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Iggy Pop / The Idiot – Deluxe Edition – 2CD-Review

Iggy Pop - "The Idiot" - 2CD-Review

Etwa Mitte der siebziger Jahre war Iggy Pop ganz unten angekommen. Bereits seit Jahren schwer heroinsüchtig war der Tiefpunkt seines bisherigen Lebens erreicht, als er in dieser Zeit auch noch in eine Anstalt für psychisch Kranke eingewiesen wurde. Sogenannte 'Freunde' hatten sich – bis auf ganz wenige Ausnahmen – alle verdünnisiert und da saß er nun, flechtete Perlenketten und spielte für einen Rocker so prickelnde Spiele wie etwa Memory. Doch einer der ganz Wenigen, die zu ihm hielten war David Bowie, der ihn dann sogar aus dem Institut rausholte und nur wenig später (auch um seine eigene Sucht in den Griff zu bekommen) mit Pop nach Berlin zog. Hier fingen beide dann wieder mit ernsthafter Arbeit an, was zu Bowies sogenannter 'Berlin-Trilogie' (die Alben "Low", "Heroes" sowie "Lodger") führte. Außerdem schrieb er zusammen mit Iggy für dessen Karriere neue Songs und war als Musiker, Background-Sänger sowie Produzent im Studio dabei.

Das Ergebnis schlug sich zunächst in Iggys erstem Solo- und somit Comeback-Album namens "The Idiot" nieder. Wobei ist es sich bei dem Titel nicht um eine Selbstreflexion handelte, sondern dieser vielmehr durch das gleichnamige Buch des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski inspiriert wurde. Als Produzent, Arrangeur, Co-Komponist und Mitmusiker hatte Bowie – der sich gerade wieder neu erschuf – natürlich einen großen Einfluss auf den Sound der Scheibe, der folgerichtig völlig anders als alles klang, was Iggy Pop davor mit den Stooges gemacht hatte. Sehr düster und gothicmäßig-kalt klingt hier einiges, wodurch sich die Scheibe unter anderem zu einer großen Inspiration für die Jahre später erst noch entstehende New Wave-Welle entwickelte.

Überraschend funky beginnt "Sister Midnight" diese Sause, bevor Iggys mit tiefer Stimme vorgetragener Gesang dem Hörer fast das Blut in den Adern gefrieren lässt. Die Stimmung ist düster und eigentlich sogar schon ein bisschen beklemmend, was sich auch im Verlauf dieses Werks nicht mehr großartig ändern wird. Pop klingt wie jemand, der sich in seinem eigenen Gefängnis befindet und an nicht physisch, sondern eher psychisch existierende Wände zu hämmern scheint. "Nightclubbing" beschreibt das Leben der Herren Pop und Bowie nach Feierabend, als sie Nacht für Nacht (»… wie Zombies …«, wie Pop einmal kommentierte) durch die Berliner Nachtclubs zogen. Die Drogen waren (zumindest meistens) durch Alkohol ersetzt worden, was die beiden für den nächsten Tag und die nächste Schicht im Studio zumindest halbwegs funktionstüchtig machte.

Sehr interessant ist auch, dass der von Bowie etwa fünf Jahre später zum Riesenhit werden sollende Track "China Girl" hier seine Uraufführung erfahren durfte. Wobei die Bowie/Pop-Kompostion hier – fast schon selbstredend – deutlich rauer und ungeschliffener um die Ecke kommt. Hintergrund des Stücks ist, dass die Aufnahmen der Platte in einem Studio unweit von Paris begannen (bevor die Endfassung dann in Berlin produziert wurde) und Iggy sich dort in eine Frau mit asiatischen Gesichtszügen verliebte. Als er ihr verzweifelt sein Herz zu Füßen legen wollte, sagte diese aber einfach nur »Shshshshsh …«. Klasse und ebenfalls autobiografisch, nämlich seiner ehemaligen Band The Stooges gewidmet, startet "Dum Dum Boys" zunächst sehr verhalten, bevor die Gitarre einsetzt, das Ganze etwas mehr Fahrt aufnimmt und sich zu einer richtig guten Nummer entwickelt.

Als Bonus ist dieser Deluxe Edition des Albums eine CD mit Aufnahmen eines Konzerts aus London beigefügt. Die Power dieser Show lässt sich sehr gut erahnen, aber leider ist der Sound kaum besser als mit dem Attribut Bootleg-Qualität zu beschreiben. Bei den insgesamt 15 Tracks kommen lediglich drei Nummern von "The Idiot" zum Tragen, ebenfalls drei vom nächsten Soloalbum "Lust For Life" und beim restlichen Material handelt es sich um Stücke der Stooges. Wenn vom Sound auch nicht wirklich optimal, nimmt man die mit großer Wucht gespielten Stücke jedoch gerne mit. David Bowie war an den Tasten und als Background-Sänger dabei, leider gibt es jedoch keine Angaben zu den restlichen Musikern, wobei man davon ausgehen darf, dass es sich um Carlos Alomar, George Murray sowie Dennis Davis handeln dürfte, die sowohl auf "The Idiot", als auch der folgenden Scheibe im Studio die Begleitband waren.

Letzten Endes war "The Idiot" für Iggy Pop ein beeindruckendes, wenn auch nicht gerade leicht verdauliches Comeback, das durchaus Einfluss auf die Musik-Szene nahm und der Kreation eines ganz neuen Stils auf die Beine helfen sollte. Und darauf kann und darf man als Musiker durchaus stolz sein.


Line-up Iggy Pop ("The Idiot"):

Iggy Pop (lead vocals)
Carlos Alomar (guitars)
Phil Palmer (guitars)
David Bowie (keyboards, synthesizer, piano, guitars, saxophone, xylophone, background vocals)
George Murray (bass)
Laurent Thibault (bass)
Dennis Davis (drums)
Michel Santangeli (drums)

Tracklist "The Idiot":

CD 1 ("The Idiot"):

  1. Sister Midnight
  2. Nightclubbing
  3. Funtime
  4. Baby
  5. China Girl
  6. Dum Dum Boys
  7. Tiny Girls
  8. Mass Production

CD 2 ("Rainbow Theatre, London – 07/03/1977"):

  1. Raw Power
  2. TV Eye
  3. Dirt
  4. 1969
  5. Turn Blue
  6. Funtime
  7. Gimme Danger
  8. No Fun
  9. Sister Midnight
  10. I Need Somebody
  11. Search And Destroy
  12. I Wanna Be Your Dog
  13. Tonight
  14. Some Weird Sin
  15. China Girl

Gesamtspielzeit: 38:43 (CD 1), 65:25 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2020 (1977)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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