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Aerosmith / Back In The Saddle Again (Live Radio Broadcast 1980 And 1984) – CD-Review

Aerosmith / Back In The Saddle Again (Live Radio Broadcast 1980 And 1984)

Wer kennt sie nicht, die im Jahr 1970 in Boston gegründete US-Band, deren Einflüsse anfänglich ausschließlich im schwarzen Blues lagen, die sich später jedoch immer mehr dem Mainstream zuwandten? Songs wie "I Don’t Want To Miss A Thing" (dem Soundtrack zum Film "Armageddon – Das jüngste Gericht"), "Cryin'", "Crazy", "Amazing", "Walk This Way", "Dream On" dürften so ziemlich jeden MTVIVA- oder Radiohörer bekannt sein, werden/wurden sie doch bis zum Erbrechen runtergenudelt.

Ihre erste Veröffentlichung "Aerosmith" im Jahre 1973 war beeinflusst von Led Zeppelin oder auch Cream sowie allen erdenklichen Musikern des Blues bzw. Rhythm & Blues und schaffte es immerhin auf Platz 166 der Billboard Charts. 1974 folgte die recht kantige Dampfrockscheibe "Get Your Wings" und 1975 "Toys In The Attic". Mit letzteren schienen sie ihren endgültigen Stil gefunden zu haben, eine Mischung aus Rhythm & Blues und Hardrock mit Powerriffs. Ein Aerosmith-Roadie meinte während eines Interviews: »Du kannst sagen, was du willst, sie haben irgendwas. Sie klingen wie ein Dinosaurier beim Bumsen…« – was immer er auch damit meinte. Es folgten Supportauftritte für zum Beispiel The Kinks und Mott The Hoople.
Der Grundstein zum Erfolg war gelegt, doch mit steigender Popularität stieg nicht nur der Stress, sondern gleichzeitig der Drogen- und Alkoholkonsum, man 'genoss' alles, was sich über Mund und Nase einführen ließ und somit natürlich die entsprechenden Auswirkungen auf Körper und Geist hatte – und die waren garantiert nicht immer positiv. Steven Tallarico alias Steven Tyler dazu in einem Interview: »Ich hab halb Peru verkokst«. Nicht umsonst nannte man das Tyler/Perry-Gespann deshalb auch die 'Toxic Twins'.
Es folgten noch drei weitere Veröffentlichungen: "Rocks" (1976), Draw The Line" (1977) und "Night In The Ruts" (1979), doch dann war die Luft raus, die Band befand sich in einer tiefen Krise.

Es kam zu ständigen Streitereien, nicht nur zwischen den 'Toxic Twins', was auch für das Bandgefüge immer mehr zum Problem wurde. Am Ende verließen Joe Perry (Lead Gitarre) und Brad Whitford (Rhythmus Gitarre) die Luftschmiede, um eigene Projekte zu starten. Das fiel genau in den Zeitraum, in welchem die auf dem mir vorliegenden Doppelalbum enthaltene Radioshow veranstaltet wurde.
Ersetzt wurden die beiden Bandkollegen durch Jimmy Crespo und Rick Dufay, die nun auch auf "Back In The Saddle Again (Live Radio Broadcast 1980 And 1984)" zu hören sind, einer Wiederveröffentlichung von bereits als Bootlegs grasierenden Radiomitschnitten (neben AC/DC, Quiet Riot, Journey, Molly Hatchet, Kansas, Lynyrd Skynyrd erscheinen auch die Aufnahmen von Aerosmith über Cannonball Records). Zwischen den beiden Shows war die neu formierte Band offensichtlich nicht untätig, denn man arbeitete bereits an der nächsten Scheibe ("Rock In A Hard Place", 1982). Deshalb erstaunt es umso mehr, dass man darauf verzichtete, einen der neuen Songs live vorzustellen. Aufmerksamen Zuhörern wird nicht entgehen, dass sich folgende Tracks überschneiden: "Train Kept A Rollin'", "Walk This Way", "Lick And A Promise", "Three Mile Smile/Reefer Head Woman" – wurde auf CD 2 lediglich um "Lord Of The Thighs" erweitert und auf knapp 12 Minuten ausgedehnt – außerdem die, übrigens gecoverten, Stücke "Milkcow Blues" und "Big Ten Inch Record". Letzterer wurde auf CD 2 jedoch um "Mama Kin"erweitert.

Bei ganz genauem Hinhören dieser Radiomitschnitte ist recht gut zu vernehmen, dass es um das Befinden der Band nicht mehr zum Besten stand. Vor allem an Steven Tyler waren die Folgen des heftigen Drogenkonsums nicht zu übersehen, geschweige zu überhören, wie hier an den manchmal etwas leicht schrägen Gesangseinlagen des Frontmannes, auch wenn er ab und zu wie der junge Robert Plant klingt.
Welch furiose Auftritte legte er Jahre später hin, nachdem er sich Mitte der 80er in eine Drogenklinik einweisen ließ, was ihm offensichtlich sehr gut bekam. Ich denke heute noch mit Begeisterung an die grandiose Show bei Rock im Park im Jahr 1997!
Die beiden Abtrünnigen Joe Perry und Brad Whiteford kehrten übrigens nach dem hier mitgeschnittenen Live-Auftritt im Orpheum Theatre in Boston am 14. Februar 1984 in den Schoß der Aerosmith-Familie zurück und man ging an die Arbeit zu "Done With Mirrors".

Auch nicht ganz 'unschuldig' am Comeback der Luftschmiede waren die Hip Hopper Run DMC, die den Song "Walk This Way" – mit dem Segen von Aerosmith – in seine Einzelteile zerlegte und als eigenwillige Cover-Version wieder zusammenschraubten. Die Mannen um Tyler wurden für einen dazu gedrehten Video-Clip gleich mit eingespannt, in welchem sie sich mit übertriebenem Rock-Macho-Gehabe selbst auf die Schippe nahmen. Von da an ging es, zumindest bis "Pump" wieder stetig aufwärts mit dem Erfolg. Danach gab es bei den Platten-Verkaufszahlen eine ewige Berg- und Talfahrt, ganz weg 'vom Fenster' waren sie jedoch nie.
Für 2017 ist übrigens eine Abschiedstournee geplant.

Was bleibt, ist eine Veröffentlichung aus den 'frühen' Aerosmith-Scheiben, die für diejenigen, denen lediglich die Radionummern bekannt sein dürften, vermutlich eine Entdeckung sein könnte. Eben, um auch mal die andere, bluesigere Seite der Band kennen zu lernen, was natürlich für Mainstream-Ohren ungewohnt sein wird. Der Sound ist für Soundspezialisten sicherlich nicht optimal, das geht aber in Ordnung und ist meiner Meinung nach sehr authentisch. Ein Kauf lohnt sich auf jeden Fall.


Line-up Live At The Boston Club, 1980:

Steven Tyler (lead vocals, harmonica)
Jimmy Crespoc (guitar, vocals)
Tom Hamilton (bass)
Brad Whitford (guitar)
Joey Kramer (drums)

Line-up Live at the Orpheum Theatre, Boston, 1984

Steven Tyler (lead vocals, harmonica)
Jimmy Crespoc (guitar, vocals)
Tom Hamilton (bass)
Rick Dufay (guitar)
Joey Kramer (drums)


Tracklist "Back In The Saddle Again (Live Radio Broadcast 1980 And 1984)":

CD 1: Live At The Boston Club, 1980

  1. Interview
  2. Band Intro
  3. Rats In The Cellar
  4. Walkin' The Dog/Lord Of The Thighs
  5. Three Mile Smile/Reefer Head Woman
  6. Mother Popcorn
  7. Think About It
  8. Seasons Of Wither
  9. Wanna Know Why
  10. Big Ten Inch Record
  11. Walk This Way
  12. Lick And A Promise
  13. Milkcow Blues
  14. Come Together
  15. Train Kept A Rollin'

CD 2: Live at the Orpheum Theatre, Boston, 1984

  1. Back In The Saddle
  2. Big Ten Inch Record/Mama Kin
  3. Three Mile Smile/Reefer Head Woman/Lord Of The Thighs
  4. No More No More
  5. Lick And A Promise
  6. Sweet Emotion
  7. Dream On
  8. Sick As A Dog
  9. Walk This Way
  10. Milkcow Blues
  11. Toys In The Attic
  12. Train Kept A Rolling'

Gesamtspielzeit: 76:00 (CD 1), 70:06 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2017 (1980, 1984)

Über den Autor

Ilka Heiser

Hauptgenres: Classic Rock, Blues Rock, Heavy Rock
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