Tolle Belichtung über dem Horizont abgegraster Motive
Es schadet nie, seine ganz persönliche Optik über den eigenen Tellerrand hinaus zu fokussieren und dabei mal die Spot-Messung außen vor zu lassen. Breite Sichtfeldmessung sollte die Wahl der Stunde sein, das fördert im besten Fall auch das Verständnis eines gemeinsamen Miteinanders.
Also schnappt sich der Rezensent die mittlerweile nicht mehr ganz tauffrische Neuveröffentlichung der aufstrebenden und seit längerem in den USA (Nashville) lebenden britischen Gitarristin, Sängerin und Songschmiedin Joanne Shaw Taylor mit dem Titel "Black & Gold", fährt zu einem Liebhaber weiblicher Gesangskünste zwischen Lena und Tarja Turunen und ist gespannt wie Flitzebogen, ob diese bei dem Probanden gänzlich unbekannte Lady ankommt.
Das Experiment erweist sich in diese Richtung als Volltreffer. Während der Rezensent dem davor live gestreamten Wacken-Auftritt von Within Temptation nur mit Unmengen hopfenhaltigen Kaltgetränks begegnen kann, einschließlich des heimlichen Wunsches nach einer Kopfschmerztablette, trifft Joanne Shaw Taylor fast uneingeschränkt den Nerv des großen Pop-Fleetwood Mac und Cher-Fans.
Erste Reaktion?
»Das könnte 1A Amy McDonald sein!«
Mist, mangels Tellerrand und so ist der Rezensent auf dem falschen Fuß erwischt. Amy Winehouse ist ihm präsenter in Erinnerung.
Aber wir wollen ja den Fokus aus seiner Verengung befreien. Und genau das beherzigt Joanne Shaw Taylor auf ihrem inzwischen zehnten Studioalbum.
Mit ihrer Stimmfärbung schimmern neben Amy McDonald auch so unterschiedliche Künstlerinnen wie Joan Armatrading, Tracy Chapman, Carole King oder Tanita Tikaram durch, musikalisch umfasst das breite Fokusmessfeld neben Amy McDonald das Terrain eines John Mellencamp, einer Beth Hart, einer Sheryl Crow und getragen dramatischer Zeppeline, während als große Klammer fast immer unüberhörbar ihr Mentor Joe Bonamassa aus allen Poren tropft, auf dessen Label dieses Album erschienen ist und von seinem Haus- und Hofproduzenten Kevin Shirley (Aerosmith, Black Crowes, Iron Maiden, Black Country Communion) betreut wurde.
Das hinterlässt natürlich Spuren und der kommerziell unangefochtene König der bluesrockigen Klänge hat längst raus, wie ein verengter Spot aus dem Käfig befreit werden kann. Trotzdem ist es leicht irritierend, dass die gitarristischen Leckerlis der schon immer veritablen Saitenartistin gefühlt auch genau so gut von Bonamassa himself stammen könnten.
Ausgesprochenes Highlight ist die für die Künstlerin heikle Frage "Who’s Gonna Love Me Now?", die rein musikalisch mit sphärischer Repetition im 80ies-Style und grandioser Saitenstreichelei (wegen selbiger mutierte der Rezensent in eben diesen 1980er Jahren zum Claptologen) den größten Überraschungscoup landen kann, inklusive Herrn Bonamassa himself (der Mann weiß, was gut ist!), gefolgt von der hymnischen Faces-Aufbereitung "Love Lives Here", die der Protagonistin endlich etwas mehr Freiraum für ihre Saitenkunst einräumt und mit einem Carole King-Timbre und ansteckendem Klimper-Piano herausragend interpretiert wird. Dieser Freiraum ist ansonsten nur noch im veritabel rockenden "I Gotta Stop Letting You Let Me Down" gestattet, ansonsten werden vergleichsweise kurze, aber songdienliche Saitenglanzlichter gesetzt.
Insgesamt ist die zweite Seite des Albums richtig stark gelungen, bei "Hell Of A Good Time" knallen die Drums, die Orgel röhrt und es rifft geradezu ansteckend, "Look What I’ve Become" verquickt Beth Hart mit punktuell bleiernen Luftschiff-Vibes und glänzt mit einer Griffbrettbelichtung, die auch ein Joe Bonamassa nicht besser hätte setzen können, während "What Are You Gonna Do Now?" beißende Lyrik mit ansteckend treibenden Klängen verbindet.
Abgerundet wird das Bouquet mit einem schön gestalteten Digipack, welches ein Booklet mit auffallend seniorenfreundlicher Schriftgröße mit allen (gehaltvollen) Texten bereithält, inklusive persönlichen Anmerkungen.
Schlagschattenlicht wirft dagegen einmal mehr das Mastering des Produkts. Der sogenannte Headroom (die 'Luft') der Aussteuerung signalisiert 'game over', zu verantworten hat dieses klangliche Desaster ein gewisser Bob Ludwig (hat in der Rock- und Pophistorie der letzten 60 Jahre absolut jeden und alles tontechnisch betreut, Gründer von Gateway Mastering) vermutlich von Joe Bonamassa mit guten Argumenten aus der wohlverdienten Rente geholt, aber leider ohne positiven Impact.
Fazit:
Auf dem Gehäuse der akustischen Bildergewalt steht Joanne Shaw Taylor, eine formidable Gitarristin und Songschmiedin, inzwischen auch ausdrucksstarke Sängerin, aber es steckt erstaunlich viel Joe Bonamassa in diesem Tool, obwohl er nur zwei Credits als Gitarrist hat. Nashvilles Session-Elite, der Tonmaestro der popularmusikalischen Historie und Buddy Kevin Shirley sind gerade gut genug, um reichlich Gold auf den Sensor zu bannen. Selbst ein Audley Freed (Cry Of Love, Black Crowes, Gov’t Mule) wird reaktiviert.
Das Ergebnis ist in Summe das vermutlich abwechlungsreichste Album der Künstlerin mit nicht wenigen Lichtspitzen. Ihr (und/oder Bonamassas) Fokus über die abgegraste Bluesrockmotivebene hinaus ist einen Hingucker/-hörer wert, leider ohne hochwertiges Hifi-Equipment zu einem verständnisvollen Miteinander zu bringen.
Line-up Joanne Shaw Taylor:
Joanne Shaw Taylor (lead vocals, background vocals & guitar)
Anton Fig (drums)
Alison Prestwood (bass)
Jimmy Wallace (keys)
Doug Lancio (guitar)
Audley Freed (guitar)
Joe Bonamassa (guitar – #2,4)
Savannah Madigan (background vocals, violin -#1,7)
Sheridan Gates (background vocals)
Tracklist "Black & Gold":
- Hold Of My Heart (3:45)
- All The Things I Said (4:48)
- Black & Gold (4:06)
- Who’s Gonna Love Me Now? (4:12)
- I Gotta Stop Letting You Let Me Down (4:54)
- Summer Love (3:33)
- Grayer Shade Of Blue (5:09)
- Hell Of A Good Time (4:07)
- Look What I’ve Become (5:17)
- What Are You Gonna Do Now? (3:20)
- Love Lives Here (5:04)
Gesamtspielzeit: 48:16, Erscheinungsjahr 2025



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