Oh je, schon wieder eine Hendrix-Gedächtnis-Combo?
Mit derlei Stigmata müssen sich gitarrenlastige Formationen heutzutage mitunter auseinandersetzen. Klar, ein allzu deutlicher Retro-Bezug wird nicht dafür sorgen, die Rockmusik neu zu erfinden – als wenn das in unserer multikulturellen, globalisierten Gesellschaft überhaupt noch möglich wäre. Es gibt nicht mehr sehr Vieles, was noch nicht versucht und umgesetzt worden wäre. Aber am Ende zählt dann doch wieder der alte Otto Rehhagel-Spruch: »Es gibt keine alten oder jungen Fußballer, es gibt nur gute oder schlechte.«
Ich weiß nicht, ob Parker Griggs ein guter Fußballer ist, ein begnadeter Saiten-Künstler ist er auf jeden Fall, und das hier vorgestellte Album geht ab, dass der Putz von der Decke fliegt. "Live! In California" gehört zu meinen Lieblingsalben aus den letzten Jahren und ich möchte es unseren Lesern keinesfalls vorenthalten, auch wenn es bereits gut zwei Jahre auf dem Buckel hat.
In einem Spannungsfeld zwischen knallhartem Blues(rock), aggressivem Acid-Rock und wilden psychedelischen Soloeinlagen haben Radio Moscow längst ihren verdienten Platz gefunden und mischen seit etwa zehn Jahren die sogenannte Stoner-Szene auf, in der eben weit mehr zu hören ist als nur der klassische Wüstenrock. Vintage-Fans, die bei Hendrix und Cream schwach werden (wer wird das nicht?), werden genauso befriedigt wie Freunde harten, Blues orientierten Gitarrenrocks. Ehrlich, wenn Parker seine Soli eintütet, dann kommt er über dich wie ein Tsunami, für Subtilität ist da ganz und gar kein Platz. Vollgas und auf die Fresse. Aber mit Niveau und jeder Menge Virtuosität. Der Junge spielt seine Licks so flüssig wie einst Johnny Winter und gerade dieser geniale Flow ist es, der uns in seinen Strom hineinzieht und davonfliegen lässt. Der muss ein unglaubliches Gespür für die Ausgestaltung des jeweiligen Moments besitzen, denn über die gesamte Spielzeit von fast 80 Minuten setzt er seine Kulminationspunkte mit geradezu erschütternder Präzision – und alles heraus aus einer rasant fließenden, einzigen Live-Improvisation. Da ist nichts nachbearbeitet, da passen die Spannungsbögen bis hin in die ekstatischen Highlights. Alles live, alles aus dem Bauch. Respekt, Herr Griggs.
Ich erinnere mich, vor vielen Jahren mal darüber berichtet zu haben, wie sehr mir das puristisch reduzierte Leben einst am Berg im Himalaya gefallen hat. Es gab keine Ablenkung, keine Nebensächlichkeiten, nur du und der Berg. Wenn die Sonne aufging, hieß es arbeiten. Seile verlegen, Material transportieren, Lager verschieben. Und bei einbrechender Dunkelheit ging es zurück in den Schlafsack. Kein Schnick-Schnack, keine Verwicklungen, keine Zweifel. Irgendwie auf den Berg rauf kommen – und wieder herunter. Und überleben. Sonst gar nichts. Genau das ist Radio Moscow. Musik, die einzig dafür geschaffen wurde, eine göttliche Gitarre für alle Zeiten in eine Hemisphäre zu erheben, wo die Götter des Rock’n’Roll ein bodenständig zähes, aber auch schillernd buntes Gesträuch angebaut haben. Elektrohasch nennt es ein bekannter Vertreter (Stefan Koglek von Colour Haze) ähnlicher Äcker und Pflanzen, Radio Moscow hingegen gehören nicht zu seinem Anbaugebiet, was eigentlich schade ist.
Gelegentlich bluesig, meist aber voller harter Gangarten, dann wieder psychedelisch abgefahren zelebrieren unsere drei Freunde aus Iowa ihre stark am Jam orientierten Nummern genüsslich und mit überschäumender Empathie. Geliebte Effekte werden exzessiv genötigt, das Wah-Wah-Pedal glüht und ein weit ausholender Hall verleiht dem Saiten-Inferno genau den mystischen Touch, den ich seit so vielen Jahren so sehr liebe. Am Ende geht alles nur darum, ein wirklich wüstes Feuer zu entfachen. Das war bei Jimi nicht anders. Das Leben kann so einfach sein, und die Musik zum Glück auch.
Wenn man es kann…
Nach den ersten Energie geladenen, komprimierten Nummern werden wir mit zwei ausufernden Jam-Rockern auf Spur gebracht. "250 Miles/Brain Cycles" nimmt erst einmal das Tempo heraus und eine sanft bluesige Improvisation, die an die zartesten Bemühungen eines Walter Trout erinnern, wiegen uns vorübergehend in Sicherheit. Doch der Ausbruch steht kurz bevor und ein wildes Freak Out von Parker lässt die Amplituden auf den Anzeigen des Verstärkers gleich wieder bis zum Anschlag auskeilen. "Before It Burns" scheint im Anschluss wieder einmal eine neue Reflektion auf Jimis "Third Stone From The Sun" zu sein. Geradezu hypnotisch, wie Parker uns hier allmählich in Gefangenschaft nimmt, variiert, zirkuliert, mal Crescendo, mal Adagio. Wer diese Reise mitgeht, wird spüren, wie sich das bewusste Selbst ganz allmählich auflöst und der Psych das Kleinhirn besetzt. Nein, stimulierende Substanzen braucht es nicht, um wirklich high zu werden, die Musik schafft das ganz allein.
Ausgereiftes Song-Writing und tiefsinnige Botschaften sollte man hier indes nicht erwarten, die Nummern dienen vor allem dem Zweck, den Sechssaiter in Stellung zu bringen und dann Überfall-artig zuzuschlagen. Steig auf den ausgeflippten, astralen schwarzen Stier und lass dich von ihm forttragen bis zum Planeten Pluto. Liebst du es, wirst du eins mit ihm. Wenn nicht, leg die Platte gar nicht erst auf.
Und dann ein knochentrocken knarzender Bluesrocker namens "City Lights" aus den Tiefen der Vogesen (war mal ein Werbeslogan in den Achtzigern). Oder sollte ich eher auf Verwandtschaft in den Niederlanden verweisen? Die Nummer könnte fast bei Julian Sas eingeordnet werden. Puristisch stampfender Rhythmus, eine jaulende Slide-Gitarre und schon beackern wir das Feld, auf dem einst der "Walking Blues" entstand, selbstredend auch eine Nummer aus der Feder des Masters of Blues, Mr. Robert Johnson. Mit "Deep Blue Sea" verstärkt sich dieser Trend, nun ganz und gar in klassischem Blues behaftet und in "These Days" grooven sie uns mit einem Boogie vollends in die seligen Zeiten, als Rock’n’Roll für die rebellische Jugend dieses Planeten noch der einzig wahre Katalysator war. Nein, Hendrix ist wahrlich nicht der einzige Quell der Musik von Radio Moscow, die beziehen sich ausdrücklich auch auf das, woraus unser aller Lieblingsmusik einst entstanden ist – den Blues.
Im Laufe des Konzerts werden immer wieder dezente Erinnerungen an berühmte Songs noch berühmterer Vorgänger heraufbeschworen, ohne diese Legenden tatsächlich zu covern. Wie eingangs gesagt, Radio Moscow haben sich nicht auf den Weg gemacht, die Ausdrucksmöglichkeiten der Rockmusik neu zu definieren. Dafür interpretieren sie diese aber mit Verve, unbändiger Power und einer alles überragenden Gitarre. Als wäre ein angedröhnter Jesus Christus höchst persönlich vom Kreuz herabgestiegen, um in göttliche Saiten zu greifen. Mann, eine solche Szene hätte den Plot beim 'Leben des Brian' sicher um eine Nuance erweitert. Cheech and Chong meet Monty Python!
Mir hätte es gefallen.
Die Musik klingt wie damals, sie klingt bekannt – aber sie klingt auch unfassbar geil! Radio Moscow ist etwas für den Hardcore-Nostalgiker unter den Rockern. Die musikalische Virtuosität ist überragend, das Konzept ist eben ein bekanntes und nicht neues. Die Pille muss man schlucken, dann wird man sehr glücklich mit diesem Album werden.
Line-up Radio Moscow:
Parker Griggs (guitar, vocals)
Anthony Meier (bass)
Paul Marrone (drums)
Track-List "Live! In California":
- I Just Don’t Know
- Death Of A Queen
- Broke Down
- I Don’t Need Nobody
- 250 Miles/Brain Cycles
- Before It Burns
- The Escape
- City Lights
- Chance Of Fate
- Deep Blue Sea
- These Days
- Rancho Tahoma Airport
- No Good Woman
- So Alone
Gesamtspielzeit: 75:23, Erscheinungsjahr: 2016
1 Kommentar
Doc Rock 81
27. Januar 2019 um 9:54 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
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