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Loreena McKennitt / Troubadours On The Rhine – CD-Review

Loreena McKennitt / Troubadours On The River Rhine

Über die Ostertage hatte ich viel Zeit zu schreiben. Urlaub stand auf dem Programm und ging in den Weiten der Coronakrise verloren. Und irgendwie wusste ich schon da, dass ganz andere und sehr viel schlimmere Dimensionen auf mich warten sollten, darum habe ich mich voll und ganz in die Abarbeitung aktueller Aufträge und einiger Regalgriffe gestürzt.

Heute raffe ich mich zum ersten Mal nach einem für mich äußerst einschneidenden und so schmerzlichen Erlebnis auf, etwas über Musik zu schreiben, wo doch jede Faser in mir momentan etwas ganz anderes fühlt.
Ich bin mir auch nicht sicher, ob es unbedingt gut ist, solch persönliche Dinge in die Öffentlichkeit zu tragen, aber es war immer meine Art, alle meine Gedanken und Empfindungen in Reviews und Berichte mit einzubauen, da habe ich vor nichts und keinem Thema halt gemacht.

Ich fasse mich kurz, meine geliebte Mutter ist vor ein paar Tagen verstorben und meine Gefühle dazu gehören sicherlich nicht hierher. Gleichwohl aber ist es immer schon mein Ziel und Streben gewesen, ihr herzliches Wesen und ihren Einfluss auf mich, wo immer ich konnte, mit anderen zu teilen, damit die Menschen verstehen, welch wundervolles Wesen sie gewesen ist. Ihr ein Denkmal auch hier bei RockTimes zu setzen ist tatsächlich möglich, denn meine Mutter hat mich einst, gemeinsam mit einem Freund und Arbeitskollegen zu einem Konzert begleitet, welches später unter dem Namen Troubadours On The Rhine als CD und LP offiziell produziert wurde. Eingespielt von niemand anderem als der legendären kanadischen Sängerin Loreena McKennitt.

Wir waren damals Gast beim Sender SWR1, hatten die Tickets in einer Verlosung gewonnen. Die Reise zum Sender nach Mainz war das Geburtstagsgeschenk 2011 für meine Mutter und für mich eine Reise in die Vergangenheit, da ich direkt gegenüber der Sendeanstalt vor vielen Jahren mal studiert und gewohnt hatte. Aus unserem sogenannten Bullenkloster ist heute übrigens ein Hotel geworden, die Fachhochschule des Bundes besteht schon lange nicht mehr.
Ich habe nicht unbedingt die besten Erinnerungen an die Zeit in Mainz, eine Rückkehr nach fast dreißig Jahren hingegen war schon faszinierend. Die Paul-Denis-Straße wurde endlich wieder richtig dargestellt, zu meiner Zeit prangte ein übermaltes P im Hauptnamen und verfremdete den Sinn nicht unerheblich.

Das besondere an diesem Konzert war und ist die Instrumentierung. Gewöhnlich tritt Loreena mit einem vielköpfigen Ensemble und allerhand geheimnisvollen mittelalterlichen Instrumenten auf. Hier beschränkte sie sich erstmals auf die Begleitung durch Caroline Lavelles zauberhaftes Cello und die elektrische Gitarre von Brian Hughes.
Sie selbst wechselte neben dem all gegenwärtigen Gesang zwischen Flügel und Harfe. Die Songs wirkten dadurch noch ein wenig zarter und zerbrechlicher, waren noch mehr fokussiert auf die Meisterin selbst.

Das Programm beinhaltet einige ihrer Klassiker, abgespeckt auf die hier agierende Dreier-Band sowie Songs ihres damals aktuellen Albums The Wind That Shakes The Barley. Getragene Nummern wie "Bonny Portmore" oder "The Lady Of Shalott" wirken derart instrumental reduziert ganz besonders tief. Wir haben eine komplette Review im Archiv, darum halte ich mich an dieser Stelle mit allzu ausufernden Beschreibungen zurück, möchte nur anmerken, dass mir aufgrund meiner persönlichen Anwesenheit bei der Veranstaltung und den geschilderten Begleitumständen das Konzert und das gesamte Drumherum natürlich ein wenig euphorischer im Gedächtnis verblieben ist als dem Rezensenten damals. Wer die leisen Töne mag, wird hier voll und ganz bedient. Was die im Archiv angesprochene Tonqualität angeht werde ich irgendwann mal die Original-CD vergleichen mit einem Direkt-Mitschnitt des Senders, der mir ebenfalls vorliegt. Ich bin gespannt, ob man da markante Unterschiede feststellen kann.

Natürlich ist es so, dass die Songauswahl bei Loreenas Konzerten in den letzten fünfzehn Jahren nicht exzessiv wechselte. Viel zu sehr haben sich die Klassiker wie das treibende "The Bonny Swans" bei ihren Fans etabliert. Was Plattenkonsumenten hingegen nicht wissen können: Ich glaube, es war genau dieses Lied, welches wir an jenem Abend zweimal zu hören bekamen. In der ersten Version hatte Loreena offensichtlich eine leichte Rückkopplung im Verstärker der Gitarre vernommen, so verkündete sie nach dem eigentlich beendeten Konzert kurzerhand, dass man die Nummer noch einmal spielen werde, um den Fauxpas vergessen zu machen. Sie ist eine totale Perfektionistin und uns war es nur Recht, noch ein wenig mehr von ihrer hinreißenden Musik zu erleben.

Die Interaktion zwischen Cello und elektrischer Gitarre habe ich damals als überwältigend empfunden, sie reichte als Basis für Loreenas einzigartige Kunst völlig aus. Darum berührt mich auch heute noch die Version von "The Wind That Shakes The Barley" mehr als die Studio-Fassung – das war schon damals so, im März 2011. Aber wie schon gesagt, ich bin da hinsichtlich der persönlichen Berührungspunkte ein ganz klein wenig vorbelastet.
Für mich war es ein perfekter Abend.

Nach dem Konzert gab es sogar Gelegenheit, ein paar Worte mit Loreena zu wechseln, ich kann Euch versprechen, sie ist im Umgang mit uns Fans genauso zauberhaft und einer Fee gleich wie auf der Bühne, eine überragende Persönlichkeit. Der glücklichste Mensch an diesem Abend aber war meine Mutter, der solche Erlebnisse ansonsten verschlossen blieben. Mein Vater hatte keine kulturellen Ambitionen und wähnte seine Gemahlin lieber in der Küche. Er war ein Opfer seiner Generation.
Wir sind noch am Abend heimgereist, um den Unmut meines Erzeugers nicht zu sehr zu provozieren, doch das gemeinsame Erlebnis blieb unsere schönste aktuelle Erinnerung, bis meine Mutter nach dem Tod des Vaters zu mir zog und gemeinsame Reisen durch Europa und die Musikwelt fortan zur Regel wurden. So hat meine Mutter zum Beispiel mehrmals einen großen Künstler wie Ray Wilson live in unserer Stadtmitte erlebt, dort, wo sie sonst einkaufen ging. Es war eine ihrer wunderbaren Eigenschaften, dass sie immer sehr neugierig und offen für alles war und auch keine Probleme damit hatte, mit mir zusammen abends eine Gov’t Mule-DVD anzuschauen. »Micha, ist das der Wahren Hengst?« fragte sie mich dann. »Ja, so ähnlich, Mütterchen« musste ich entgegnen und wir erlebten einen schönen Abend mit ein bisschen Merlot und ganz viel Zuneigung, Nestwärme und Harmonie.

Sie konnte sich für meine Musik begeistern, einfach nur so, weil sie sich mit mir freute. Das alles wird nun nicht mehr möglich sein, doch auf der Festplatte in meinem Herzen ist jede Minute dieser gemeinsamen Zeit gespeichert und dort wird sie weiterleben bis ans Ende meiner Tage.

Es war mir ein Herzensbedürfnis, bevor ich mich wieder mit aktuellen Scheiben und dem Musikgeschehen befassen kann, auch an dieser Stelle ein paar Gedanken über den Menschen festzuhalten, der mich mehr als alles in der Welt geprägt hat. Glücklicherweise für einen solchen Beitrag fand sich da auch themengerecht ein musikalischer Background.

In der ein oder anderen Review habe ich meiner Mutter gelegentlich auch früher schon mal mit ein paar Zeilen gedacht – wenn es denn ins Thema passte. Diese Review hingegen widme ich ihr ganz allein, wo immer sie jetzt sein mag, und die wunderschöne Stimme von Loreena und die sensible Instrumentierung auf diesem Album haben etwas wunderbar passend losgelöstes, leichtes, himmlisches – gerade recht für eine Verbindung zwischen den Welten.

Die Mutter hat meine Artikel nie gelesen, Computer und Internet waren dann doch ein wenig zu modern für sie. Aber sie hat sich immer erzählen lassen, denn sie wusste, wie sehr mir diese Tätigkeit am Herzen liegt. Sie wollte immer nur, dass ich glücklich bin und es mir gut geht. Wenn diese Zeilen oben bei ihr ankommen, wird sie lächeln und sagen: »Danke Junge, das war ein schöner Abend, damals in Mainz.«


Line-up Loreena McKennitt:

Loreena McKennitt (vocals, harp, grand piano)
Caroline Lavelle (cello)
Brian Hughes (guitar)

Tracklist "Troubadours On The Rhine":

  1. Bonny Portmore
  2. Down By The Sally Gardens
  3. The Wind That Shakes The Barley
  4. Between The Shadows
  5. The Lady Of Shalott
  6. Stolen Child
  7. Penelope’s Song
  8. The Bonny Swans
  9. The Parting Glass

Gesamtspielzeit: 44:55, Erscheinungsjahr: 2012

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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