Nektar / Down To Earth
Down To Earth Spielzeit: 37:35
Medium: LP
Label: Sireena Records, 2012 (1974)
Stil: Rock


Review vom 02.05.2012


Steve Braun
»Die Zeit heilt alle Wunden« heißt es, aber nicht nur das: Sie macht auch milder und gnädiger! Außer dem 1977er Longplayer "Magic Is A Child" ist wohl kein Album aus der Diskographie Nektars derart 'gebasht' worden wie "Down To Earth". Ein Jahr nach dem Überflieger Remember The Future, dem kreativen Höhepunkt der Band, waren die sehr eingängigen Songs des 1974er Nachfolgers eine ganz herbe Enttäuschung... zumindest seinerzeit. Aus der Retrospektive betrachtet scheint dieser krasse stilistische Schnitt, weg vom progressiven Krautrock [jawohl, obgleich Briten wurden Nektar stets der deutschen Szene zugeordnet!!] hin zu kommerzielleren Klängen, durchaus nachvollziehbar. Warum eigentlich nicht einmal etwas Neues wagen, wenn man sich nicht sicher ist, ob man einen Geniestreich wie "Remember The Future" noch 'toppen' kann?
Aber Musikliebhaber sind oftmals (sehr wohlwollend ausgedrückt) wertkonservative Menschen und Veränderungen gegenüber eher skeptisch und so drückten die deutschen Fans "Down To Earth" seinerzeit genervt in die Tonne. Aber in den USA trafen Nektar damit ins Schwarze - mit Gold dekoriert gingen Nektar auf eine gefeierte US-Tour. Mit dem nächsten Studioalbum, "Recycled" (1975), setzte man übrigens neue, sinfonische Akzente. Man kann also sagen, dass die Jungs um den Sänger und Gitarristen Roye Albrighton seinerzeit wirklich in Bewegung waren!
Fast vierzig Jahre später weiß "Down To Earth" dagegen mit seinen kompakten Songs größtenteils zu gefallen. Die etwas 'überkomprimierten', fast 'mainstreamigen' Nummern "Astral Man", "Early Morning Clown" und "Fidgety Queen" fallen zwar etwas ab, jedoch nicht so, dass man sie nicht goutieren könnte.
"Down To Earth" ist ein Konzeptalbum, wie so oft in Nektars Karriere. Da das menschliche Leben bekanntlich wie ein Zirkus ist und man ständig Gefahr läuft, entweder vom Seil zu stürzen oder von großen Tieren gefressen zu werden, erscheint es durchaus trefflich, dieses Thema konzeptionell auszuschlachten. Das Artwork samt Inner-Sleeve ist dementsprechend gestaltet. Als Zirkusdirektor fungiert kein Geringerer als der damalige Hawkwind-Sänger Bob Calvert. Da zu einer anständigen Zirkusmusik 'Blech' gehört, engagierte man sieben Bläser, darunter den durchaus bekannten, britischen Saxophonisten Steve Gregory (bei Honky Tonk Woman kann man ihn u. a. hören). Die Stücke werden, wie in einer echten Zirkusvorstellung, durch Ansagen verwoben. So entsteht durchaus so etwas wie Zirkusatmosphäre.
Ein Tusch... dann beginnt der "Astral Man" mit einem 'straighten' Rock'n'Roll, für Nektar'sche Verhältnisse gewöhnungsbedürftig einfach gestrickt. Da weiß der "Nelly The Elephant" - stimmgewaltig angekündigt - bedeutend mehr zu gefallen. Beim Einlaufen des Dickhäuters übernehmen die Bläser zu schwerfällig stampfenden Rhythmen erstmals die Szenerie und 'kochen' den Songs langsam aber zielstrebig zum Siedepunkt - geil!! "Early Morning Clown" würde man dagegen eher der Spätphase der Pilzköpfe zuordnen: Das ist Pop mit deutlicher psychedelischer Färbung... und genau so geht's mit "That's Life" gleich munter weiter.
Tubas und Posaunen setzen bei "Fidgety Queen", der 'Königin der Zappelphillipe', die Akzente. Der flotte Hard-Rocker hält keine Sekunde lang 'die Füße still'. "Oh Willy" ist vielleicht die stärkste Nummer der Albums. Das 'Gebläse' setzt zunächst 'soulige', fast 'funkige' Klangfarben, bevor der Song stoppt und nach einem ruhigen, beinahe jazz-rockigem Zwischenspiel die hektische Stimmung wieder komplett neu aufgebaut wird. Highlights sind hier Allan Freemans hämmerndes Hohner Clavinet und das furiose Solo mit dem Wurlitzer Piano. Mit "Little Boy" wird die obligatorische Ballade, so ganz im US-Stil gehalten, eingestreut - kein Wunder, dass "Down To Earth" in den USA derart erfolgreich war...
Boogie Woogie-Zeit im Zirkus: "Show Me The Way" scheint sprichwörtlich seinen Weg zu suchen, denn das Stück mäandert zwischen ruhigeren (Klasse für das Duett zwischen Roye Albrighton und P.P. Arnold) und lebhafteren Passagen. Das "Finale" nimmt dann das brodelnde Blässer-Riff aus "Nelly The Elephant" kurz auf und blendet leise aus...
Fazit: "Down To Earth" ist selbstredend nicht die beste Nektar-Scheibe - da sind meine Lieblinge wie in Stein gemeißelt. Aber so schlecht wie ihr Ruf ist sie beileibe nicht!! Gebt dem Album einfach noch mal eine Chance. Dieses LP-Schwergewicht enthält als kleines Schmankerl die Reproduktion eines Konzertplakates der Band. Fünf Mark kostete damals der Eintritt - das waren noch Zeiten...
Line-up:
Roye Albrighton (guitars, lead vocals)
Allan Freeman (keyboards, backing vocals)
Derek Moore (bass)
Ron Howden (drums, percussion)

Guests:
P.P. Arnold (vocals)
Kenneth Cole (vocals)
Steve Gregory (saxophone)
Chris Mercer (saxophone)
Butch Hudson (1st trumpet)
Ron Earthy (2nd trumpet)
Chris Pyne (trombone)
Stephen Wick (tuba)
Phil Brown (tuba)
Bob Calvert (voice: ringmaster)
The Chipping Norton Mandies Choir (choir)
Tracklist
Seite 1:
01:Astral Man (3:07)
02:Nelly The Elephant (5:02)
03:Early Morning Clown (3:21)
04:That's Life (6:49)

Seite 2:
05:Fidgety Queen (4:04)
06:Oh Willy (4:00)
07:Little Boy (3:03)
08:Show Me The Way (5:55)
09:Finale (1:36)
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