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Siena Root / The Secret Of Our Time – CD-Review

Siena Root / The Secret Of Our Time

Eine flirrende Wiedergeburt mit Räucherstäbchen und Wohlklang

Yes … nein, nicht die Urgesteine des britischen Progressive Rock … hier geht es jetzt um die Urväter der inzwischen explodierten Retro Rock-Szene … der Rezensent wurde tatsächlich erhört!

Attestierte selbiger der schwedischen Blues’n’Roots/Classic Rock-Institution Siena Root zuletzt noch nachlassende Eigenständigkeit und Intensität, bedauerte den Verlust des durchaus mal vorhandenen Signatur-Sounds dieser verschrobenen Retro-Kombo, so erfinden sich Siena Root auf ihrem allerneuesten Machwerk, "The Secret Of Our Time", doch tatsächlich noch einmal neu, was angesichts ihres strikten Retro-Sounds geradezu grotesk anmuten mag. Wer aber immer schon mal wissen wollte, wie eine Schnittmenge aus Jefferson Airplane, Stone The Crows, frühen Deep Purple, frühen Uriah Heep, transzendentalem George Harrison, Hawkwind, etwas Krautrock und den 'alten' Siena Root klingt, ist bei "The Secret Of Our Time" genau an der richtigen Adresse!

Liegt es tatsächlich an der erstmaligen Zusammenarbeit mit dem Gründungsmitglied KG West seit seinem Ausstieg vor gut sechs Jahren? Neben ihm sind noch weitere Gäste an diesem Album beteiligt gewesen … mit zusätzlichen Saiten-Akzenten, Sitar und Flöte … und erstmals in der Geschichte der Band agieren gleich zwei Sängerinnen am stets vakanten Mikro. Im Gesamtergebnis haben wir damit das mit Abstand beste Album der Schweden seit ihrem fulminanten Roots Jam (2011) vorliegen.

Der Rezensent möchte nicht verhehlen, dass ihm dieser Ausbund psychedelischer Hard’n’Blues-Enthusiasten mit Hang zu weltmusikalischen Klängen nicht nur frühzeitig ans Herz gewachsen war, sondern auch immer dann ganz besonders gut gefiel, wenn eine Frau den Posten am Gesangsmikro einnahm. Auf dem vorliegenden Album ergänzen sich jetzt die bereits mit der Band erprobte Lisa Lystam und Neuzugang Zubaida Solid auf das Vortrefflichste … und das betrifft nicht nur die Haarfarben!

Bereits im Opener wirbelt das erweiterte Quartett gnadenlos im Retro-Sturm Led Zeppelin, Space- und Krautrock genüsslich durcheinander, um beim folgenden Stück schwere Heep-Schlagseite zu bekommen, die schließlich bruchlos im Purple-Kosmos eintaucht.
Was daran besonders faszinierend ist?
Das ist alles derart gut gemacht, dass der Rezensent zu keiner Zeit auch nur ansatzweise das Bedürfnis verspürt, jetzt die ganzen alten Helden und ewigen Geheimtipps der glorreichen Vergangenheit aus der umfangreich vorhandenen Sammlung zu entstauben … viel lieber wird bei "Organic Intelligance" vor dem geistigen Auge der Jefferson Airplane-Film abgespult und begeistert mitgenickt.

Und dann wird es erstmals sphärisch … endlich … dieses coole Schweben in Moll, letztlich ohne die Bodenhaftung zu verlieren, wie es in dieser Form innerhalb der mittlerweile völlig unübersichtlichen Retro-Szene nur die ursprünglichen Siena Root drauf hatten und was ihnen in der letzten Zeit im offensichtlichen Bestreben nach besser greifbarer Kompaktheit verloren ging … in diesem Beispiel noch zaghaft kurz, aber beim grandiosen Schlussdrittel werden dann tatsächlich wieder genau die Register gezogen, die Siena Root nach Meinung des Rezensenten einst ein Genre-Alleinstellungsmerkmal beschert hatten.

Der Anfang von "Daughter Of The Mountains" ist Gänsehaut pur, die Sitar spielt endlich wieder eine Rolle, der Gesang ist adäquat wehklagend, die Gitarre huldigt bei gutem Willen nicht ohne Zufall einem gewissen Paul Kossoff, die Orgel faucht wunderbar songdienlich im Hintergrund mit und die Melodieführung nimmt gefangen. Ganz tief in den Patschuli-Kosmos taucht dann "Have No Fear" ein … es flirrt, surrt, summt und weht unfassbar Räucherstäbchen-kompatibel durch das Milk And Honey-Land, um dann bei "Imaginary Borders" mit wunderbarer Flöte endgültig zu sich selbst zu finden … genau dieser 'Das-Beste-Kommt-Zum-Schluss'-Rausschmeißer demonstriert am eindrucksvollsten, warum Siena Root sich dereinst vom Gros der Retro-Szene unterschieden hatten und haben … auch wenn hier gnadenlos ein Heep-Motiv herhalten muss, so wird doch drumherum ein absolut faszinierendes Stück Musik entwickelt, welches derart authentisch nach längst vergangenen Zeiten klagt, dass es einem fast das Herz zerreißt. Überhaupt darf dem Album eine nicht alltägliche Intensität attestiert werden, welchem neben den beiden weiblichen Protagonistinnen und den fulminant aufspielenden Gästen insbesondere Tastenmann Erik Pettersson seinen Stempel aufdrückt.

Fazit: Kurz und schmerzlos … Anwärter für das 'Comeback' des Jahres und Pflichttipp für alle, die auch nur einen Hauch Interesse an klassisch hippiesker Rockmusik haben … und hervorragenden Klang zu würdigen wissen, denn dieses Werk unterliegt dankenswerterweise nicht dem seit bereits Jahrzehnten wütenden Loudness-Wahn, sondern besticht mit Dynamik, Durchzeichnung und Luft zum Atmen – gemastert von den verbliebenen Ur-Mitgliedern Sam Riffer (Bass) und Love Forsberg (Schlagzeug und Effekte), inklusive geplanter Veröffentlichung einer Half-Speed-Mastered-Vinylveröffentlichung für die verbliebenen Hifi-Nerds dieser Welt.


Line-up Siena Root:

Love 'Billy' Forsberg (percussion, vocals, oscillation effects)
Sam Riffer (bass, vocals, tape effects)
Zubaida Solid (lead vocals)
Lisa Lystam (lead vocals)
Erik Petersson (organ, clavinet, Rhodes)
Matte Gustaffson (guitar)

Guests:
Stefan Koglek (guitar)
Stian Grimstad (sitar)
KG West (guitar, solina strings)
Johan Borgström (guitar)
Lisa Isaksson (flute)

Tracklist "The Secret Of Our Time":

  1. Final Stand (06:10)
  2. Siren Song (03:49)
  3. Organic Intelligence (03:36)
  4. Mender (03:40)
  5. In Your Head (04:31)
  6. When A Fool Wears The Crown (04:08)
  7. Daughter Of The Mountains (05:20)
  8. Have No Fear (05:26)
  9. Imaginary Borders (06:13)

Gesamtspielzeit: 42:55, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

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Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

4 Kommentare

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  1. Duthi

    Wow! Wahnsinns Platte! Der Oldschool Sound zieht mir die Socken aus. Ich bin tatsächlich über eine Stefan Kolek/Colour Haze recherche an dies bestimmte Album geraten. Die Kapelle ansich war mir schon bekannt, jedoch etwas aus dem Fokus geraten, da man zur Zeit mit vielen Bands aus dem "Genre*" bombardiert wird und es schwer ist, die guten Sachen herauszukristallisieren. (*was mittlerweile extrem weit gefächert ist, ähnlich wie Black Metal z.B)

    Zum Album: Mich fasziniert dass man heute noch immer wieder den Oldschool-Sound neu definieren kann, wo man vermuten mag, dass dort schon alles gespielt und gesagt wurde.

    Nebst dem verdammt knackigen Sound der Instrumente, vorallem aber Bass und das räumlich offene Schlagzeug fasziniert mich der leicht entfernte, aber doch präsente Gitarrensound. Der Mischer der Platte hat einfach alles richtig gemacht und verdient großes Lob. Der Gesang ist wahnsinning on Point und nicht zu allmächtig und legt sich wohlig in das bestehende Soundbett aus Instrumentklängen. Wieder da ein Lob an den Mischer. Damengesang passt zu dem Genre einfach wie Arsch auf Eimer (Wie man hier im Norden sagen würde). Seit Acid-King oder einzelner Stücke von Black Mountain oder Colour Haze (z.B auf der We Are – "Be with me") bin ich großer Fan davon und versuche in meiner zukünftigen Bands entweder voll oder unterstützend auf Damengesang zu zählen.

    Das waren meine 5 Cent zum Sound und Techik. Da ich dort gewisse Fetische fröhne war dies wichtig loszuwerden.

    Zum wesentlichen:
    Die Musik lädt ein die Augen zu schließen und auf lila Rauchschwaden gen Nirvana durchs Universum zu reisen. Es vermag jemanden den Geist zu rauben und sanft aber bestimmt in die Ferne seiner Gedanken reisen zu lassen. Wenn Musik sowas mit einem macht, weiß man man ist an der richtigen Adresse.
    Die Solos, gerade in den Stücken "Siren Song" & "When a Fool Wears the Crown" sind ohrgasmische Ergüsse, gerade mit der dezenten Unterfütterung der Hammond-Ogel (könnte auch ne Wurlitzer sein, bin da nicht so firm drin) – hauptsache drückt angenehm.

    Ich bin ein Gitarrenliebhaber und selbst Musiker, der versucht in diesem Genre-Fächer Fuß zu fassen, jedoch noch in der Findungsphase obwohl schon 15 Jahre dabei.
    PS:
    (1)Ich wollte mal höflich anfragen ob mir jemand sagen kann in welchen Stücken der Kolek mitgewirkt hat(?). Kann mir das jemand sagen?
    Er ist mein absoluter Lieblingsgitarrist. Genie keines Gleichen und in seinem Genre in der obersten Schublade. Ein weiterer Grund warum ich mir die Siena Root Platte kaufen werde.

    Würde mich zunächst für die tolle Plattform hier bedanken, habe sie wegen meiner oben genannten Suche gefunden und dachte mir hinterlasse mal ein kleines, bescheidenes Review.
    Und weiter; falls jemand meine Frage(1) beantworten könnte wäre ich dankbar.

    Cheers und alles gute Euch tollen Leuten! ♥

  2. Manni

    Ich kann Olli nur zustimmen: Die Platte ist absolut klasse, denn hier kommt die Band auf den Punkt. Es gibt nicht einen Song, der als Füller herhalten müsste. Solche Platten sind selten geworden…

  3. Steve

    Klingt spannend. Weiß jemand, in welcher Formation die Band in Deutschland unterwegs sein wird?
    Sind beide Sängerinnen mit dabei?

    1. Olli

      Moin Steve,

      wenn ich mir die Webseite der Band anschaue, dann darf wohl mit einem Sextett gerechnet werden, also nur mit einer Sängerin (Zubaida Solid), aber dafür mit zwei Gitarristen (Matte Gustavsson & Johan Borgström) … sofern hierzulande in nächster Zeit überhaupt noch Live-Konzerte stattfinden werden.

      Rock on,
      Olli

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