Sampleritis
Zwischenruf Wieviele Sampler braucht der Fan?



Zwischenruf vom 05.08.2010


Jürgen Hauß
Man nehme gute Musiker und tolle Songs, mische diese gehörig durcheinander, presse sie auf CD und heraus kommen: 'Sampler' oder, genauso neudeutsch 'Compilations'. Eines vorweg: Ich habe nichts gegen Sampler, wenn sie in ihrer Zusammenstellung (es gibt ja doch noch ein deutsches Wort dafür) einen erkennbaren Mehrwert bieten, denn oftmals ist es einfach interessant und abwechslungsreich, für längere Zeit nicht nur ein und denselben Musiker (bzw. Band) zu hören. Und deshalb habe ich mich - zunächst völlig unvoreingenommen - der jüngst erschienenen und von dem geschätzten Joachim 'Joe' Brookes – was die Musik betrifft völlig zu Recht – sehr positiv beschriebenen Zusammenstellung "This Is The Blues" (siehe die Teile 1, 2, 3 und 4), genähert.
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"This Is The Blues" - fürwahr eine vermessene Bezeichnung für eine aus lediglich vier CDs bestehende Reihe, signalisiert sie doch einen Absolutheitsanspruch in Form eines Blues-Kanons (i.S. eines unabdingbaren Kerns von Blues-Stücken), den man besitzen muss, um die wesentlichen, das Genre prägende Stücke in seiner Blues-Bibliothek zu führen. Geradezu vergleichbar anmaßend wie der größte deutsche Automobil-Hersteller derzeit seine Werbung beendet mit der - lediglich die eigene Marke betreffenden - Aussage: »Das Auto!«.
Zugegeben - und von Joe in seinen Rezensionen richtigerweise beschrieben - es handelt sich durchweg um tolle Songs, deren Klasse jedoch nicht unbedingt die Kompositionen an sich ausmachen. Vielmehr erfahren diese Titel vorliegend zumindest überwiegend ihre Besonderheit durch die jeweils zusammen spielenden Musiker.
Aber: Es handelt sich wohl kaum um einen ausreichenden Querschnitt, um 'The Blues' abschließend zu repräsentieren. Dafür ist insbesondere die Songauswahl thematisch äußerst beschränkt und der Umfang insgesamt zu knapp.
Und noch ein 'Aber': Vorliegend kann ich den oben eingeforderten Mehrwert absolut nicht erkennen, denn letztendlich handelt es sich nur um das weitere Ausschlachten bereits in ähnlicher Zusammenfassung veröffentlichten Materials, worauf Joe ja auch schon bereits zumindest teilweise hingewiesen hat. Fast die Hälfte der insgesamt 60 Titel stammt von dem Sampler "Peter Green Songbook" aus dem Jahr 2000, der fünf Jahre zuvor schon unter dem Titel "Rattlesnake Guitar: The Music Of Peter Green" und danach noch mehrere Male auf unterschiedlichen Plattenlabels wieder veröffentlicht worden ist. Ein weiteres knappes Viertel der Songs stammt von der CD "From Clarksdale To Heaven - Remembering John Lee Hooker" aus dem Jahr 2002, wobei dieses Album - glaubt man entsprechenden Angaben auf amazon.de - in Kürze ebenfalls wieder veröffentlicht werden soll. Beide vorgenannten Sampler sind vollständig (!) übernommen worden - wenn auch auf den vier Scheiben vorliegend schön vermischt. Nicht ein Track, der damals mit dabei war, fehlt bei der Wiederveröffentlichung!
Ansonsten: Zwei Aufnahmen von Savoy Brown, die ja auch insoweit aus dem System ausbrechen, als hier die Band geschlossen musiziert und keine Drittmusiker dabei sind, stammen beide von dem Original-Album der Band "The Blues Keep Me Holding On" aus dem Jahr 2000 (die dritte vorliegende Savoy Brown-Aufnahme "Stop Messin' Round" war ja zumindest schon beim "Peter Green Songbook" mit dabei).
Und die übrigen Songs? Auf den ersten Blick ist jedenfalls kein inhaltlicher Zusammenhang erkennbar. Sehr unterschiedliche Interpreten und insbesondere auch die unterschiedlichsten Komponisten sind hier vertreten. Allerdings handelt es sich bei letzteren sicherlich um 'Klassiker' wie Muddy Waters, Big Joe Turner, Howlin' Wolf, Robert Johnson, um nur einige zu nennen. Doch auch hier gibt es eine 'Klammer', denn auch alle diese Titel stammen von ein und demselben Sampler, nämlich der CD "Knights Of The Blues Table", erstmals - soweit ersichtlich - veröffentlicht 1997/1998 auf dem Label Lightyear. Und umgekehrt gilt wieder das bereits bezüglich der beiden anderen Vorlagen Gesagte: Auch diese CD ist hier komplett verwertet worden.
Und damit hört die Rechtfertigung für die jetzige Neuveröffentlichung endgültig auf. Vier CDs, die - mit Ausnahme der beiden oben genannten Savoy Brown-Aufnahmen - nichts anderes sind, als die x-te Wiederverwertung alten Materials, getreu dem Motto: Wir werfen ein paar CDs in einen Sack, schütteln ihn gut durch und heraus kommt etwas völlig Neues, zumindest aber etwas, womit man wieder einmal Geld machen kann. Und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen: Man veröffentlicht nicht eine 4-CD-Box, denn das wäre zu billig. Man verkauft die Tracklist auch nicht als zwei Doppelalben (obwohl jeweils zwei CDs am selben Tag veröffentlicht wurden; zudem würde der knappe Platz im heimischen CD-Regal geschont), denn auch die Do-CDs müssten noch zu billig angeboten werden. Nein: Vier einzelne CDs können, wenn auch für einen - einzeln betrachtet - durchaus günstigen Preis, letztendlich insgesamt teurer verkauft werden. Gestaltet man das Ganze als Reihe, nimmt zudem einen derart manipulativen Titel wie vorliegend (s.o.), wird sich der durchschnittliche Käufer auch nicht lediglich mit nur einer CD zufrieden geben, weil des Menschen Jäger- und Sammlertrieb ihn geradezu zwingen wird, die Serie komplett zu erwerben.
Und vielleicht hat das Ganze ja auch noch genug kommerziellen Erfolg, dass man über eine Fortsetzung dieses 'Kanons' nachdenken kann; genügend Blues-Sampler, die man neu mischen kann, gibt es ohnehin schon!
Dennoch, um dem Ganzen bei aller Kritik einen positiven Abschluss zu geben: Wer die o.g. Alben nicht bereits sein Eigen nennen kann, wer die unterschiedlichen Künstler schätzt und die interpretierten Songs mag, und wer sich schließlich auch nicht von meinen Ausführungen beeinflussen lässt, für den ist "This Is The Blues" eine gut gelungene Zusammenstellung hervorragender Songs, die man sich unbedingt zulegen sollte.