend programmatisch ist und allen Canned Heat - Freunden sehr gut gefallen dürfte. Immerhin, es geht wahrlich beherzt zur Sache, aber einmal mehr scheint mir der 'Boogie Mike' einfach zuviel zu wollen. Weniger ist manchmal mehr - ich weiß, ich weiß - eine uralte Binsenweisheit, aber nichtsdestotrotz nach wie vor gültig.
Davor gibt es aber noch das zweite absolute Highlight der Platte zu bewundern. Die Mandoline setzt ein, Peter Kempe bedient sich völlig unerwartet seiner Landessprache und plötzlich befinden wir uns mitten in Gallagher's "Going To My Hometown"! Dazu noch die Harp von 'Sonnyboy' V.D. Broek und fertig ist eine richtig gut gelungene Hommage. Und sie kommt im Vergleich mit einigen Teilen des Albums wesentlich emotionaler, ja lebendiger rüber. Von dieser Sorte hätte ich mir mehr gewünscht, auch außerhalb des Gallagher-Spektrums.
Fazit:
Es ist schon eine verzwickte Sache, aber das Album ist insgesamt gesehen nicht Fisch und nicht Fleisch. Zu große Teile kommen über eine gewisse Solidität nicht hinaus, während andere Sachen sehr wohl zu Tage treten lassen, dass eigentlich mehr drin gewesen wäre. Hätte dieses Album wie bei einer LP zwei Seiten, so wäre meines Erachtens die zweite Seite deutlich stärker als die erste. Hier zeigt die Band gute Ansätze, sich über den Durchschnitt heben zu können.
Mike sieht das anders:
Die niederländische Band The Juke Joints sind mittlerweile seit 22 Jahren in Sachen Blues, Boogie und Rock 'n' Roll unterwegs. Die Jungs haben mit "Let It Roll" ihr zehntes Album aufgenommen. Dazu haben sie sich ein paar Gäste ins Studio geholt und einen feinen Silberling zusammengebastelt.
Um es vorweg zu nehmen: bei dieser Scheibe schafft es kein Fuß der Welt still stehen zu bleiben. Zu sehr rütteln die Boogierhythmen an den Beinen.
Los geht es mit "Million Miles From Nowhere". Das Stück stampft von Anfang an mächtig los. Die Harp bläst ein paar tolle Soli in den Song. Boogie-Rock à la Status Quo bringt sofort Stimmung in die Bude. Es folgt der Titeltrack "Let It Roll", der sich nahtlos an seinen Vorgänger hängt, zwar etwas boogiebetonter, aber immer noch mächtig rockt. Marcel Scherpenzeel verstärkt die Juke Joints mit einer herrlichen Slidegitarre.
"Louella", im Original von Marcia Ball, wird durch das Boogiepiano von Han van Dam gestartet und von Tineke Schoemaker gesungen. Beide spielen in der Band Barrelhouse , die ich 2004 schon im 'C.C.O.G.' in Duiven (NL) gesehen habe und die dort eine hervorragende Show abgeliefert haben.
Das Piano groovt durch den Song und die Stimme von Tineke passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Die Pianosoli fügen sich wunderbar ein, während die Gitarre die Nummer rhythmisch zusammen hält, um gegen Ende des Stückes das Schlusssolo zu übernehmen.
Mit leichten Countryeinschlägen geht es weiter. "Double Talk", ist wieder eine Eigenkomposition der Band. Mit einer sehr schönen Mundharmonika und einem treibenden Groove. Danach wird es ruhiger. "Blues For The Soul" verrät im Titel schon, wo die Reise hingeht. Der Song ist rein instrumental und recht gitarrenlastig.
Aber mit "Treat My Baby", geht's in gewohnter Manier weiter. Die Harp bläst wieder ein paar schöne Einlagen und ein tolles Solo. Das bringt die Füße wieder zum wippen. Klasse Party-Nummer.
Die Juke Joints schalten wieder einen Gang zurück. Der John Lee Hooker Song "I'm In The Mood" wird auf die bandeigene Art und Weise interpretiert; mit sehr schönen Gitarrensoli und Slideeinlagen von Marcel Scherpenzeel und einem stampfenden Rhythmus von Bass und Drums.
Ein nächstes Cover folgt: "Marie Marie", damit landete Shakin' Stevens seinerzeit einen Riesenhit. Das Stück kommt klasse rüber und groovt wieder mächtig. "The Rumble" ist wieder ein bluesiges Instrumental mit minimalen Jazzeinflüssen. Boogieblues würde ich auch die nächste Komposition - "You Got To Move" - katalogisieren. Diesmal mit Gesang und einem längeren Gitarrensolo.
Bei "99 Pounds" übernimmt Tineke Schoemaker wieder den Gesang und Han van Dam spielt das E-Piano dazu, dazwischen ist immer wieder die Harp zu hören und das Gitarrensolo kommt kraftvoll rüber.
Eine Überraschung ist für mich der "Bullfrog Blues", der mir von Rory Gallagher noch sehr gut im Ohr ist und der immer recht ausufernd gespielt wurde. Hier dauert das Traditional gerade mal 2:09 Minuten und wird mit der Mandoline gespielt. Der Gesang ist verdammt nah an Rory Gallagher und das Harpsolo macht den Song zu einem Highlight auf dieser Scheibe. Das sollte aber noch nicht die letzte Überraschung auf dieser CD sein. Mehr dazu später.
"Steve's Last Ramble", wieder ein Cover, diesmal von Steve Earle, wirkt etwas uninspiriert und ist das einzige Stück auf der Scheibe, das mir persönlich nicht so gut gefällt. Ist mir unerklärlich, denn die Jungs haben es doch drauf!
Es folgen drei 'Special 'After Hours' Bonustracks': Als erstes gibt es den Boogiebluesrocker "Out Of The Blue" wieder als Instrumental. Der Song macht mächtig Druck. Die Harp soliert sich durch den kompletten Track, ohne Langeweile aufkommen zu lassen. Das geht gut ab.
"K Gae Wee Naer Uus Toe" ist die nächste Überraschung auf der Scheibe, im Original von Rory Gallagher und heißt auf dessen Platten "Going To My Hometown". Der Text wird hier auf Holländisch gesungen. Leider verstehe ich davon kein Wort. Die musikalische Interpretation ist auf jeden Fall gut gelungen.
Zum Schluss gibt es noch den "Boogie At Midnight", der aus der bandeigenen Feder stammt aber gesanglich wieder sehr stark an Rory Gallagher erinnert.
Fazit: Mit "Let It Roll" haben die The Juke Joints den passenden Titel zum Album gefunden. Das Teil groovt wie Sau und ist sicher auf jeder Party ein Knaller. Bluesboogierock ohne Kompromisse und Schnörkel.


Spielzeit: 62:08, Medium: CD, Rounder Records, (2005 in den NL)/2006
1:Million Miles From Nowhere 2:Let It Roll 3:Louella 4:Double Talk 5:Blues For The Soul 6:Treat My Baby 7:I'm In The Mood 8:Marie Marie 9:The Rumble 10:You Got To Move 11:99 Pounds 12:Bullfrog Blues 13:Steve's Last Ramble 14:Out Of The Blue 15:'K Gae Wee Naer Uus Toe 16:Boogie At Midnight
  
Olaf 'Olli' Oetken & Mike Schröder, 18.03.2006