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André Herzberg / Keine Stars – Mein Leben mit Pankow – Buch-Review 2021

Aus verstaubten Schubladen geborgene und zu Papier gebrachte Tagebuch-Kritzeleien eines – für den vormaligen Osten exemplarischen – Eigensinnlers respektive vormaligen Ventils unzufriedener Mauerstaat-Untertanen verspricht wohl weder minder Braves noch ostalgisch Verklärtes, hingegen von Sex, Alkohol und Rock’n’Roll durchtränkte Einblicke in ein ideologisch-umzäuntes Kulturmilieu.
Von den ersten Zeilen an schreibt sich der Autor und gleichwohl Besetzer eines, in ostdeutschen Musikerkreisen erworbenen, Podestplatzes als Prototyp des renitenten Frontmannes der tolldreisten Stadtbezirks-Matadoren Pankow, deren punkige Lässigkeit und rotzige Rock’n’Roll-Attitüde Honeckers Machtapparat provozierten, die tiefgreifensten Momente von der nunmehr altersmilden Seele.
Wenn André Herzberg zu Beginn des Buches uns in die Tiefebenen seiner kindheitstraumatischen Narbenlandschaft hinabführt, die frühzeitige Gabe seine sich zu verdichtende Wut sowie das erstickte, dazu jüdisch-gewurzelte Selbst in diesen nebligen Zustand – der ihm »bis heute der vertrauteste ist« – zu versenken, überfällt es die Pelle eines jeden Bibliomanen.

Mit geradezu autistischer Redseligkeit schildert er seine anfänglichen Flüchte in die tönenden Melodien, ob Brechts Dreigroschenoper bis naive Schlageretten von Mutters-Plattenspieler, das phantasienbelebende Sinne-Ertasten beatmusikalischer Aufbrüche mit Dreizehn beziehungsweise jener pubertären Erweckungsmomente im Ferienlager, die »ein Stück Eis um sein Herz« zum Schmelzen brachten.
Des Künstlers, teils in eine melancholische Meditation gleitendes Erzähltalent liegt durchweg im stilistisch Zartem, wenn uns selbiger am seinerzeit jugendentzündlichem Funken der 68er Widerständler samt ihrem Sound als auch entfachtem Drang nach einem Sängerleben und deren Bedeutsamkeit teilhaben lässt.

Der ewige Sonderling mit der »angewöhnten Verweigerungshaltung« sowie dem Wunsch, Verbündete für seinen Traum, die Bühne zu finden, der Wolf Biermanns Wortmächte sowie George Harrisons "Concert For Bangladesh" vergötterte, manövriert den Leser im prosaischen Grau durch vernarbende Lebens-Einschnitte: Sei es selbst Andrés Selbstmord-Erfahrung während der Armeezeit, die Zwiespältigkeit mit Mutter, noch dazu jene Gängelungen der Kultur-Bestimmer auf seinem dornigen Jakobsweg zum Rock’n Roll-Aktivisten.
In der Konsequenz dessen, simultan mit des älteren Bruders alltagsentlarvenden und volksnahen Songkonzepten im Gepäck, geleitete ihn dieser über Stationen der theatralischen Gaukler Rockband, staubige Proberaum-»der ungemütlichste Ort der Welt«-Alltage zu Veronika Fischers erfolgsverwöhnten – freilich nach ihrer Flucht nach Westberlin – stimmlosen Bandgefolge, bis hin zu jener Geburtsstunde von Pankow und seinem geistigen Santiago de Compostela.

Um sich einer langjährigen, aus heillosen Wunden von Verboten geborenen Visionen mitsamt dem Muff der szeneetablierten Zwischenzeilen-Poesien sowie Nomenklatura der SED-Funktionäre künstlerisch zu entziehen, entluden sich die Pankower im rauem Rockspektakel mit Paule Panke als »Gegenentwurf zur Ideologie des kommunistischen Überhelden«.
»Die Kunst, das Unmögliche, das Brutale, das Ungeheuerliche als menschlichen Witz zu zeigen, als Poesie, das war das Maß« gipfelte wider den Erfolg der Bühnenaufführung im Verbot, »Gottes Urteil, wie die Mauer um das Land«, so Herzberg, für eine Amiga-Langspielplatte, dahingegen im Kompromiss einer Liederauslese.
So stumpften sehnsüchtig-ironische sowie ihrem Publikum herzensnahe Gassenhauer wie das einer berlinschnäuzigen Tanzpolka entsprungene "Kille Kille Pankow" als künftige Band-Hymne, aber auch "Rock’n Roll im Stadtpark", das Damoklesschwert der Zensoren.

Der mit dem "Aufruhr in den Augen", so ein späterer Titelsong im bestimmenden Nebel der Kulturaufpasser navigierende Barrikadenkämpfer für Gerechtigkeit von einst neigt, wie zahlreiche Autobiographen, zum Anekdotischen. Dazu gehen hier wilde, voll unstillbaren Bedürfnissen nach Frauen, gestandene und provozierende Bühnengefechte Hand in Hand.
Dabei bewegten sich derart Demarkationslinien der Funktionärs-Betonköpfe überschreitende Akte wie sein Auftritt in Wehrmachtsuniform bei 'Rock für den Frieden' als wortgewaltiger Jude der vom Nazi-Regime zu den Deutschen 1983 eine Linie zog, eine Kooperation mit der Big Band der sowjetischen Streitkräfte einging, je nachdem mit Vorwende-Dichtungen – sprich "Langeweile" – nicht selten auf dünnem Eis.

»Das selbe Land zu lange geseh’n,
Dieselbe Sprache zu lange gehört
Zu lange gewartet, zu lange gehofft
Zu lange die alten Männer verehrt.«

(Langeweile,1988)

Der heute 65jährige Familienvater sowie einstmalige Absolvent der Musik-Hochschule "Hanns Eisler" Berlin blieb ungeachtet der Valuta-anbetenden Bestimmer-Gnade als West-Reisekader mit der späteren Erkenntnis »Wenn die Freiheit naht, beginnen die Ketten zu schmerzen«, dennoch überzeugter Rückkehrer.

Herzbergs zierratloses und zwischen den Zeilen selbstherapierendes Sinnieren über jenes, zwischen den Willkür übenden Tentakeln der SED-Krake windende Treiben seiner teils politisch subversiven 'Stones des Ostens' verdichten sich zu einem zeittypischen Sittengemälde voller radikaler Brüche, Desillusionierungen, Verbote so auch grauem Musikbeamtentum.
So mündeten für Ihn der ungeplante 89er Mauerbruch eines verrottenden Systems sowie die unverblümt-gewichtigen Künstler-Plädoyers, an deren Spitze er stand, für einen reformierten Sozialismus, die persönliche Ernüchterung so auch »Ende seiner Illusionen vom Paradies«, in den Ausverkauf und Verrat der Ideale seiner kommunistischen Eltern.
Da wachsen die Revision seiner Vergangenheit, die Flucht ins Innere, Trennungen, eine Reise zum Sehnsuchtsziel Amerika, die neue Rauheit und Härte jenes 'man sieht sich', dazu besagte Enttarnung des Gitarristen Jürgen Ehle als inoffizieller Stasi-Mitarbeiter, zur Zäsur obendrein völligen Neukalibrierung.

Heute, im nunmehr vierten Jahrzehnt neureformiertem Pankow-Schaffens, bilanzieren die Songzeilen

»Du kommst auf die Welt,
suchst nach den Sinn,
wirst Revolutionär,
bleibst einfach nur Kind,
aber nur aus Spaß«

seinen Friedensschluss mit diesem Deutschland, seiner jüdischen Identität überdies jenem merkwürdigen Ostalgie-Gefühl.
Obschon inzwischen »die Worte von damals eine andere Bedeutung bekommen« lebt der Biograph sein »Märchen des Lebens« im »Traum vom Pop«.


Angaben zum Buch:

Verlag: Aufbau Verlag GmbH & Co.KG
1. Auflage
Gebundene Ausgabe, 256 Seiten, 20,8 x 24,4 cm
ISBN 978-3-351-03843-4
24,00 Euro

Über den Autor

Ingolf Schmock

Als gebürtiges Mauerkind zudem frühzeitig mit westlichen Rock'n Roll-Ultrakurzwellen-
Oddyseen und Beatclub-Aufklärungen sozialisiert, galt mein musikalisches Verständnis
deren meist langmähnigen Aussenseitern. The Who, Small Faces, The Move...,später dann
Hartglötzer wie Black Sabbath, Deep Purple&Co., zu guter Letzt Schwurbel-Pioniere
ala Yes, Genesis, ELP...waren (sind) meine Helden sowie Seelenklempner.
Heute liegt mein Hauptaugenmerk (auch Hierzulande) auf sowohl handgemacht Rockistischem
mit Engagement und Seele, als auch Prog-gebrandmarkten virtuos-Verspieltem.

3 Kommentare

  1. Mario Keim

    Eine solche Anerkennung vom Künstler – das ist der Ritterschlag! Respekt Ingolf, Danke für dieses ehrliche Statement an den von mir sehr geschätzten André Herzberg! Liebe Grüße Mario

  2. A.Herzberg

    Lieber Ingolf Schmock, du hast Dich sehr intensiv und sicher zeitaufwendig mit Buch und Lied-Texten, wie überhaupt mit meinem Leben auseinandergesetzt. Es war für mich anrührend zu lesen. Vielen Dank. André Herzberg

    1. Ingolf Schmock

      Lieber André, es war für mich ein Vergnügen und eine große Ehre. Ingolf Schmock

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