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Colour Haze / Live Vol.1 – CD-Review

Colour Haze - Vol. 1

Es gibt viele neue Platten, auf die man sich freut. Auf einzelne wenige freut man sich besonders.
Dass Colour Haze eine fantastische Live-Band sind wird niemand bezweifeln, der die drei Münchner jemals auf der Bühne hat spielen sehen. Dennoch gab es bislang kein offizielles Livealbum des Trios, lediglich einen vor zehn Jahren beim Burg Herzberg-Festival mitgeschnittenen Set, der nun auch schon zehn Lenze zählt. Stefan Koglek, der kongeniale Magier an den Saiten ist zugleich Betreiber des Elektrohasch-Labels, dem Kult-Verlag für gute Stoner-Musik in Europa. Und er war früher eher zurückhaltend euphorisch auf Livealben zu sprechen.

Nun endlich befriedigt er einen lang gehegten, tiefen Wunsch der großen Fangemeinde und verwöhnt uns mit brandaktuellen Liveversionen der bekanntesten Klassiker von Colour Haze, aufgenommen bei der "Up In Smoke"-Europatournee aus dem vergangenen Jahr. "Up In Smoke", da werden bei mir viele Erinnerungen wach, jenem regelmäßig wiederkehrenden Roadmovie, ersonnen von einem gewissen Matthias Vandeven (und seiner Booking-Agentur Sound Of Liberation), den die ganze Welt nur als Matte kennt. Drei Bands drei Wochen im Nightliner durch Europa, wenn das nicht der alte Traum von der großen Freiheit ist. Damals, in 2010, tourte Colour Haze bei der Erstausgabe mit Rotor und Sungrazer (R.I.P. Rudger), da haben sie mich in Erfurt in ihren Bann gezogen. Ja, ich habe viele Erinnerungen an Colour Haze. Sie waren Headliner beim Desertfest 2012, als ich erstmals meine Gedanken fürs Internet formulierte, sie waren Headliner beim einzigen Festival, bei dem ich selbst mitgearbeitet habe (Freak Valley 2012). Und es gab mal ein legendäres Konzert in Salzburg, Stoff für Betrachtungen an anderer Stelle. Was ich damit sagen will? Diese Band ist mir ans Herz gewachsen und hat mein musikalisches Empfinden in den letzten Jahren geprägt wie nur ganz wenige.

Colour Haze haben dem Stoner Rock mit den tief gestimmten Saiten und seinem aggressiv düsteren Sound eine völlig neue, virtuose Richtung geben: Jimi Hendrix meets Kyuss, oder so etwas in der Art. Filigrane Soli und ausgeklügelte Arrangements, irrwitzige psychedelische Ausritte, verbunden mit den härtesten Riffs auf diesem Kontinent, ergeben eine Melange aus knallharter Hippie-Musik mit Herz und Hirn. Eine Musik, die Dich genauso in fremde Sphären schießt wie zu den verborgenen Winkeln Deiner selbst, was übrigens bei den Konzerten durch die phantastischen Plasmaprojektionen von Marco Menzer (Shinealight) sehr psychedelisch untermalt wird. Eine perfekte Symbiose.

Auf "Live-Vol.1" kommen sie uns sehr wohl erdig von der Bühne, aber in einem ungeheuer transparenten und glasklaren Sound. Kein Wunder, hat der Chef doch persönlich und im eigenen Studio abgemischt. So bekommst Du ein maximales Feeling für die virtuose Schönheit dieser Musik. Hierbei möchte ich drei Nummern herausstellen, die zu Zeiten der Herzberg-Aufnahme noch nicht ersonnen waren. Nach dem gut gelaunten, relaxten klassischen Auftakt mit "Periscope" und "Moon" widmet sich die Band der letzten Veröffentlichung und spielt die Kombination "Überall" und "Call". Leise, fast zärtlich spielt Stefan das Intro, meditativ und geheimnisvoll – doch wenn Manfred und Philipp eingreifen, dann bittet Colour Haze zum Tanz. Düster grollende Riffs nehmen Fahrt auf, ein simples Thema mit der archaischen Einfachheit wie einst das Intro zu Beethovens "Fünfter", kreisen Dich ein und erzeugen einen unwiderstehlichen Sog. Dieser Strudel ergreift Dich, wirbelt Dich umher und lockt die guten Geister aus den Tiefen Deiner eigenen Sinne. Ja, sie alle tanzen mit Dir. Die totale Simplizität, diese reine Beschränkung auf die ekstatische Wirkung der Riffs und Rhythmen macht den Song so genial, ein Fluss purer Energie mit der Macht einer Geröll-Lawine. Das ist reiner Ohrensex, einfach und genial.

Und weil die Jungs von Colour Haze schlichtweg über ein feines Gefühl für Spannungsbögen verfügen, leiten sie aus diesem Riff-Gewitter über in "She Said", jene großartige kunstvolle Chimäre aus fast fusionsartigen Partikeln mit psychedelischem Grundton und hinreißenden Latinoeinlagen wie zu Santanas "Lotus"-Zeiten, alles vermischt und vermengt mit jeder Menge ausgefallener Riffs und Improvisationen. Erschienen auf dem gleichnamigen Album im Jahr 2012 bildet dieses Werk zusammen mit dem Gitarrenmonster "Transformation" den Höhepunkt des kreativen Schaffens im Bandleben von Colour Haze. Meine Meinung. Faszinierend schon der Auftakt, den die Band hier in klassischer Dreierbesetzung einspielt. Auf der Studioaufnahme mäandert eine zurückgenommene Pianoeinlage unter den geheimnisvollen Perkussionseinlagen von Robert Schoosleitner, früher Schlagmann bei Been Obscene sehr sanft in das Thema. Hier nun übernimmt der meditativ einprägsam akzentuierte Bass von Philipp Rasthofer diesen Stimmungspart und beweist mir einmal mehr, wie wandlungsfähig Colour Haze mit ihrem eigenen Material umgehen können. Yeah, that´s live music! Und später, sozusagen in der Latino-Phase, zeigt Manfred Merwald, warum er in der Szene so sehr bewundert wird. Auch ohne die an dieser Stelle im Studioalbum korrespondierenden genialen Congas brennt er ein rhythmisches Feuerwerk auf der Schießbude ab, bei dem die Funken fliegen. Colour Haze sind ein ultimativer Beweis, dass knallharte Rockmusik nicht nur laut, sondern auch voller Virtuosität und Vielfalt gespielt werden kann.
Und dann "Transformation", bei allen Colour Haze-Konzerten meine Fahrkarte in einen schillernden Kosmos, irgendwo sehr weit weg.

Wenn das erste Riff ertönt, dann scheint es, als ob sich etwas aus dem morastigen Urschlamm Deines Unterbewussten löst, das sich wie eine Luftblase aus dem Sumpf kämpft, die Überreste seiner Behausung abstreift und nach oben der Sonne zustrebt, dem Licht. Die Licks der Gitarre lösen und befreien Dich, lassen Dich rotieren und tanzen und wachsen. Eine mystische Kraft, die nährt und stärkt – die erschafft. Mein Gott, ist das ein geiles Solo, wie von einer anderen Welt. Das hab ich damals zur Studioplatte geschrieben und daran hat sich nichts geändert. "Transformation" ist ein geradezu klassisches Beispiel, wie mit der Steigerung von Intensität in der saitentechnischen Phrasierung Spannung aufgebaut werden kann. Wie das Crescendo am Ende derart in Dich dringt und Dich erkennen lässt, dass am Ende Du selbst es bist, der transformiert wurde: Zu einem euphorisch glücklichen Menschen. Musik mit Adrenalin und Endorphin. Colour Haze, unsere Rattenfänger.
"Peace, Brother’s And Sister’s" und "Get It On" vervollständigen beeindruckend und historisch bedeutend den zweiten Teil des Sets.

"Live Volume 1" ist ein Monument, ein Stück Geschichte einer großen Band und bestens geeignet gleichsam für Fans als auch für Neueinsteiger. Ausgestattet mit den besten Versionen der Tour und thematisch zusammengestellt wie ein komplettes Live-Set gibt es fast zwei Stunden anspruchsvolle Rockmusik und ein mächtiges Brett auf die Ohren.
"Volume One", das sagt mir, da kommt noch was. Und das ist ein Aspekt, der mich zutiefst erfreut.


Line-up Colour Haze:

Philipp Rasthofer (Bass)
Manfred Merwald (Schlagzeug)
Stefan Koglek (Gitarre und Gesang)

Tracklist "Live Vol. 1":

CD1:

  1. Moon
  2. Überall/Call
  3. She Said
  4. Aquamaria
  5. To The Highest Gods We Know/ Circles
  6. To The Highest Gods We Know
  7. Circles

CD 2:

  1. Transformation/Grace
  2. Tempel
  3. Peace Brothers And Sisters
  4. Get It On
  5. Peace Brothers and Sisters
  6. Get It On

Gesamtspielzeit: 125:15, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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