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Loreena McKennitt – Konzertbericht, 25.03.2019, Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle

Loreena McKennitt in Düsseldorf - Ticketfoto

In all den Jahren habe ich immer von der großartigen Akustik in der alten Phillips-Halle in Düsseldorf gehört – seit gestern Abend kann ich da mitreden. Auch wenn die Halle längst einen neuen Namen trägt.

Loreena McKennitt gab sich die Ehre, und viele Menschen sind ihrem Ruf gefolgt; die Halle war annähernd ausverkauft. Wer die ungemein charismatische Sängerin mit ihrem feuerroten Haar und ihren traditionellen Gewändern erstmals sieht, glaubt die gute Seele Irlands vor sich zu haben. Tatsächlich hat Loreena irisch-schottische Wurzeln, ist aber in Kanada geboren. Während des Konzerts erzählt sie, wie sie als Kind immer Tierärztin werden wollte, bis die Musik sie irgendwann einholte. Und die Kultur der Kelten, der sie auch forschend seit Jahrzehnten auf der Spur ist. Dass diese Reisen sie eben auch in Regionen führte, wo man das Keltische Volk eigentlich nicht erwartet hätte, spiegelt sich in Loreenas Musik in einziger Weise wider. Griechenland, die Türkei bis hin nach Urumtschi in China hat sie bereist und ist überall dort auf Relikte der einstigen Kelten gestoßen. Song-Titel wie "Caravanserai" oder "Marco Polo", der im Gegensatz zum erstgenannten Titel heute Abend auch gespielt wird, zeugen von diesen orientalisch, fernöstlichen Einflüssen.

Ihre Musik ist ein faszinierender, weltmusikalischer Mix aus balladenhaften, traditionellen Folksongs und entsprechenden Adaptionen mit den genannten ethnischen Einflüssen. Loreena singt dazu und spielt mal Harfe, mal Piano und ab und zu die Ziehharmonika. Aber egal was sie tut, allem widmet sie sich mit uneingeschränkter Hingabe und mit einer überaus gewinnenden und bescheidenen Liebenswürdigkeit. Wer dieser Frau begegnet, wird sogleich von ihrem einzigartigen Zauber erfasst. Einmal konnte ich ein paar Worte mit ihr wechseln, damals beim legendären Live-Konzert im Forum des SWR1 in Mainz. Das Konzert, aus dem dann das Album Troubadours On The Rhine entstand.

Solche Möglichkeiten wird es heute Abend in der großen Halle nicht geben, dafür freue ich mich auf meine dritte Audienz bei einer fantastischen Band.  Denn Loreena McKennitt ist mitnichten nur Loreena. Sie hat seit vielen Jahren einige großartige und bestens zu ihr passende Begleitmusiker gefunden, die in unterschiedlicher Personalstärke an der Seite ihrer Frontfrau agieren. Bei meinem ersten Konzert im Kölner Tanzbrunnen gab es ein zehnköpfiges Ensemble mit diverser mittelalterlicher Instrumentalisierung, während ihr in Mainz nur die nicht minder charismatische Caroline Lavelle am Cello und der langjährige Gitarrist Brian Hughes zur Seite standen. Beide sind natürlich heute wieder mit an Bord, dazu Schlagzeuger Robert Brian, Bass-Mann Dudley Phillips und der virtuose Wirbelwind an der Violine, Hugh Marsh, der uns heute Abend ein ums andere Mal zu Begeisterungsstürmen hinreißen wird.

Schon der Auftakt versorgt mich mit wohligen Schauern. Eine besonders getragene "Bonny Portmore" schenkt uns einen der großen Klassiker gleich zu Beginn, tief und intensiv und in einer für mich neuen Version.
Loreenas einfühlsame Sensibilität spiegelt sich auch im Bühnenbild oder besser im Beleuchtungskonzept wider. Echte Kerzen im Hintergrund, scheinbar schwebend in der Tiefe des Raumes, verbreiten eine heimelige Wohlfühl-Atmosphäre. Und ein wenig Hogwarts-Feeling. Die Spot-mäßige Inszenierung der Künstler ist ganz und gar an der jeweiligen Stimmung des Songs ausgerichtet, besonders eindrucksvoll, wenn sich in den sehr sanften Balladen künstlerische Zwiegespräche zwischen Loreena und Caroline entwickeln, während die Begleiter dezent im Hintergrund verharren. Die unaufgeregt wechselnden und dimmenden Lichter untermalen perfekt die Akustik. Loreena bedankt sich noch während des Konzertes bei ihrem hervorragenden Stuff.

Durch die elektrische Betonung in der Instrumentierung wirken die druckvollen Passagen in den Songs heute besonders dynamisch und fast schon rockorientiert. Mitreißend, wenn Loreena zur Harmonika greift und fröhlich tanzend vor einer entfesselten Band agiert. Ihre strahlende Freude sprüht bis in die letzte Reihe und steckt an, die Halle tobt. So spielt Loreena mit uns und unseren Emotionen, wenn sie gleich im nächsten Lied mit spärlicher Instrumentierung und aller sanften Schönheit ihrer Stimme den gesamten Saal mitnimmt, auf dass man eine Stecknadel fallen hören könnte.

Ein zentrales Thema dieser Tour ist die symbolhafte Bedeutung der Bäume für die menschliche Gesellschaft. Sie, die die Natur ähnlich liebt wie ich selbst. Wer das Berchtesgadener Land einmal im Herbst besucht hat, weiß, welche Schönheit so ein Bergwald bieten kann. Eine Bildpräsentation dazu habe ich einst mit Loreenas "Never-Ending Road" unterlegt, Musik, die den Bildern mystisches Leben einhaucht. Gänsehaut für den Rest meiner Tage.

So ist "The Two Trees" für mich ein Höhepunkt des Abends, jenem traumhaft schönen Liebeslied vom "Mask And Mirror"-Album, wo die tiefe Beziehung zwischen zwei Menschen eben auch als die untrennbare Verbindung des Menschen zur Natur interpretiert werden darf. Im ausliegenden Programm beschreibt Loreena denn auch sehr deutlich, wie sehr sie das permanente Wachstums- und Technologiestreben einer geldgeilen Elite erschreckt. Sie spricht vom Klimawandel und dem Wunsch nach Erkenntnis, dass eine lebenswerte, humane Gesellschaft nicht jeden möglichen Fortschritt nutzen darf, der die Grundlage unseres Daseins dauerhaft zerstört.  »Wir brauchen weise Gesellschaften anstatt Smart Cities«, sagt sie. »Einige von uns möchten weiter die Wahl und die Freude haben, analog zu leben, die reale und natürliche Welt zu genießen mit realen Menschen und realen Gesellschaften«.
Solche Menschen gehören in die Parlamente der Welt, Musiker und Künstler und Gelehrte, die erkannt haben, wohin der wachstumsorientierte Irrsinn der herrschenden Klasse und ihrer politischen Steigbügelhalter den Planeten führen wird. Bezahlen werden die Rechnung diejenigen, die sich nicht im Zustand gesetzteren Alters befinden und die sich heute noch gar nicht richtig wehren können.

Ein Flashback an das legendäre und medial verfügbare Konzert in der Alhambra bietet der Auftakt des zweiten Sets. "The Mystic’s Dream" bleibt mir auf ewig mit dem Video des genannten Konzerts in Erinnerung. Es war damals meine erste Berührung mit dieser faszinierenden Musik.
Überraschungen hält der Abend auch bereit, zumindest für mich. Ich kann mich nicht entsinnen, dass Caroline Lavelle bislang live gesungen hat, heute gibt sie mehrfach die Zweitstimme ab. Aber auch Tempo und Dynamik treiben in Düsseldorf neue Höchstwerte hervor – wie schon erwähnt, sicherlich bedingt durch die insgesamt sehr kompakte Besetzung und dem entsprechenden Anteil an elektrisch verstärkten Instrumenten. Ohnehin temperamentvolle Nummern wie "Santiago" erhalten dadurch ein noch druckvolleres Gesicht. Vor allem aber kulminiert Hugh Marsh hier und auch an vielen anderen Stellen zu einer herrlichen Höchstform und zeigt auf beeindruckende Weise, dass ein Solo auf der Violine genauso viel Energie freizusetzen mag wie auf der Gitarre. Der Junge spielte sich mehrfach in einen Rausch. Da geht die Post ab, verstärkt noch bei dem eruptivem Intro zu "The Old Ways" gegen Ende des regulären Sets, der heute Abend in bester Mule-Tradition in zwei Teile getrennt ist. Die willkommene Pause zum degustativen Nachschub-Fassen haben viele gerne wahrgenommen. Ich auch.

Wir erleben wunderschöne Versionen alter Klassiker wie "The Bonny Swans", das an diesem Abend ganz besonders kraftvoll abgeht, "The Lady Of Shalott" oder den "Mummer’s Dance" genauso wie einige Perlen des aktuellen Albums "Lost Souls" mit der anrührenden "Ballade Of The Foxhunter".
Zum Ende hin zeigt Loreena wahre Sensibilität, sowohl das reguläre Konzert als auch die beiden Zugaben enden ganz bewusst mit nachdenklich zurückgenommenen Stücken, wenn ich es richtig in der Rübe rekonstruiere, waren dies "Lost Souls" und "Dante’s Prayer".

Loreena McKennitt und ihre kongenialen Freunde haben uns verzaubert, berührt und tief zum Nachdenken bewegt. Ein Konzert wie der Hauch sanfter Götter, die uns mit Schönheit und friedfertiger Überzeugung in einem fast schon letzten Versuch zu einem lebenswerteren Dasein führen wollen. Musik, die im Herzen nachklingt und den Verstand herausfordert. Die Botschaften sind angekommen bei denjenigen, die dabei waren. Loreena ist weit mehr als eine Sängerin, wer ihre freundlich, bescheidene und fröhliche Art einmal erlebt hat, der wird diese Frau lieben. Und ihre zeitlose Musik ist über alle Zweifel erhaben, ein Erbe der Menschheit, zumindest des angenehmeren Teils davon.


Line-up Loreena McKennitt:

Loreena McKennitt (vocals, harp, piano, harmonica, keys)
Brian Hughes (guitar, bouzouki, oud)
Caroline Lavelle (cello, flute, vocals)
Hugh Marsh (violin)
Dudley Phillips (bass)
Robert Brian (drums)

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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