»[…] Und nun lehnt euch alle zurück, genießt das Album, lebt euer Leben, liebt euch und unseren Planeten! […]«
Nach vielen Booklet-Seiten voller sinnvoller Texte, die nachdenklich machen, Zustimmung verursachen und sozusagen aus der Aktualität des Lebens gegriffen sind, endet das Zitat von Mazze Wiesner.
Nach 5 vor 12 (2017) kam 2018 "Nackte Saiten" auf den Markt.
2020 heißt das Album-Thema nun "Seelenlotterie".
Ohne einen Ton der vorliegenden Platte gehört zu haben, kommen einem blitzlichtartig zig Gedanken in den Sinn.
Alleine schon der Albumtitel "Seelenlotterie" inspiriert.
Zum Album – im Wesentlichen eingespielt im Atomino Studio in Erfurt – sagt der Protagonist: »[…] Keine stumpfe Aneinanderreihung von Songs, sondern eher ein Konzeptalbum. […] Das Thema Seelenlotterie drückt mit seinem Neologismus aus, was das Kernthema der Platte ausmacht. Es geht im Grunde um den Versuch, einen künstlerischen Blick aus diversen Perspektiven auf die derzeitigen globalen und lokalen Ereignisse zu werfen und miteinander zu verknüpfen. Dass jeder in sich zwei Seiten hat, a la Dr. Jekyll und Mr. Hyde, reizt mich als Thema immer wieder. Das in mir und meiner Umwelt zu beobachten und musikalisch zu reflektieren, ist ein großes Geschenk und immer wieder eine neue Herausforderung für mich. [….]«
Wer Bläser und Slide-Gitarre (zum Beispiel in "Im Reich der Illusion") einsetzt, hat beim Rezensenten schon einen Stein im Brett.
Kein Klingeln, kein Anklopfen, kein Lieferanteneingang: "Auf großer Reise" fällt sozusagen mit der Tür ins Haus. Hammer! Dieser Rock kitzelt die Nerven, ist Anmache pur. Es gibt kein Entrinnen. Wer auf deftigen, richtig gut inszenierten Rock mit aussagekräftigen deutschen Texten steht, ist schon nach wenigen Minuten gefangen im Kreis der "Seelenlotterie".
Wiesners angeraute Stimme ist extrem überzeugend, passt so gut zum Wirbelwind-Rock der Musik. Mazze Wiesner bringt den Staubkörnern das Fliegen bei.
Mazze Wiesner hat Lyrics zu Papier gebracht, die voller Fantasie und Authentizität sind.
"Im Reich der Illusion" ist wie gemacht für die Stadien dieser Welt. Dem Hörer wird relativ schnell klar, dass die Songs voller Rock-Reichtum sind. Wiesner hat seinen Stil, der einem ein sagenhaftes Spektrum bietet.
Mit Wiesner kann man kuscheln, träumen, sich entführen lassen in eine Welt aus pastellfarbenen Chiffontüchern, die von der "Deine Liebe bleibt"-Intensität sowie echten Streichern wie ein Hauch durch die Luft schweben. Am Ende feiert die Dynamik ein Freudenfest. Highlight!
Stimmungswechsel ist angesagt.
Mit Geschwindigkeit, Gefühl und Power vermengt die Combo deftigen Gitarren- und Keyboard-Rock mit einer Messerspitze Blues. "Letzte Ausfahrt Paradies", von dem der Multiinstrumentalist sagt, dass der Song »[…] die Möglichkeit beleuchtet, unseren wunderschönen Planeten, der in meinen Augen ein Paradies darstellt, zu erhalten und im Kleinen umzudenken, um im Gesamten Großes zu bewirken […]« ist Dramatik pur.
Nicht nur diese Nummer ist ein riesiges Plakat der Mahnung, ohne den berühmten Zeigefinger zu heben. Wiesner kann auch noch pfeifen. Super!
Nach einer weiteren balladesk-aufmüpfigen "Sinnlos verloren"-Momentaufnahme mit Celloklängen von Adrian Kehlbacher ist bei "Soll ich bleiben oder gehen" die Duett-Zeit angebrochen. Linda Rietdorf – auch für Backing Vocals zuständig – singt mit einer hinreißenden Stimme und zaubert damit eine ganz besondere Stimmung.
Was auf der einen Seite die Streicher sind, sind auf der anderen Seite die Horn-Einsätze. "Am Arsch vorbei" ist voll der Funk. Klasse!
Klingt nach Dobro, wenn das Bottleneck in "Herz geraubt" über die Saiten gleitet. Ein zeitlos schöner Song.
Wow! Stillsitzen verboten. "Ich ziehe in mein Leben ein" ist – mit einer nachdenklichen Atempause und fetzigen Horns – rockende Motivation für die Fußwippe.
Wiesner hat es drauf.
Wiesner bringt sich mit "Seelenlotterie" in Position, um einen der obersten Podestplätze des Deutschrock zu belegen.
Wiesner fällt auf, ist einfühlsam und intensiv.
Wiesner kann es.
Wiesner zeigt dem Hörer, wie groß die Welt des Deutschrock ist.
Bleibt gesund und nehmt euch zur Ablenkung Zeit für gute Musik.
Line-up Wiesner:
Jotham Bleiberg (horns – #8,9,13)
Björn Frank (horns – #8,9,13)
Stephan Böhm (horns – #8,9,13)
Kyoungjie 'Kimi' Kim (violin – #4)
Dinar Enikeév (cello – #4)
Adrian Kehlbacher (bass – #1,2,4,5,8-10,12, cello – #6)
Frithjof Rödel (lap steel – #12)
Linda Rietdorf (backing vocals – #4,7,9, female vocals – #7)
Mazze Wiesner (all other instruments, vocals)
Tracklist "Seelenlotterie":
- Auf großer Reise
- Blinder Passagier
- Im Reich der Illusion
- Deine Liebe bleibt
- Letzte Ausfahrt Paradies
- Sinnlos verloren
- Soll ich bleiben oder gehen
- Am Arsch vorbei
- Meine Königin
- Herz aus Stein
- Alles ist Alright
- Herz geraubt
- Ich ziehe in mein Leben ein
Gesamtspielzeit: 51:22, Erscheinungsjahr: 2020



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