Der Duisburger reviewt die Duisburger, davon träume ich, seit ich mich über Musik auslasse. Wenn man die Geschichte des Krautrock betrachtet, dann kommt man an der Bröselmaschine nicht vorbei. Gegründet 1969 begab man sich direkt aus dem Geist der Woodstock-Generation in ein Deutschland, in dem der später so bezeichnete Krautrock erst in den Kinderschuhen steckte. Das erste Album mit dem Bandtitel erschien 1971 auf dem Markt, danach übertraf die Zahl der Auflösungen und Neugründungen die Anzahl der produzierten Scheiben. Peter Bursch machte sich schon früh einen Namen als 'Der Gitarrenlehrer der Nation' und veröffentlichte zahlreiche Bücher. In seiner Heimatstadt agierte er immer wieder in Jugendprojekten, brachte die All Star Band sehr erfolgreich auf die Bühne, unter anderem 2013 in einem fantastischen Crossover-Projekt beim Klassik Open Air vor dem Stadttheater Duisburg, zusammen mit der Deutschen Oper am Rhein und mehreren Chören. Nebenbei lehrt er als Dozent.
Dass die Bröselmaschine in der jüngeren Vergangenheit wieder vermehrt und äußerst wirkungsvoll live spielt, konnte ich vor zwei Jahren intensiv erfahren. Im Grammatikoff, fußläufig für mich erreichbar, was in Duisburg eine echte Ausnahme darstellt, bot uns die Band ein hinreißendes Konzert.
Nun also gibt es endlich Neues zu berichten von den Urgesteinen unserer heimischen Kultur. Und sie beginnen ganz und gar nicht folkig, so wie man ihre Frühwerke in Erinnerung hat. "I Was Angry" eröffnet eher mit dem Titel adäquaten, giftigen Riffs und einer engagiert offensiven Stimme. Liz Blue ist übrigens ein echter Glücksfall für die Band, ihr mitreißender Gesang war schon bei dem zitierten Konzert ein echtes Highlight. Nach dem eher bluesigen Beginn driftet der Song in jazzige Solo-Eskapaden mit einer geilen Schweineorgel. Kraut at it’s best!
Wunderschön entspannt und leicht jazzig lassen wir uns danach in die Luft gleiten: "Fall Into The Sky". Hier greift kein geringerer als Helge Schneider, der in jungen Jahren einst die bröselmaschinigen Tasten bediente, zum Saxophon und zeigt beeindruckend, mit welchem außergewöhnlichen Einfühlungsvermögen er zu musizieren versteht. Mit "Fitze-Fatze" hat das heute nichts zu tun und sein schmeichelndes Gebläse harmoniert wunderschön mit der klaren Stimme von Liz und dem wahrlich mitreißenden Pianosolo von Tom Plötzer. Ein Song von großer Schönheit und jazziger Eleganz.
Ebenso leichtfüßig erfühlen wir dann den Frieden des Himmels in "Peace Of Heaven". Ein harmonisch friedfertiges Grundgerüst aus einnehmenden Gitarrenklängen vermittelt ein eigenartig berührendes Hochgefühl, wie es einst der wunderbare David Lindley bei seinem Kumpel Jackson Browne in "Call It A Loan" zu erzeugen wusste. Friedemann Witecka konnte das auch. Auf diesem Wohlfühlkissen entwickeln sich diverse Soloaktivitäten, immer mit dem richtigen Gespür, die Atmosphäre zu halten und nicht zu weit hinaus zu driften. Ein wahrhaft himmlischer Song.
Und dann wird es erdig, groovig. "Don’t Cross My Way" ist eine schöne bluesig rockige Nummer mit einer Klasse Slide-Einlage, auch das ist ein Attribut, das mir vor zwei Jahren schon live sehr viel Spaß gemacht hat.
Das Titelstück "Indian Camel" basiert mit seinem orientalischen Titel auf Peters Sitar und weckt bei mir erregte Erinnerungen an eines der schönsten Stücke der Hippie-Musik. Es heißt "Taxim" und wurde in den späten Sechzigern von Kaleidoscope sehr bewusstseinserweiternd auf dem Album "A Beacon From Mars" intoniert, mit eben jenem schon zitierten Saitenmagier David Lindley an der orientalischen Gitarre. Auch der Geist von Loreena McKennitt schwingt hier ein wenig mit, die uns immer wieder auch die Verbindung der Kelten mit dem Orient nahe gebracht hat. Die gab es übrigens tatsächlich auch damals, ganz abseits der modernen Musikwelt.
Ein warmes krautiges Georgel im Hintergrund lässt den Flow des Songs ein wenig geschmeidiger wirken, aber allem voran ist "Indian Camel" ein hypnotischer Trip, so wie ein meditativer Flug auf dem magischen Teppich durch rosafarbene Wolken, für die man nicht einmal das Band benennende Utensil zum Einsatz bringen muss. Nein, diese kosmischen Halluzination verschafft dir die Musik auch ohne komische Substanzen. Und wenn wir den höchsten Punkt der Reise erreicht haben, schwebt eine kurze Reminiszenz aus Ravels "Bolero" vorbei, sanft und behutsam eingefangen von einer getragenen Gitarre. Am Ende scheinen wir uns selbst allmählich in eine Wolke aus exotisch anmutenden Bestandteilen aufzulösen, wenn leicht fusionsgetränkte Exkurse mit starken psychedelischen Einschlägen ein paar Erinnerungsfetzen an die Meister von Hawkwind aufkommen lassen, sogleich aber wieder im allgemeinen Dahintreiben verschwinden. Eine Reise wie durch das spirituelle Zentrum eines Gurus oder Yogis. Peter Bursch erzählt übrigens dazu, dass "Indian Camel" im Prinzip aus einer einzigen Live-Session im Studio entstanden ist. Am Anfang stand die Sitar mit dem Thema und dem Rhythmus, alles andere war Improvisation. Hey, so ähnlich spielen Space Debris ihre kompletten Live-Konzerte. Wohl denen, die es können. Das Titelstück ist zugleich der Königsmacher für mich, eine Nummer für die Geschichtsbücher.
Nebenbei sei bemerkt, dass das komplette Album im Studio live eingespielt wurde.
Wenn schon das Aufeinandertreffen des Ex-Bröselmaschinisten Helge Schneider sozusagen mit seiner Mutterband ein faszinierendes Wiedersehen generierte, so dürfen wir uns auf ein weiteres, freudiges und sehr überraschendes Wiederhören freuen. Im Lied Nummer 7 begegnen wir Herrn Marc Bolan, wenn auch nur symbolisch, wenn die Bröselmaschine den legendären T.Rex-Hit "Children Of The Revolution" covert, mit Sitar und entsprechender Ausgestaltung natürlich auf eine sehr gebröselt-authentische Weise. Und der Auftakt klingt wie ein witziges Zitat auf "Who Are You", aber da höre ich vielleicht auch eher die Flöhe husten. Sagt man so, bei uns im Pott.
Den Abschluss bildet eine auf akustischen Gitarren basierende, heiter melancholische Meditation, die anfänglich die Stimmung des unfassbaren "We All Need Some Light" von Transatlantic einfängt, mit einer kurzen Lapsteel-Passage dann aber auch Reflektionen auf Pink Floyd zulässt, die mit solchen Nummern auch schon ihre Akzente setzten.
Insgesamt klingt dieser leise, folkloristische Song aber vor allem nach Bröselmaschine. Wow!
Jetzt, wo ich zum Ende meiner Betrachtungen komme, macht mein Herz noch einmal einen kleinen und damit gesundheitlich unbedenklichen Freudensprung. Duisburg, meine tief in mir verwurzelte Heimatstadt, die schon so viel Ungemach verkraften musste und leider auch ganz aktuell viele Probleme zu verarbeiten hat, meldet sich mit Vehemenz auf der Landkarte der Deutschen Rockmusik zurück. Bröselmaschine, seit Jahrzehnten unser einzig wahres Flaggschiff, setzt nach so vielen Jahren endlich wieder die Segel und fährt mit Pracht zu neuen Ufern. Die Band war auf den hiesigen Bühnen nie wirklich verschwunden, aber es tut schon sehr gut, endlich wieder eine neue Scheibe in den Händen halten zu können, ganz gleich, ob silbern oder schwarz. Hey, und ein kleines bisschen bin ich auch Stolz auf meine Heimathelden, dass sie uns so ein wunderschönes Zeugnis ihrer gereiften Kunst abliefern.
Traditionsbewusst und dennoch zeitgemäß, Musik, die ihre Wurzeln zeigt und doch mit vielen neuen Attituden überrascht. "Indian Camel" ist ein Album von faszinierender Vielfalt und mit schillernden Farben. Also, liebe Rockwelt da draußen, jenseits der Grenzen von Meiderich, Wedau und Rheinhausen (für alle Externen – das sind einige unserer Stadtteile): Bitte reduziert unseren lieben Peter Bursch nicht immer nur auf seine vielen Bücher und Übungsanleitungen. 'Der Gitarrenlehrer der Nation' ist eben auch ein Großer der deutschen Rockmusik-Geschichte und die Bröselmaschine gehört in die erste Riege mit Freunden wie Guru Guru, Epitaph oder Birth Control. Das gilt übrigens nicht minder für Helge Schneider, in dem viele eben immer nur den Schöpfer von "Katzeklo" sehen mögen und völlig verstört sind, wenn Helge plötzlich ankündigt: »Achtung, jezz kommt Jazz« – oder eben irgend so was ähnliches. Schön, wenn es hinter scheinbaren Fassaden noch so viel zu entdecken gibt, also, nehmen wir uns die Zeit dafür.
Danke, liebe bröseligen Jungs und Mädels für dieses wunderbare Album, Duisburg ist stolz auf Euch!
Line-up Bröselmaschine:
Peter Bursch (guitar, sitar)
Liz Blue (vocals)
Manni von Bohr (drums)
Detlef Wiederhöft (bass)
Michael Dommers (guitar)
Tom Plötzer (keyboards)
Additional Musicians:
Helge Schneider (saxophone)
Nippy Noya (percussion)
Lulo Reinhardt (guitar)
Tracklist "Indian Camel":
- I Was Angry
- Fall Into The Sky
- Peace Of Heaven
- Don’t Cross my Way
- Indian Camel
- Stacey
- Children Of The Revolution
- Daydreaming
Gesamtspielzeit: 40:40, Erscheinungsjahr: 2017



4 Kommentare
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Claus
7. Juni 2017 um 20:50 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Mir ist eine CD in LP Länge lieber, als eine CD die mit Füllmaterial auf knapp 80 Minuten gebracht wird. Davon habe ich mehr als genug. Zudem fehlt mir oft die Zeit die ganz langen CDs in Ruhe durchzuhören. 40 Minuten mit guter Mukke passt aber meistens. Ich habe also mit der Länge der CD kein Problem. Bonus-Tracks, Alternative Versionen usw höre ich mir sowieso kaum an.
Michael Breuer
16. Juni 2017 um 8:40 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hey Claus,
ganz vielen lieben Dank, vor allem auch für Deine Duisburg-Begeisterung, die ich sehr gerne teile. Unsere Stadt ist bei all ihren Problemen viel besser als öffentlich dargestellt! Leider komme ich erst jetzt dazu, Dir zu antworten, weil Gov’t Mule mich eine Weile mobil gehalten haben 🙂 Ach ja, und der MSV ist auch gerade aufgestiegen, war eine schöne Feier!
Ich sehe es wie Du, was Lauflänge etc angeht, ich möchte ein Stück Musik nicht unter wirtschaftlichen Faktoren betrachten. Wenn eine Platte 40 Minuten braucht, um ihre Botschaften zu vermitteln, dann ist das eben so. In der Stoner-Szene beispielsweise sind solche Lauflängen inzwischen wieder Usus, weil die das Vinyl weitgehend als Hauptmedium ansehen.
Muss jeder für sich selbst entscheiden…
Viele Grüße aus Duisburg,
Michael
Claus
7. Juni 2017 um 7:40 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ein wunderbarer Bericht. Nicht nur über die Bröselmaschine, sondern auch über Duisburg. Ich war Jahrzehnte nicht mehr da, aber da meine Wurzeln väterlicherseits aus Duisburg (Laar) stammen, fühle ich mich mit dieser Stadt immer noch verbunden. Mein Fussballherz schlägt schon immer für den MSV. Bisher kenne ich nur den einen Titel "Fall into the sky". Aber der und deine Rezension wecken mehr als nur Vorfreude auf das Album. Danke für die Zeilen!
Roland
7. Juni 2017 um 7:03 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Nun hat man sich 32 Jahre Zeit gelassen und schafft es grade mal eine CD halb voll mit Material zu bekommen.
Was ist das? Arroganz oder am Kunden vorbei produzieren.
Ganz ehrlich, mir kommt es wirklich nicht auf die 17€ an, aber ich kaufe mir die CD deshalb nicht.
Grüße Roland