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Squintaloo / Über Bord! – CD-Review

Squintaloo - Über Bord! - CD-Review

Bereits seit 1995 existiert die Band Squintaloo, ein Nebenprojekt von Musikern, die ansonsten in Combos wie 2Raumwohnung, The Baseballs, weiteren musikalischen Unternehmungen und sogar den Berliner Philharmonikern aktiv sind. Mit "Über Bord" legt das Quartett sein mittlerweile viertes Album vor und – soviel darf ich jetzt schon mal verraten – verlangt dem interessierten Hörer so einiges ab. Als eigene Einflüsse hat der Vierer Acts wie unter anderem Frank Zappa, Mr. Bungle, Rush oder Yes genannt, was die progressive Herangehensweise bereits orakelt. Progressiv ist diese Band dann auch über alle Maßen, während sie von Prog über Jazz über klassische Musik, Minimalismus bis hin zur Avantgarde so ziemlich alles auffährt, was nicht schnell genug auf den Bäumen war. Wobei dies alles andere als negativ gemeint ist, denn was hier in eine gute Stunde Musik alles reingepackt wurde, lässt dem Konsument qualitativ eigentlich fast nur noch die Kinnlade runterfallen. Da verbinden sich spielerisches Können, eine schier unzählbare Anzahl an Ideen, Spritzigkeit, Wahnsinn, Genialität sowie Dramatik zu einem Ganzen, dem dann schlicht und ergreifend der Name "Über Bord!" verpasst wurde.

Über Bord geht dann auch fast der unbedarfte Hörer, der sich ansonsten straighte Rockmusik zur lieben (Hör-) Gewohnheit gemacht hat. Denn auf dieser Scheibe wird zwar so ziemlich alles geboten, nur halt keine Trivialität oder Normalität (wenn man mal von dem Durchschnitts-Hörer ausgeht). Squintaloo bauen durchaus immer wieder mal Passagen in ihre Songs, in denen es auch mal geradeaus geht, es bekannte Akkord- oder Tonfolgen gibt. Im Gros ist die Scheibe allerdings eher weniger zum Genuss geeignet, wenn man gestresst von der Arbeit kommt oder gerade eine Abfuhr der Angebeteten erhalten hat. Denn "Über Bord!" ist definitiv weder was für schwache Nerven, noch sind diese neun Titel zum Abschalten geeignet. Die vier deutschen Musiker gehen hier schon ans Eingemachte, sorgen für ein leichtes Grummeln in der Milz und können einen eventuell eh schon beim Hörer vorhandenen 'Kopfsalat' in geschredderte Kleinstteilchen des Grünzeugs sprengen.

Also, nur für den Fall, dass sich das bisher Geschriebene wenig positiv gelesen haben sollte: Sollte gar nicht so sein, denn selten ist etwas so subjektiv zu bewerten, wie Musik. Diese vier Jungs sind musikalisch grandios auf Draht und wer solch zeitweise sehr komplizierte Arrangements und Rhythmiken mag, wer beispielsweise zu den abgefahreneren Alben des bereits erwähnten Mr. Zappa abgeht wie ein Zäpfchen, der ist bei Squintaloo goldrichtig. Neben jeder Menge an progressivem Material kommen beim Titelsong dann sogar noch fernöstliche Elemente ins Spiel, was dem Sound der Band natürlich sogar noch zusätzlichen psychedelischen Schub verleiht.

Dabei ist die Instrumentierung gar nicht mal so ungewöhnlich. Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und Synthesizer sind die Hauptzutaten zu den jeweiligen Tracks. Was diese Band (von ihren Instrumenten mal abgesehen) aber ganz fantastisch versteht, sind die Arrangements. Spannungen auf- und wieder abzubauen, innerhalb eines Songs totale Szenewechsel durchzuführen und den Hörer bzw. seine Fantasie auf eine wilde Reise mitzunehmen, während der sie ihn unterwegs (durch den von ihm eventuell betätigten Schleudersitz) entweder 'verliert' oder ganz behutsam am Ende auf sicherem Boden wieder absetzt. Auf Gesang wurde komplett verzichtet, was aufgrund der Fülle der durch die Instrumente kreierten Details aber nachvollziehbar ist.

Letzten Endes wird es voraussichtlich nur zwei Fraktionen bezüglich "Über Bord!" geben. Die eine, die es liebt und die zweite, die es hasst bzw. überhaupt nichts damit anfangen kann. Beiden sei ihre Meinung gegönnt, die Luft dazwischen dürfte jedoch ziemlich dünn sein. Empfehlenswert ist, sich Zeit für diese Platte zu nehmen und sich dann – im besten Fall – komplett von ihr wegblasen zu lassen. Ganz sicher nicht für ein breites Publikum bestimmt, könnte ich mir aber sehr gut vorstellen, dass sowohl die Band als auch "Über Bord!" ihre Nische bzw. Fans finden werden. Ein wahrlich wilder Ritt!


Line-up Squintaloo:

Enrico Antico (guitars, mandolin, synthesizers)
Heinrich Schiffers (guitars, saxophones, synthesizers, saw)
Klemens Klarhorst (bass)
Daniel Eichholz (drums & percussion)

Tracklist "Über Bord!":

  1. Animal Privateer
  2. Nigeraurak’s Dream
  3. Kara Buran
  4. Zirrostratus (The Fog Wonders)
  5. Elmsfeuer
  6. Über Bord
  7. 3 Kraken
  8. Fakir Don Pipone
  9. Peg Leg Copperjaws

Gesamtspielzeit: 65:08, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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