Wie soll man eine Musik anmoderieren, deren Protagonisten aus Indien, Peru und Brasilien stammen? Wer sich mit der Kultur der genannten Länder auch nur annähernd ein wenig beschäftigt hat, kann unschwer nachvollziehen, dass ein Projekt mit solchen Wurzeln zwangsläufig zu einer schillernden Chimäre ausufern muss. Ich kann Stefan Koglek nur zutiefst gratulieren und ihm meinen Respekt bezeugen, dass er dieses geniale Werk für Elektrohasch an Land gezogen hat. Machen wir uns gefasst auf einen Wirbelwind aus apokalyptischen Rhythmus-Verwirrungen und aberwitzigen Klangstrukturen eines punkig, jazzigen Psychedelik-Rocks mit allerlei ethnischen Bezügen, die in unseren Breitgraden üblicherweise nicht vertreten sind. Wow, das wird vermutlich die spannendste Besprechung, die ich in 2019 auf den Schreibtisch gelegt bekam.
Stellen wir uns so etwas wie Garagen Rock vor, der von Außerirdischen mit Hang zu wilden Improvisationen interpretiert wird. So fremd mag "The Chikipunk Years" auf den ersten Hör-Eindruck auf seine Konsumenten wirken. Mit der bereits erwähnten Landkarte bezüglich der Herkunft unserer Akteure bekommen wir zumindest einen Leitfaden zum Verständnis an die Hand: »Wir mussten aufpassen, uns nicht allzu sehr in uns vertraute polyrhythmische Verspieltheiten zu verlieren«, bekannte im Vorfeld Bassmann und wohl auch Kopf der Band, Indrayudh Shome, der gemeinsam mit Panchito El Sofistas' virtuosem Getrommel dennoch ein hinreißend abwechslungsreiches und fremdartiges Gerüst rhythmischer Verrücktheiten unter diese faszinierende Musik legt, während die völlig losgelöste psychedelische Gitarre von Pedro 'Sozinho' Salvador in einer abgefahrenen Quirligkeit elaboriert wie ein sprudelnder Brunnen ausgeflippter Emotion. Einen ersten Eindruck davon bekommen wir in "Gathering And Seperation", ein Song, der zunächst in einem scheinbar afrikanischen Soundgerüst mit repetitiven, leicht schrägen Riffs und Hooklines startet, dann aber in einem wilden und unfassbar geilen Solo davonfliegt, wie man es sonst vielleicht nur beim Südafrikaner Robby Robb (Tribe After Tribe, 3rd Ear Experience) zu hören bekommt. Der Gesang weckt irgendwie Assoziationen an das "Hair"-Epos "Aquarios", allerdings unter maximalem Drogeneinsatz. Vor allem aber scheint der Song mir ein ganz klein wenig dem zu ähneln, der für die Produktion der Platte verantwortlich zeichnet. Eine gewisse Ähnlichkeit zu Stefan Kogleks Gesang bei Colour Haze wird noch häufiger auf dieser Platte festzustellen sein.
"Angelus Novus" vermittelt ein völlig unerwartetes Erlebnis. Die Meditation auf der Gitarre zu Beginn der kurzen Nummer weckt wahrhaftig ganz intensive Erinnerungen an Steve Hillage, jenen genialen progressiven Gitarristen und einem meiner absoluten Favoriten. Die Zeit, als er "Fish Rising" in den späteren Siebzigern einspielte, wird unvermittelt wach. Sanft und reflektierend, wenngleich einen Hauch jazziger, mäandern die Licks durch mein Erinnerungsvermögen. Die knallharten Riffs und psychedelischen Gesänge der nächsten Nummer reißen mich jedoch abrupt heraus aus allen nostalgischen Verträumtheiten und abermals scheinen krachend unterlegte Colour Haze-Harmonien mit der Anarchie von The Mars Volta zu kollidieren.
War schon "Detachments" eine, zumindest für diese Scheibe, recht eingängige Garagen Rock-Nummer mit coolen Hooklines und vorwärts treibenden Energien, so liefert das "Reprise" ein fast zappaeskes Gitarrensolo dazu und kreiert einen hypnotischen Flow voller psychedelischer Power. Meine Fresse, wo haben sich diese Jungs bislang vor uns versteckt?
"Frontiers And Determination" hingegen will es uns nicht so leicht machen. Hier spürt man ganz viel von den rhythmischen Überschüssen, die die Musiker eigentlich bewusst zu kanalisieren versuchen. Hier lassen sie ein Stück weit die Sau raus, versucht um Himmels Willen nicht, diesem Song durch körperliche Äquivalenz zu begegnen, Euer Orthopäde würde es vermutlich gerne behandeln. "Dukkha" nimmt ein wenig von diesem ungestümen Brodeln auf, setzt aber auch wieder auf die Ausbrüche des Sechssaiters, der hier ohne abfliegende Ambitionen ganz knapp bei seiner Rhythmusfraktion verbleibt.
Dieser Trend wird sogleich umgekehrt in "Parambulation". Nun geht eine Gitarre auf wilden Pfaden auf Reisen und das wüste Rhythmus-Gebaren muss artig folgen, ein klares Prinzip, dem auch der letzte Track des Albums folgt. Das Ende wird geprägt durch einen überbordenden Fuzz, der sich aus einer brodelnd köchelnden Substanz absorbiert und den erfreuten Zuhörer in eine andere Dimension beschleunigt. Wir erreichen eine höhere Bewusstseinssphäre und spacen glücklich in eine Galaxis, von der wir vor 35 Minuten noch keine Ahnung hatten.
Das Label Elektrohasch versorgt mich seit vielen Jahren mit fantastischen Scheiben großartiger Bands, von denen ich viele als persönliche Freunde empfinden darf. Mit "The Chikipunk Years" von We Here Now haben wir es aber mit einem ganz besonderen Album zu tun, denn es verbindet neben den hinreißenden Merkmalen des klassischen Beuteschemas enthusiastischer und weltoffener Psychedelik- und Fuzzrock-Fans die faszinierenden ethnischen Einflüsse gänzlich anderer Welten. Mit Peru hatte ich bereits meine lieb gewonnenen Erfahrungen dank La Ira De Dios, eine geniale brasilianische Prog-Band, die ich auch einst kennenlernen durfte. Die Kombination aber aus indisch, südamerikanischen Wurzeln und einer hoch explosiven Virtuosität mitten hinein in eine ganz neue Art von psychedelischem Garagenrock vermittelt tatsächlich etwas, was heutzutage begrifflich viel zu sehr instrumentalisiert wird – nämlich eine echte, multikulturelle Auseinandersetzung mit einer Kunst, die ansonsten weitestgehend westlich geprägt und bestimmt ist. Genau dieses Spannungsfeld ist es, aus dem dieses Album seine unbändige Kraft bezieht. Völlig grenzenlos, völlig losgelöst und jederzeit auf höchstem Niveau, da verneige ich mich vor den Schöpfern dieser einzigartigen Musik.
Doch zuletzt kann ich mir eine kritische Anmerkung nicht verkneifen: Nur, damit wir uns nicht falsch verstehen, die Platte ist ein Geschenk aus einer ziemlich fremden Galaxie, die bei interessierten Menschen hypnotische Zustände und kulturelle Erfüllung herbeiführen kann. Die Musik ist abgefahren und total geil!
Aber warum zum Kuckuck muss es so schwierig sein, so simple Angaben wie das Line-up im Netz zu recherchieren? Weder die bandeigene Webseite, noch das Label oder die Promotion-Firma lässt sich darüber aus. Nicht einmal das Cover der Platte hilft, da findet Ihr alle möglichen beteiligten Techniker und Fotografen namentlich erwähnt, nur eben die Musiker nicht. Und ein beiliegendes Informationsblatt, das eigentlich nichts anderes als eine vorweggenommene, eigene und durchaus wortgewaltige Review vermittelt, mir aber nicht einmal die Namen der Künstler verrät, ist irgendwie ein Schuss über das Tor und nicht wirklich hilfreich. Basisdaten brauche ich. Die ohne Zweifel nachhaltige Wirkung der Musik muss man mir nicht ausufernd erklären, da mach ich mir dann gerne schon meine eigenen Gedanken dazu. Das ist unser Job!
In diesen Kontext passt auch das Chaos um das Erscheinungsdatum. Die Platte ist ja offensichtlich in 2018 produziert und aufgenommen und in reduzierter Form bereits Anfang 2019 auf dem Markt präsentiert worden. Es verwirrt schon, dass etablierte hiesige Internetverkäufer die Scheibe in diesem Herbst bereits offerieren – und zwar mit der vollständigen 10 Songs-Variante – wo wir offiziell von einem Release im März 2020 sprechen sollen, da habe ich sogar ausdrücklich nachgefragt. Dieses späte Release bezieht sich womöglich aber nur auf die Vinyl-Version? Oder ist inzwischen überholt? Sorry, ich spiele kein Lotto und als Sternendeuter tauge ich nichts. Nehmen wir es hin mit Gelassenheit.
Mit der geilen Musik sowie ihrer unbestrittenen Qualität und ihrem innovativem Wert hat mein Gemecker sowieso und rein gar nichts zu tun, die Platte selbst hat irre viel Spaß gemacht, egal, wann und wo sie das Licht der Welt erblickt hat!
Line-up We Here Now:
Indrayudh Shome (bass, vocals)
Pedro 'Sozinho' Salvador (guitar, vocals)
Panchito El Sofista (drums, vocals)
Tracklist "The Chikipunk Years":
- Soujourns
- Gathering And Seperation
- Detachments
- Angelus Novus
- Planes Of Immanence
- Detachments (Reprise)
- Frontiers And Determination
- Dukkha
- Parambulation
- Clearings
Gesamtspielzeit: 33:03, Erscheinungsjahr: 2020 (Vorab-Version 2019)



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