Taghelle Rock-Kante mit viel DNA
Erst vor kurzem räumten wir dem Adjektiv 'bemerkenswert' adäquaten Raum ein. Auch an diesem sommerlichen Freitagnachmittag werden wir fündig.
Es ist viel los in der Peripherie rund um Bremen. Zuvörderst das Hurricane Festival in Scheeßel, aber auch an die Freundinnen und Freunde rockiger Klänge der Rentnergeneration ist gedacht und die 70er-Ikone Suzi Quatro macht bei der 18ten Ritterhuder Torfnacht ihre Aufwartung. Da sitzen die Down Under-amerikanischen Dead Daisies ein Stück weit zwischen den Stühlen. Viel zu viel Rock’n’Roll für das Hurricane und zu viel Sturm und Lautstärke für den durchschnittlichen Best Ager.
Aber das 2012 in Sydney von David Lowy und Jon Stevens (Ex-INXS) gegründete Kollektiv fährt immerhin mit einem standesgemäßen Nightliner vor, während ihre britischen Anheizer von The Treatment mit einem etwas größeren Lieferwagen vorlieb nehmen müssen. Das ist natürlich alles andere als ungewöhnlich, aber die frühe Anstoßzeit um 18:30 Uhr in der hellsten Zeit des Jahres ist es sehr wohl.
Es gibt im Modernes ein architektonisches Ausrufezeichen … ein großes, rundes Schiebefenster ist in die Deckenkonstruktion mittig integriert. Durch dieses strahlt die Nachmittagssonne und verbreitet eher die Atmosphäre einer Kinderfestivität. Allerdings befindet sich im Publikum ausschließlich die (Eltern-)Großelterngeneration, so dass alsbald der Lichthof komplett geschlossen wird und in die plötzliche Dunkelheit platzen mit einem Donnerschlag die 2008 im Teeniealter gegründeten The Treatment aus Cambridge und legen programmatisch sinnvoll mit "Let It Beginn" los. Gleißende Scheinwerfer zucken durch die Szenerie, die in Anbetracht der Temperaturen nicht vorhandenen Hosenbeine flattern imaginär um die Knöchel, zwei sich zum Verwechseln ähnlich sehende Gitarristen riffen um die Wette und Frontkehle Tom Rampton peitscht umgehend die Anwesenden aus ihrer Komfortzone.
- The Treatment lassen Funken sprühen
- The Treatment ohne Anlaufzeit
- Komplette Band, es fehlt nur ein Grey-Brother
- … und da ist er!
- Frontkehle Tom Rampton
- Tagore Grey
- Tao Grey
- Tom Rampton
Keine Frage, hier weiß eine Vorband ganz genau, wie sie die Gunst der frühen Stunde zu nutzen hat. Das Gaspedal bleibt durchgedrückt und es folgen drei Stücke vom aktuellen Longplayer "Wake Up The Neighbourhood" (2024), was ebenfalls programmatisch verstanden werden darf, beginnt dieser Block doch gleich mit "Let’s Wake Up This Town". Ja ihr müden Bremerinnen und Bremer, tatsächlich ist in der Stadt rockmusikalisch schon länger Dornröschenschlaf angesagt, spätestens seit das 'Dröhn' (Aladin Music Hall) seine DNA verloren hat. Nun prescht hier ein Quintett vor, welches seinerseits quicklebendig DNA-Spuren von Aerosmith, frühen Gotthard, Krokus oder Little Angels aufweisen kann und einen schlackelosen Melodic-Hardrock-Rock’n’Roll von der Bühne knallt, wie er vor über dreißig Jahren im Zuge der Grunge-Welle hinfort gespült schien.
- Der Jüngste im Raum … Neuzugang Bailey Richardson
- Tao Grey & Bailey Richardson
- Tom Rampton weiß sich in Szene zu setzen
In der Folge gibt es noch Kostproben von drei weiteren Alben, ohne auch nur eine Sekunde an Intensität zu verlieren. Dabei gelingt es dem Fünfer vortrefflich, Bailey Richardson – als an diesem Abend vermutlich jüngsten Anwesenden – an den dicken Saiten nahtlos zu integrieren, während Gründungsmitglied Dhani Mansworth an der Schießbude die Fäden buchstäblich in der Hand hält. Leider ist nach vierzig Minuten Schluss, aber das Auditorium ist hör- und sichtbar angefixt und damit haben The Treatment alles richtig gemacht.
- Dhani Mansworth hat die Fäden in der Hand
- Hohes Energielevel
- Tagore Grey am Arbeitsgerät
Bei der nachfolgenden Band des australischen Geschäftsmoguls David Lowy, einzig verbliebenes Mitglied vom fünften Kontinent, spielt aus Sicht des Autors die individuelle Erwartungshaltung eine große Rolle. The Dead Daisies haben am nächsten Tag – ohne ihre derzeitigen Anheizer – einen Festivalgig beim riesigen 'Graspop Metal Meeting 2025' im belgischen Dessel und dort keinen Headliner-Status inne. Ihre damit verbundene frühe Startzeit erklärt den heutigen ungewöhnlich frühen Beginn der Veranstaltung.
Und so entert der diesmal sichtlich ältere Fünfer zu einer Zeit die Bühne, zu der ansonsten gerade mal der Einlass gestartet wird. Der Gehörschutz muss tatsächlich noch etwas tiefer in die Gehörgänge geschoben werden, wobei natürlich auch hier kein Schwermetall in der Luft liegt. Gleich der Opener "Long Way To Go" haut klassischen Riff-Hardrock raus, der eine gewisse australische DNA nicht leugnen kann, aber doch eindeutig die AC/DC-Hürde umschifft. Sänger John Corabi kommt ja urprünglich aus der Sleaze-Rock-Ecke (The Scream, Mötley Crüe), während sich Lead-Gitarrist Doug Aldrich bereits bei Koryphäen wie Whitesnake oder Dio austoben konnte. Hierbei ist interessant zu beobachten, wie sich der Ansatz seines Saitenspiels doch erheblich von den Grey-Brothers von The Treatment unterscheidet. Ähnlich wie beim Bluesrock scheint es auch in härteren Gefilden eine britische Schule zu geben, die eher nach dem 'Weniger-ist-mehr' trachtet. Doug Aldrich wiederum zeigt umgehend und fortlaufend, dass er zu den besten seines Fachs gehört und lässt die Saiten qualmen, so dass für Zwischentöne wenig Platz bleibt. Selbstverständlich sitzen auch die Posen perfekt.
- Bandgründer David Lowy
- Nicht nur Angus Young hat die Hörner auf
- Neu-Drummer Brent Fitz
Im Grunde hat der Autor erwartet, dass die toten Gänseblümchen Auszüge ihrer neuesten Albumveröffentlichung "Lookin' For Trouble" vortragen würden, ein thematisch im Œuvre der Band besonderes Album, welches im Fame Studio Muscle Shoals, Alabama, aufgenommen wurde und die Blueswurzeln der Rockmusik feiert.
Aber stattdessen hat das Konzert zwei ganz andere Schwerpunkte. Immerhin vier Songs vom letztjährigen Corabi-Comeback (er war zwischenzeitlich durch Ex-Deep Purple Glenn Hughes ersetzt worden) "Light 'Em Up" werden zu Gehör gebracht, was sich auch im (gelungenen) Bühnenbild widerspiegelt und es gibt auffallend viele Coversongs ohne expliziten Bluesbezug, denen die Dead Daisies-DNA eingeimpft wird. Bereits vor sechs Jahren war mit "Locked And Loaded (The Covers Album)" ein entsprechendes Langeisen auf den Markt gekommen und so gibt es vertraute Klänge von Neil Young ("Rockin' In A Free World"), Creedence Clearwater Revival ("Fortunate Son"), The Sensational Alex Harvey Band ("Midnight Moses") und den Beatles ("Helter Skelter") auf die glühenden Lauscher.
Zusätzlich haben sich David Lowy und seine Mitstreiter noch eine besondere Überraschung ausgedacht und feiern den (härteren) Classic Rock mit einem ausgelassenen Medley aus AC/DC ("Highway To Hell"), Judas Priest ("Living After Midnight"), Black Sabbath ("Heaven And Hell"), The White Stripes ("Seven Nation Army") und Led Zeppelin ("Whole Lotta Love"), wobei dem Autoren auch hier die Zwischentöne fehlen.
- Doug Aldrich – die Pose sitzt
- Doug Aldrich – vom Fotografen gab es einen Like
- John Corabi zeigt wo es langgeht
Hierin mag auch die Begründung dafür liegen, dass fast der gesamte zweite Teil des Sets mit Fremdnummern gefüllt ist … den eigenen Stücken fehlt es an Variabilität, Vielschichtigkeit, Nuancierungen, es rockt alles gut ab, die Riffs donnern schwer, der Gitarrenheld flitzt wieselflink über die Saiten, das Schlagzeug bummst stoisch vor sich hin, aber es ist auch alles etwas gleichförmig, so dass sich das mit der akustischen Klampfe vorgetragene Solo "Love That’ll Never Be" von John Corabi als eine willkommene Abwechslung entpuppt, zumal der Sänger hier mal nicht gegen das Getöse ankämpfen muss. Schlussendlich sind im Gesamtvortrag keinerlei Blueswurzeln auszumachen und "Going Down" von Don Nix bleibt als leider ausgelutschtes Exemplar seiner Gattung die einzige Expertise des neuen Albums.
Das tut der exzellenten Stimmung im Publikum aber keinen Abbruch und für Bremer Verhältnisse herrscht geradezu eine begeisterte Euphorie. Nach genau 95 Minuten ist Schluss und auch die Dead Daisies haben sicht- und hörbar alles richtig gemacht. Es ist aber schon sehr bemerkenswert, nach zwei amtlichen Rockkonzerten mit viel Nebel- und Scheinwerferbrimborium kurz nach 21:00 Uhr in den taghellen Sommerabend hinauszuschreiten.
- David Lowy
- … und macht das Beste draus
- Zusätzlich hat der Mann sein Publikum im Griff
Der Dank für die Akkreditierung geht an Frau Corinna Oldenburg von der Lars Berndt Events GmbH
Bildnachweis für alle Bilder des Events: © 2025 | Olaf 'Olli' Oetken | RockTimes





























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