Porcupine Tree / 29.10.2009, Haus Auensee, Leipzig
Support: Rose Kemp
Porcupine Tree Porcupine Tree, Support: Rose Kemp
Haus Auensee, Leipzig
29. Oktober 2009
Konzertbericht
Stil: New Art Rock, Folk/Doom Metal
Fotos: ©Axel Clemens



Artikel vom 11. November 2009


Ingolf Schmock
Die Göttlichen und das Biest
Porcupine Tree und Rose Kemp gastierten im Leipziger Haus Auensee
Porcupine TreeWieder wurde ein eher skeptischer Musikgenießer entgegen allen Mutmaßungen eines Besseren belehrt, dass selbst nach zwei Jahrzehnten kreativster Arbeitsweise am äußersten Limit sowohl im musikalischen als auch im kompositorischen Ideenbereich der künstlerische Lack zwangsläufig nicht immer dem Zerfall preisgegeben werden muss, und wenn, darunter gegebenenfalls eine jungfräulich glänzende Schicht mit ihrem Schimmer aufzuwarten vermag. Der begnadete Songschmied und unheimlich sensibilisierte Tonmeister Steven Wilson, welcher noch mit der Schulmappe unter dem Arm die Siebziger- und Früh-Achtziger-Musikweisheiten mit einem übergroßen Silberlöffel eingetrichtert bekam, kann sich heute, nach einem steinigen, aber dennoch immer zielgerichteten Karriereweg, mit Fug und Recht die Lorbeeren für die Versöhnung zwischen kunstvollem Rock, kernigem Metal und gefälligem Mainstream an sein noch jugendliches Haupt heften.
Porcupine TreeVon der »unterbewertesten Band des Planeten« bis zur »wichtigsten Rockband der 'Neuzeit'« reichen die Ausbrüche und Lobpreisungen so mancher Kritiker, welche Wilsons königliche und multitalentierte Truppe Porcupine Tree nicht mehr aus einer ernstzunehmenden, zeitgenössischen Musiklandschaft auszuschließen vermögen. Über die unzähligen Konstellationen des mittlerweile 42-jährigen Multiinstrumentalisten und Reglerautodidakten zu referieren, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen - sie verhalfen ihm aber den Schöpfungsanspruch mit all seinen Charakteristika und seinem marktunabhängigen Anspruch eines perfekten Rockproduktes zu vergegenständlichen. Dessen ganzheitliche Detailliebe und maßgeschneiderte Kompositionssprache gipfeln derzeit in der aktuellen Studioerfindung The Incident - eine kohärente Stunde und geradezu einschüchternde Reputation des bisherigen Schaffens, die unter kryptischen Texturen, nebst düster verzerrten Gitarrengrollen, auch emotionsgeladenen Prog- und Pop-Momenten huldigt.
Porcupine TreeWilsons lebendiger, knabenhafter Gesang in einer üppigen bzw. soliden Tonlandschaft, welche mit sparsam programmierten Beats fast herbstliche Symptome in sich birgt, als komplexen Vortrag auf die Konzertbühne zu bugsieren, grenzt an ein mutiges Wagnis ohne Gleichen, zeigt aber auch des Künstlers Drang und Akribie, Porcupine Trees inspiriende Soundgebilde nicht zu unantastbaren Pseudo-Studiotüfteleien verkommen zu lassen. Dass ein konzertanter Abend des Meisters und seiner personifizierten Genien mittlerweile nicht mehr nur einer Versammlung eingefleischter Individualisten und Insider gleichkommen muss, zeigte sich beim Leipziger Gastspiel des virtuosen Quartettes, welches durch den amerikanischen Gitarristen John Wesley verstärkt sein zyklisches Songmantra als Stückgut und ohne doppelten Boden publikumsnah feilbot. So wurden die musikalisch verarbeiteten Ereignisse eines Lebens und dessen Diskrepanzen zwischen Gegenwart und traumatischen Einschnitten im ersten Konzertteil durchaus massendynamisch und in vollendeter Soundqualität aufgeführt, stürzten den Betrachter, angestachelt durch fragmentierte Videokomponenten teils in ein extremes Gefühlschaos, anderseits in eine penible instrumentale Ordnung.
Porcupine TreeHier wurden prähistorische Protometal-Denkmäler durch scharfkantige E-Gitarrenriffs aufpoliert, ein Quäntchen verfremdete Psychedelia aus der Zeitmaschine gezerrt und mit wohldosierten Melodienanwandlungen zu einem leicht entzündlichen Cocktail der modernen Rockmusik geschüttelt. Mit einer Prise drolliger Elektronik im Rücken, agierten die Herren Musiker dennoch recht geschmackssicher und energetisch in der exponierten Szenerie, ohne dabei der Versuchung zu unterliegen, durchaus konventionell gedroschene Rockakkorde in einem klipprigen Breitwandkleister ertränken zu mögen.
Porcupine TreeDas prätentiöse und mit unheimlicher Finesse ausgestattete Schlagzeugsspiel von Gavin Harrison, Colin Edwins hypnotisch wuchtiger Bass, Richard Barbieris subtile Synthesizerwolken, welche schon bei dem introvertierten Glam-Popper "Japan" für raffinierte Zwischentöne sorgten, errichteten mit einigem testosteronen Feinsinn und musikalischer Extravaganz eine kaltschnäuzige Mischung aus futuristischem Metal, Art Rock und Powerpomp-Zutaten, in denen der barfüßige Zeremonienmeister nebst Gehilfen mächtige konturenreiche Gitarrenwände beisteuerte. Was man auch immer von ihrem Auftritt erwartet hatte, die Jungs um den bescheidenen Vordenker lösten nach einer kurzen Unterbrechung noch ganze neunzig Minuten lang ziemlich viel ein, überraschten das gebannte Publikum wiederum nicht mit glamourösem Stampfrock, sondern beförderten ohne Qualitätsverluste einige ausgeklügelte musikalische Prunkstücke aus fünfzehn Jahren Veröffentlichungsgeschichte unvernebelt auf die historischen Bretter. Teilweise schienen die eklektischen Kompositionen nahezu übermächtig, thronten wie ungeschlachtete Tabernakel von kontrollierten Mathematikerformeln durch dem Raum, um diesen zwischendurch mit gebremster stählerner Härte und Floyd'scher Selbstversunkenheit zu durchstreifen.
Porcupine TreeDass die Musik der Briten außerhalb jeglicher Drei-Akkorde-Schemata bis dato einige Ansprüche an den Zuhörer zu stellen vermochte, und diese aus dem Kellerdasein ans öffentliche Licht beförderte, ohne dabei die Bodenhaftung zu verlieren, gleicht heutzutage schier schon einer märchenhaften Saga. Da grenzt es für einen Schreiberling schon an ein Wunder, entgegen allen Unkereien nach medialen Überschätzungen, die göttlichen Retter des 'Neuen' Art Rocks bei der kleinkrämerischen und perfektionistischen Bühnenumsetzung Wilson'scher Hirngespinste, die Flammen der musikalischen Leidenschaft noch verstärkt lodern lassen zu sehen.
Porcupine TreeDas Vorprogramm dagegen sorgte für einige Irritationen, obgleich die gruftig bekleidete hippieeske Lady augenscheinlich eher einer Hammer-Schauermär-Kulisse entflohen zu sein schien, oder sich gar als Ozzys unehelicher Seitensprung attestierte, und wie eine Hohepriesterin düstere Verse bizarrer Todessehnsüchte und besonnener Melancholie oktavenreich in die Menge deklamierte. Für eine knappe halbe Stunde zeremonierte die gerade einmal 24 Lenze zählende Künstlerin die spärlich ausgeleuchtete Bühne, begleitet von einem tiefstgestimmten schroffen Bass und schleppenden Schlagwerk, um in schwerlastiger Metal-Manier einen von Effektgeräten betriebenen Orkan, hinter dessen stimmgewaltigen Aufbegehren mitunter kuschelige Folk-Befindlichkeiten und zornige Ausbrüche aufblitzten, die überdrehten Verstärker in Glut zu verwandeln.
Porcupine TreeSo bietet der fleischgewordene Liebesbeweis von Maddy Prior und Rick Kemp, welche beide nach wie vor als Mitglieder der britischen Folklegende Steeleye Span agieren, mit wohldosiertem Kalkül seine limitierte Mixtur von elterlichen Stil-Weisen und satanisch zerschredderten Hard Rock-Attitüden. Rose Kemps Drittling "Unholy Majesty" entpuppte sich im letzten Jahr als eine komplexe Offenbarung für den Blätterwald, ein musikalischer Quantensprung vom niedlichen Indie Folk zum hartgesottenen Düsterrock, welcher mit seiner widerspenstigen Form der Romantik, die Hoffnung auf weitere kreative Biester aus dem popkulturellen Schattenreich ebnete. An diesem Abend jedenfalls demonstrierte die blutjunge Britin, dass Frauen im Musikgeschäft nicht immer schöne und gefällige Opfer sein müssen, sondern auch dickköpfige Handwerkerinnen mit dem Willen zum Anderssein, und Kämpferinnen für eine neue feminine Rock'n'Roll-Trendwende mit abgrundtiefer Authenzitität vorleben können.
RockTimes bedankt sich für die freundliche Unterstützung bei Jane Sakel (MAWI Concert Konzertagentur GmbH und dem Personal Haus Auensee, Leipzig.
Bilder vom Konzert
Porcupine Tree    Porcupine Tree    Porcupine Tree
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