Über den im Nordosten der USA lebenden Chris St. John ist nicht allzu viel bekannt. Lediglich, dass er sich im bürgerlichen Leben sein Geld als Rechtsanwalt verdient, bereits weit jenseits der Vierzig ist und dass es sich bei "I’m Dreaming" um sein erstes Soloalbum handelt. Und er macht sogar noch mehr Geheimnisse, denn im Booklet bedankt er sich zwar bei seinem 'Musical Director' Kati O’Toole und den von ihr eingesetzten Studiomusikern, deren Namen er dann andererseits jedoch nicht erwähnt. Seis drum, von einer Ausnahme (dem Traditional "Peggy O'") abgesehen wurden sämtliche Tracks der Scheibe von dem Protagonisten alleine komponiert und spiegeln einen Teil seines Lebens wider. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn abgesehen von vier neuen Stücken entstanden alle anderen über einen Zeitraum von dreißig Jahren.
Die 15 Songs mäandern zwischen Alternative Country und Americana und selbst wenn es musikalisch zwischendurch mal deutlich in Richtung Nashville geht, so vermitteln die Texte doch immer wieder so viel Erdhaftung, dass die Nummern nie Gefahr laufen, in Seichtigkeit zu verfallen oder zu süßlich zu werden. Hier erzählt ein Geläuterter von seinem Lebensweg als aufstrebender Rechtsanwalt, der Gründung einer Familie (aka 'Alles läuft, wie geplant'), dann aber auch von seinem tiefen Fall in die Alkoholsucht, wie er dem Tod im letzten Moment noch mal 'von der Schippe' sprang und dem schwierigen und sehr langen Weg zurück ins ’normale' Leben. Chris St. Johns Stimme ist in den etwas höheren Lagen angesiedelt, bleibt aber immer angenehm und geht gut ins Ohr. Die musikalische Grundausrichtung wird von Akustikgitarren, dem Bass und den Drums gelegt, zu denen sich aber immer wieder ein feines Banjo, eine Mandoline und auch mal eine Harmonika gesellen. Bei den Geschwindigkeiten der Songs dominiert das Midtempo, wobei durchaus auch flottere Titel und ein paar Balladen beigemischt wurden.
Zur musikalischen Ausrichtung muss auch nachgeschoben werden, dass die Platte eine starke Aura bzw. Atmosphäre der siebziger Jahre versprüht, was an dieser Stelle durchaus positiv zu verstehen ist. Der in der Produktion verwendete Hall umhüllt die Stücke mit einem geheimnisvollen Schleier und beim Anhören hat der Rezensent oft das Gefühl, so etwas wie dramturgisch in Filmen eingesetzte Rückblenden in das Leben des Protagonisten zu erhalten. Klasse gemacht. Im ersten Teil von "Never Forget The Day/Walk Through The Forest" sind ein wunderschönes Piano und dazu richtig gute Background-Sängerinnen mit am Start, während es im zweiten Part fernöstlich (eine Sitar?) klingt. Eine klasse und vor allem unerwartete Abwechslung. Ebenfalls abweichend von der Norm kommt das mit Bläsern und einem gewissen Mariachi-Feeling ausgestattete "Two Tender Angels". Meine Lieblings-Ballade der Scheibe ist das vom Piano unterlegte "Looking At The Sky".
Wenn im Fazit etwas erwähnt werden muss, dann dass "I’m Dreaming" auch eines dieser Alben ist, das sein volles Aroma vor allem dann ausbreitet, wenn man es alleine und in Ruhe anhört. Stören würde es auch in allen anderen Situationen nicht, die Feinheiten und Details jedoch wohl eher untergehen. Die Songs gehen allesamt gut ins Ohr, sind sehr melodisch und manchmal sogar so harmonisch, dass man die in den Texten festgehaltenen Abgründe fast überhört. Letzten Endes also ein gutes Album, wenn auch keines, das man zum Überleben bräuchte. Aber dafür hat ja sowieso jeder so seine speziellen Scheiben im Köcher. Als Anspieltipps werfe ich mal "I Called You Rose", "Your Baby Loves You", "The Guests Have Gone Home" sowie "Never Forget The Day/Walk Through The Forest" in die Runde.
Tracklist "I’m Dreaming":
- I Need A Horse
- I Called You Rose
- Your Baby Loves You
- Pacific Sunrise
- Dreams Are Free
- Two Tender Angels
- A Box For Jewels
- The Winds They Blow
- Looking At The Sky
- The Chance I Gave You
- Peggy O'
- The Guests Have Gone Home
- You Sang To Me
- Never Forget The Day/Walk Through The Forest
- I’ll Send You My Heart
Gesamtspielzeit: 57:51, Erscheinungsjahr: 2021
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