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Marion Brown Quartet / Mary Ann, Live In Bremen 1969 – CD-Review

Marion Brown Quartet / Mary Ann, Live In Bremen 1969

Nein, keine Dame, auch wenn der Vorname Marion die Vermutung nahe legt. Marion Brown war ein US-amerikanischer Jazzmusiker, der von 1931 bis 2010 lebte. Doch nicht nur am Altsaxofon konnte er sich auszeichnen, war er doch gleichermaßen Komponist, Autor und Musikwissenschaftler.
Nach verschiedenen Studien in den Bereichen Rechtswissenschaft, Politik und auch Geschichte, führte jenes im Bereich Saxofon dann letztlich dazu, dass er sich in der gerade in New York City entwickelnden Free Jazz-Szene nach und nach etablieren konnte, vor allem durch frühe Kontakte mit Johnny Hodges und Anfang der Sechziger dann mit Alan Shorter, Archie Shepp oder Rashid Ali.
Archie Shepp war sein Mentor und er und auch John Coltrane verpflichteten Brown für Plattenaufnahmen ("Fire Music", "Ascension"). Durch Kontakte mit dem Dichter Amira Baraka öffnete er sich auch der Literatur und dem Theater.

Als Altsaxofonist blieb es nicht aus, nicht auch von Charlie Parker inspiriert worden zu sein, so dass mehrere Einflüsse zu einer individuellen Spielweise und zu Verknüpfungen führten – von US-amerikanischer Avantgarde-Strömung und afrikanischen Musiktraditionen – auch durch Baraka. 1966 erschien auf ESP Records das Debütalbum, "Marion Brown Quartet". Nachfolgend wechselten für weitere Produktionen die Plattenfirmen, unter anderem, wohl durch Shepp und Coltrane, auf Impulse "Three For Shepp" (1967). Mir war Brown damals noch nicht bekannt, das änderte sich erst 1970, als er auf dem renommierten Münchner Label ECM eine für das Label eigentlich untypische, aber wichtige Platte veröffentlichte: "Afternoon Of A Georgia Faun", eine Platte mit nur zwei langen Songs, die, die erste Seite betreffend, ganz anders waren als die vorherigen Einspielungen. Nur Seite zwei spiegelte den freien, avantgardistischen Jazz wider, den man von Brown vorher kannte.

Zu jener Zeit hatte Brown gerade Europa wieder verlassen, zurück in die USA. In den Jahren davor hatte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit mit europäischen Musikern entwickelt, unter anderem mit Gunter Hampel, mit dem er auch Platten einspielte, darunter "In Sommerhausen", ein Konzert vom 17. Mai 1969. Kurz vorher, am 24. April 1969, gastierte Marion Brown mit seinem Quartett in der "Lila Eule" in Bremen, mitgeschnitten von Radio Bremen. Identisch bei den beiden Konzerten war lediglich Drummer Steve McCall, ansonsten hatten sich zwei deutsche Jazzer hinzugesellt, der Posaunist Ed Kröger und Bassist Sigi Busch.

1969 hatte sich der Free Jazz eigentlich schon wieder etwas 'beruhigt', die wilden Zeiten waren (zunächst) wohl vorbei, die kompromisslosen Beiträge eines späten Coltrane, von Albert Ayler, Cecil Taylor schienen nicht mehr so ganz in der Entwicklung vorwärts gekommen zu sein. Auch Pharoah Sanders hatte sich mehr und mehr der Coltrane’schen Spiritualität verschrieben. Und so ist das auf dieser Doppel-CD nicht mehr ganz so avantgardistisch und völlig frei geprägt, wie man es zu Beginn dieses Genres erfahren hatte.

Acht lange Tracks auf zwei CDs, zwischen dem kürzesten mit 11:14 und dem längsten mit 26:05 lassen durchaus Strukturen erkennen, teilweise klare Melodien zu Beginn der Songs, die sich erst nach und nach frei entwickeln. Und dann bricht Steve McCall als Drummer auch nicht so aus, wie es einst von Rashied Ali, Ed Blackwell oder Sunny Murray ausführlich praktiziert wurde, denn McCall hält durchaus noch innerhalb freier Strukturen den nachvollziehbaren Swing am Leben.

Zum Ausdruck des Spiels von Brown verweise ich auf die Presseinfo, wo der Sohn Djinji wie folgt zitiert wird: »Seine Spielweise klang wie seine Sprechstimme, die Art, wie er sein Horn hielt, erinnerte mich an die Art, wie er meine Hand hielt, die Art, wie er ging, war im gleichen Rhythmus wie seine Lieder, und dann ergab alles einen Sinn. Seine Musik war in erster Linie das, was er war. Sie war der reinste Ausdruck seiner Seele, und alles, was er tat, hatte die gleiche sanfte Kraft wie seine Musik. Er war wirklich eins mit seiner Kunst, es gab keine Trennung zwischen den beiden.« Und genau das kann man anhand der Musik dieses Konzerts sehr gut nachvollziehen.

So gibt es gerade hierzu einige sehr ergreifende Momente in einigen Songs, besonders berührt es mich bei der "Ode To Coltrane". Die ihm zur Seite gestellte Band bewältigt die Aufgabe, dem Protagonisten zur Seite zu stehen, mit großer Leidenschaft und mit hoher Qualität. Aber auch das die CD 2 eröffnende "Nocturne" mit dem gestrichenen Bass atmet eine dicke Prise der Spiritualität von John Coltrane’s Musik, ja, der hatte wohl eine Menge Spuren hinterlassen. So bleibt es einzelnen Passagen einzelner Songs überlassen, das Wilde und Freie der Musik mit sich zu führen, besonders sei hier "Modus Rhyhmicus" hervorzuheben, oder das frei fließende, aber dennoch ruhige "Study For 4 Instruments".

Ich freue mich, dass Radio Bremen dieses hervorragende Ereignis konserviert hat und somit nun allen, die damals nicht dabei sein konnten, zur Verfügung steht. Auf jeden Fall beweist Marion Brown mit dieser Einspielung, dass auch er zu den wirklich wichtigen Musikern in der Entwicklung des Jazz zählt, wenngleich er auch nie so bekannt geworden ist wie einige seiner Kollegen.


Line-up Marion Brown Quartet:

Marion Brown (alto saxophone, recorder, waterbottle)
Ed Kroeger (trombone, congas)
Sigi Busch (bass)
Steve McCall (drums)

Tracklist "Mary Ann, Live In Bremen 1969":

CD 1:

  1. Gesprächsfetzen (19:55)
  2. Ode To Coltrane (17:11)
  3. Exhibition (17:42)
  4. Mary Ann (24:20)

CD 2:

  1. Nocturne (11:14)
  2. Modus Rhythmicus (20:06)
  3. Juba Lee (26:05)
  4. Study For 4 Instruments (14:49)

Spielzeit; 79:08 (CD 1), 72:15 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2023

Über den Autor

Wolfgang Giese

Hauptgenres: Jazz, Blues, Country
Über mich: Althippie, vom Zahn der Zeit geprägt, offen für ALLE Musikstile
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Mail: wolfgang(at)rocktimes.de

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