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Rose Tattoo / Outlaws – CD-Review

Rose Tattoo, 31.07.2022, Ulm, Roxy - Konzert-Review

Fast alle Original- bzw. Bandmitglieder der glorreichen ersten Phase (1977 – 1982) der australischen Band Rose Tattoo sind mittlerweile verstorben. Während es ein paar wenigen anderen wie Geordie Leach und 'Rockin" Rob Riley gesundheitlich nicht mehr so gut geht, hält der Frontmann Gary 'Angry' Anderson die Fahne für 'dreckigen' australischen Rock und Hard Rock immer noch ganz weit hoch. Mittlerweile geht der Mann stramm auf die 75 zu, was ihn aber nicht davon abhält, immer noch die Rampensau zu geben. Und nach dem 2007er Blood Brothers kommt im Mai 2020 doch tatsächlich ein neues Studioalbum mit dem Namen "Outlaws" auf den Markt.

Ein Blick auf die Tracklist sorgt allerdings erstmal für großes Erstaunen, denn im Prinzip haben wir es hier mit der Neueinspielung des Debütalbums aus dem Jahr 1978 plus ein paar weiteren Titeln zu tun. Was hat den guten Angry denn da bloß geritten? Wollte er die alten Zeiten wieder aufleben lassen? War die kreative Quelle für neue Songs versiegt? Oder war es eventuell eine Vorgabe des Labels, das lieber auf 'Nummer Sicher' mit altbekannten und geliebten Songs gehen wollte? Anderson führt als Gründe an, dass diese Songs bzw. die erste Tatts-Platte eine Wende in (nicht nur) seinem persönlichen Leben bedeutete, sondern er wollte einfach auch nochmal seine verstorbenen Ex-Bandmitglieder Pete Wells, Mick Cocks, Dallas 'Digger' Royall, Ian Rilen sowie Lobby Loyd eine Ehre erweisen. Schließlich kam wohl dazu, dass auch die neuen Bandmitglieder total heiß darauf waren, diese Songs nochmal einzuspielen.

Aber Gründe hin oder her, es gehört auch verdammt viel Mut dazu sich erneut an einen Klassiker zu trauen, den man eigentlich gar nicht besser machen kann. So ließ Angry seinen Mitmusikern dann auch die Leine ziemlich locker, was dem ein oder anderen Track durchaus ein paar neue Farbtöne hinzufügt. Darüber hinaus wurde die Tracklist umgestellt und drei zusätzliche Nummern mit dazu genommen, die es vor 42 Jahren nicht auf die Original-Scheibe schafften. Mit dem unsterblichen "One Of The Boys" (das locker auch auf dem Original als Opener hätte fungieren können) machen die Australier dann zum Start schon mal richtig Alarm. Hammer, denn das knallt schon mal erfreulich gut in der Birne! Zu donnernden Drums wird das Stück lauthals eingezählt, bevor die beiden Gitarren in Form von fetten Riffs mit aller Macht über den Hörer herfallen. Und Angry? Klar packt der in seinem Alter die höheren Töne von früher nicht mehr ganz so gut, ansonsten hat er jedoch alles sehr überzeugend im Griff. Und Herz! Ein  Paradebeispiel von Sänger, der seine Songs regelrecht lebt, während er sie performt. Von wegen 'Altherren-Rock', diese Jungs würden nach wie vor so manche um Jahrzehnte jüngere Combo von der Bühne blasen. Und das wahrscheinlich einhändig.

Kommen wir mal zu den drei ’neuen' Songs. Da ist mit "Snow Queen" (das damals als Single-B-Seite verwendet wurde) eigentlich ein weiterer Klassiker vertreten, den jeder Fan der Band natürlich schon lange in- und auswendig kennt. Und fantastisch umgesetzt kommt das auch noch, die Artikulation von Anderson tut da – Jahrzehnte älter und ein bisschen weiser – alleine schon ihr Übriges dazu. "Sweet Love (Rock’n’Roll)" ist ein arschcooler Rocker, dem insgesamt lediglich schon immer die besonderen Spitzen sowie der letzte Kick gefehlt haben, über den die restlichen Nummern verfüg(t)en. Neben "Snow Queen" die zweite sehr willkommene Ergänzung. Tja, und dann ist da noch "Rosetta", ein für Rose Tattoo-Verhältnisse sehr ruhiges Stück, in dem es auch noch um Liebe geht. Huh? Cool ist die Nummer dennoch, wenn sie von den dreien auch am verzichtbarsten gewesen wäre. Der Verfasser dieser Zeilen hat dennoch richtigen Spaß damit.

Das große Plus dieser Scheibe ist, dass man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hat, es hier mit einer Coverband bzw. angestellten Musikern zu tun zu haben, die halt eben mal einen Job erledigen. Man hört den Stücken regelrecht an, dass hier nicht nur bei dem Frontmann, sondern bei allen Beteiligten echtes Herzblut geflossen ist. Kleine Punktabzüge gibt es dafür, dass sich die Slide-Gitarre von Dai Pritchard bei manchen (zum Glück sehr wenigen) Titeln zu klinisch, wie nachträglich aufgenommen und nicht optimal in den Bandsound eingebettet, anhört. Wenn man Pedanterie betreiben möchte, könnte man auch den so coolen Swing eines 'Digger' Royall an den Drums vermissen. Aber das ist Fliegensch… auf einer Elefantenhaut. Angry Anderson erzählt das mächtige "The Butcher And Fast Eddy" noch einmal neu und auch hier wieder sehr interessant, "Tramp" fällt ein bisschen ab, dafür killen "Remedy", "TV" und "Astra Wally" nach wie vor mit einer Energie und Adrenalin aus allen Poren, als wären sie erst vorgestern geschrieben worden.

Dann "Bad Boy For Love", "Nice Boys" und "Rock’n’Roll Outlaw"? Geschenkt, denn über die Qualität von Tracks solcher Kajüte noch zu schreiben, erübrigt sich von selbst. Nun sollte man keinesfalls den Fehler machen, diese Scheibe krampfhaft mit dem Original-Album zu vergleichen (ich weiß, der Kopf macht mit, nur der Bauch nicht immer), denn schließlich haben wir es hier zum Einen mit anderen Musikern zu tun und außerdem haben sich das Lebensgefühl sowie auch die Technik in den letzten mehr als vierzig Jahren auch ganz schön verändert. Die drei letztgenannten Stücke werden etwas lockerer und nicht mehr ganz so kompakt gebracht, ein kleiner Jam-Faktor inbegriffen. Eben so, wie sie auch auf der Bühne immer zelebriert werden. Schon im direkten Vergleich schneidet "Outlaws" alles andere als schlecht gegenüber dem Original ab, würde man die Platte aber nun einem gestandenen Rocker ans Herz legen, der die alten Aufnahmen noch gar nicht kennt, würde der- bzw. diejenige bestätigen müssen, es schlicht und ergreifend mit einem bärenstarken Album zu tun zu haben. Hand drauf!

Handelt es sich hierbei um den Schwanengesang von Rose Tattoo? Wahrscheinlich, berücksichtigt man das Alter des Sängers. Aber wenn es die letzte Scheibe war, dann sind Angry Anderson und seine Jungs nochmal mit einem großen Knall von der Rock’n’Roll-Bühne abgetreten. No regrets, no remorse. Sweet Love Rock’n’Roll! Got ya.


Line-up Rose Tattoo:

Angry Anderson (lead vocals)
Dai Pritchard (rhythm-, lead- & slide guitars, background vocals)
Bob Spencer (ryhthm & lead guitars, background vocals)
Mark Evans (bass, background vocals)
Jackie Barnes (drums)

Tracklist "Outlaws":

  1. One Of The Boys
  2. Sweet Love (Rock’n’Roll)
  3. Tramp
  4. Snow Queen
  5. Rock’n’Roll Outlaw
  6. The Butcher And Fast Eddy
  7. Remedy
  8. TV
  9. Stuck On You
  10. Astra Wally
  11. Bad Boy For Love
  12. Nice Boys
  13. Rosetta

Gesamtlaufzeit: 62:55, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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