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Pannach & Kunert / Fluche Seele Fluche – CD-Review

Pannach und Kunert Fluche Seele fluche CD-Review in RockTimes

"Fluche Seele Fluche", das lange vergriffene Album der DDR-Dissidenten Gerulf Pannach und Christian 'Kuno' Kunert von 1981 ist 2016 von Marktkram digital remastered worden und im Buschfunk-Vertrieb erhältlich. Wer sich bei den Namen verwundert die Augen reibt, kann die Hintergründe in den Reviews zu Sonne wie ein Clown  und Für uns, die wir noch hoffen, nachlesen.

Die Lieder wurden im Juli 1981 (vier Jahre nach der Ausweisung aus der DDR) im Berliner Sinus-Musik-Tonstudio aufgenommen – ich fantasier mal, dass die Beiden sich zu diesem Zeitpunkt mit der veränderten Situation mehr oder weniger arrangiert hatten. Denn so kritisch auch auf diesem Album die Texte sind, so stark ist es musikalisch. Okay, das mag auch daran liegen, dass "Für uns, die wir noch hoffen" Liveaufnahmen unter völlig anderen Bedingungen und mit wesentlich reduzierterem Instrumentarium waren.

Trotzdem, allein schon der Anfang von "Fluche Seele Fluche", der das Vorspiel zu Bachs "Herr unser Herrscher" zitiert, ist der erste Hammer. Zuerst das glasklar gehämmerte Piano und im Verlauf des Liedes das Thema immer wieder mit einer immer dissonanter werdenden Orgel sowie Streichern, das ist eine Gänsehaut wert. Der Text basiert auf dem expressionistischen Gedicht "Weiter, weiter unermüdlich" von Erich Mühsam – 1914 erstmals erschienen und verdammt noch mal, ist das nicht heute so aktuell wie zu Mühsams Zeiten und zu Pannach & Kunerts Zeiten?

Ob im Süden oder Norden
Nirgends bist du froh geworden
Suche, Seele, suche
Such nur, kannst doch nichts finden
Siehst nur das Glück von hinten
Fluche, Seele, fluche[…]
Ob im Osten oder Westen
Wo man ist, ist’s nie am besten
Suche, Seele suche
Freiheit, Freibier und Frieden [Anm.: man beachte die Reihenfolge!!]
Sind dir, Seele, doch nicht beschieden
Fluche, Seele, fluche

Ihr 'Cover' des "Backstreet Girl" (Rolling Stones) kommt mit genug Dreck unter dem Fingernägeln und vor allem Eigenständigkeit (nicht nur was den politischen Text betrifft) daher. Was Mick und Keith als nettes amouröses Abenteuer angelegt haben, wandert bei Pannach & Kunert in die Hausbesetzerszene. "Berlin. Dein Winter ist kein Spaß" ist heute wahrscheinlich leider genauso aktuell wie damals.

Mir als bekennendem Landei beschert "Ach wie gut ist’s auf dem Land" bei jedem Hören neues Bauchweh vor Lachen. Nicht nur der großartige Text, der vor Ironie und Hintersinnigkeit nur so strotzt, sondern auch die instrumentale Umsetzung. Ich finds geil, wenn sich zwischenrein so eine dissonante Humptata-Parodie einschleicht – vor meinem inneren Auge sehe ich einen jungen Blasmusiker wider Willen im Kampf mit seinem Instrument vor mir. Man kann "Country Comforts", geschrieben von Elton John, auch gesungen von Rod Stewart, durchaus an der Melodie erkennen, doch die Interpretation von Pannach & Kunert bringt so viel eigenen Charakter mit, dass es unfair wäre, das Ganze als Cover zu betiteln.

"Über den Frieden" ist eine relativ nahe Übersetzung und Interpretation des Anti-Kriegsliedes "Sobre la pau" des katalanischen Sängers und Liedermachers Raimon. "Sonntag", das einerseits gerade auch durch den Untertitel (Mauerlied) wieder einen politischen Bezug bekommt, könnte aber genauso als reine Malocherhymne durchgehen.

"Zaunkönig jagen (Johnny der Trinker)" ist zwar ein englisches Volkslied, doch die Interpretation weckt bei mir die Assoziation zu Brecht/Weill. Die verliert sich auch nicht bei "Verlor’n in Madrid". Der Bogen nach Spanien bleibt auch in "Für Joan Miró (A Joan Miró)" gespannt. »Vom Rot das brennt, wünsche ich mir die Welt« – Moment mal, "Vom Rot das brennt", das kenne ich doch von "Für uns, die wir noch hoffen" – und tatsächlich, es ist wieder DIESER Song. Und das Rot bezieht sich garantiert nicht auf die Farbe auf der Leinwand des spanischen Malers. Zumindest nicht ausschließlich, bekommt doch dieses ohnehin vielschichtige Lied angesichts der damaligen politischen Situation in Spanien noch eine Schicht mehr.

Soweit dann der offizielle Teil, dazu gesellen sich noch drei Bonustracks, zu denen sich Pannach & Kunert auf der letzten Seite des Booklets im Interview mit Roseranke Schulz-Grimmwalder so äußern: »Es ist ja nicht so, dass man einst Müll produziert hätte unter dem Gesichtspunkt, das brauchen wir in fuffzig Jahren als Bonustrack.« Nein, ganz im Gegenteil, wir Hörer von heute, können uns glücklich schätzen, dass auf dieser Wiederauflage (schnell bestellen, bevor auch die wieder vergriffen ist!) noch ein Sahnehäubchen draufgepackt wurde. Die Charts wird zwar vermutlich auch diese Auflage nicht stürmen, doch wer Sinn für richtig gute Liedermacher hat, sollte die Gelegenheit nutzen und hier zugreifen.


Line-up Pannach & Kunert:

Christian 'Kuno' Kunert (Vox, Tasten, Akustik-Gitarre, E-Gitarre, Harp, Posaune, Bass-Gitarre, Schlagzeug)
Gerulf Pannach (Vox, Akustik-Gitarre, Percussion)

Gastmusiker:
Gary Gordon (E-Gitarre – #8)
Streicher der Deutschen Oper bei – #1

Tracklist "Fluche Seele Fluche":

  1. Fluche, Seele, fluche
  2. Hinterhof-Gör (Backstreet Girl)
  3. Berlin, dein Winter ist kein Spaß
  4. Sonny Terry & Brownie McGhee
  5. Ach wie gut ist’s auf’m Land
  6. Instrumental
  7. Über den Frieden (Sobre la pau)
  8. Sonntag (Mauerlied)
  9. Trommellied
  10. Zaunkönig jagen (Johnny der Trinker)
  11. Verlor’n in Madrid
  12. Für Joan Miró (A Joan Miró)
  13. Ausklang
  14. Er wollte alles und noch was mehr
  15. Hinterhof-Braut (Demo)

Gesamtspielzeit: 42:12, Erscheinungsjahr: 2016 (1981)

Über den Autor

Sabine Feickert

Hauptgenres: Rock, Deutschrock, Mittelalter, 'leise Töne'
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Mail: sabine(at)rocktimes.de

3 Kommentare

  1. Ulli Heiser

    Hallo Peter,

    check mal deine Email 🙂

    Grüße

    Ulli

  2. Peter Horn

    Nachdem ich mir die CD genau wegen diser genialen Beschreibung zugelegt habe, suche ich jetzt verzweifelt nach gitarrenakkorden für
    "Fluche Seele fluche"
    Peter

    1. Carlo LF

      Ja, gut, das ist ja auch kein Gitarrenstück 🙂 Aber man kann ja in etwa das Piano auf der Gitarre nachmachen. Und das geht so. Grundakkord ist A-moll, in der Basisposition. Dann spielt man zusätzliche Töne auf der H-Saite dazu: das D (A-sus) und die leere H-Saite(A-sus2), und zusätzlich auf der hohen E-Saite spielt man das F und das E abwechselnd. Dann kommt noch der G-Akkord ("suche…") (Barrée) und G-sus(C auf der G-Saite). Die Akkorde der Orgel kann man ebenfalls nachbilden: den G-Akkord einmal ohne das D, dann mit dem D und danach den G-sus. In der 2. Strophe wechseln sie auch noch auf E-moll, A-moll,-E-moll (was ein Ersatz für G mit G-sus ist). Die Streicher wirst du sicher ignorieren :-).

      Ansonsten: du hast mich dazu animiert, dass nette Stück bzw. die LP mal wieder anzuhören. Eine wirklich tolle Scheibe! Alte Erinnerungen, als die beiden in Berlin in den 70ern im Quartier Latin und anderswo zu sehen und zu hören waren.

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