Voila, Nummer zehn der Reihe "The Electric Kindergarten" ist im Anmarsch und wie gewohnt, mit äußerst feinem Material. Gleich Part One des ersten Stückes aus der "Moonblood Suite", "The Time Has Come", erschallt edel und klassisch angehaucht aus den Boxen. Das schrieb ich bereits vor 16 Jahren, denn da hörte ich die "Moonblood Suite" bei der Rezension des Albums The Best Of Now & Zen von Taras Bulba das erste Mal.
Es hat sich zu meiner damaligen Einschätzung nichts verändert, die Suite wirkt genau so großartig, sodass ich einfach meine damaligen Worte sprechen lasse. Dancefloor-like schließt sich "Pierres Sacradees (Holy Stone)" nahtlos an und groovt sich gekonnt durch die Minuten. Lea Sabys Gesang in französischer Sprache sorgt dafür, dass die Nummer gleichzeitig frankophile laissez-faire-Leichtigkeit sowie schweißtreibendes Tanzboden-Grooven verströmt. Die Teile drei und vier sind wieder bestens geeignet, die Augen zu schließen und zu lauschen, was da kommt. Und es kommt unter anderem Tom am Mikro und wer sich auf diese Stimme eingepegelt hat, weiß, dass sogar das Vortragen einer Steuererklärung zum Genuss werden kann, wenn sie von The Perc vorgelesen wird.
Zum aktuellen "Kindergarten" hören wir vom Protagonisten, dass er »organisch gewachsene Suiten, wie auch Lieder, die in verschiedene Teile unterteilt sind«, mag. Da geht es ihm wie den Hörern, die auf diese Art von Musik abfahren, denn im Gegensatz zu den meisten (nicht nur) mainstreamigen Zweieinhalbminütern, bieten diese Stücke Zeit, Raum und Muße, um darin zu 'baden', um einzutauchen. Der Künstler kann spielen, mit Tempi, mit Stimmungen, mit Tonarten, kann seine Ideen, seine Gefühle einbringen und hat keine Uhr im Nacken, die ihm vorgibt, dass es nun Zeit für die nächste Strophe ist.
Trifft das alles bereits auf die "Moonblood Suite" zu, so springe ich mal schnell zu Track Nummer drei. "Betancuria" stammt vom Album Tender aus dem Jahr 1999 und lief mir auch auf der Werkschau der Electric Family, The Long March … From Bremen To Betancuria, durch die Ohren. Für mich ist "Betancuria" eines der stärksten Stücke dieser Band und nach wie vor ein Lehrstück in Sachen progressiver Komposition. Peter Apels süchtig machender Saitenzauber, Evelyn Gramels verzauberte Stimme … . Das alles spielt sich ab in einem psychedelischen Orbit und dort treffen sphärische Ritte auf hypnotisierend wirkende, elektronische Rhythmen und zeigen auf beeindruckende Weise die Klasse dieser Formation …, so meine Worte von damals. Die psychedelischen Rauchschwaden ziehen immer noch durch diese zwölfeinhalb Minuten und das werden sie wohl auch noch in 100 Jahren tun. Eine Nummer, die ihre Wirkung nie verliert.
Nun aber zurück zum zweiten Titel der Platte. "Sun Sketches" ist aus dem Album "Worldlooker", dem ersten Solowerk von Tom Redecker aka The Perc und aus dem Jahr 1995. Aufgenommen wurde das Stück in der Nähe von Bayreuth und wohl daher bezeichnet es Tom als »quasi ein Hippie-Kammerspiel«. In der Nähe von Bayreuth liegt Hof und da stammt der Perkussionist Dieter Serfas her, den man ansonsten natürlich von Amon Düül und Amon Düül II kennt. Aber auch bei Embryo und Missus Beastly (eine Band, die ich hier mal schnell empfehlen möchte), stand er in Diensten. Dieter sorgt für den Takt, zu dem Tom per Stimme und Saiten eine wohlige Atmosphäre schafft. Ebenfalls in die Saiten greift Jochen Schoberth und wenn Tom das Wort Hippie mit diesem Track assoziiert, liegt er nicht falsch, denn die Komposition umgibt in der Tat eine gewissen Aura, hervorgerufen durch eine stoisch quirlige Perkussion und ein Saitengeflirre, das seinen Höhepunkt findet, wenn Jochen zu einem leider viel zu kurzen Solospiel findet.
Aus dem Electric Family-Album Terra Circus wurde mit "The Dreamboat" ein Dampfhammer gewählt, der wie 2017 bei meiner ersten Begegnung keine Gefangenen macht. Nach der schon monumental zu nennenden "Fanfare To The Shipyard Workers" treibt der Song ohne Unterlass mit beeindruckender Verve durch die Minuten und Steff Ulrich an der Schießbude ist über weite Strecken die treibende Kraft. Tom haut seine Worte ins Geschehen, die Tasten rollen und flirren durch die Luft, die zu brennen scheint. Wie die Nackenmuskeln des mit der Musik mitgehenden Rezensenten.
"Rock The Widow" beweist eindeutig, dass früher doch manches besser war, denn dieses Stück von The Perc Meets The Hidden Gentleman ist nicht nur «ein Sonderfall«, wie Tom schreibt, weil es erst eine Single gab und später auf dem Debütalbum "Two Froozles At The Tea Party" der Neueinspielung als Mittelteil der vertonte Text "That Glass Indian" hinzugefügt wurde. Es ist auch ein Sonderfall – und da bin ich jetzt wieder bei meinem 'früher war doch manches besser' – weil die Single damals ein »veritabler kleiner Radiohit« war.
Die Nummer startet tastenmäßig wie die Begleitsequenz zu einer Sience Fiction-Serie aus den 1960ern, nimmt dann schnell einen simplen aber einnehmenden Dance-Rhythmus auf und Tom hält lyrische Zwiesprache mit Emilio. Schön, dem Beat der Nummer zu folgen, die auf der einen Seite so genial alt klingt, auf der anderen Seite aber auch wunderbar in die jetzige Zeit passt. Gut kommt in der Tat auch das implantierte "That Glass Indian". Auch Rolfs Gitarre in Verbindung mit den flirrenden Keyboardsequenzen begeistert mich. Und wenn ich ehrlich bin, ist hier das elektronische Gedrumme mehr als passend. Live, so erfahren wir, konnte "Rock The Widow" durchaus die 15-Minuten-Grenze durchbrechen. Auf The Fruits Of Sin & Labor sind es zumindest schon mal fast dreizehn Minuten.
Tja, "The Electric Kindergarten Vol. 10, Chapters & Suites" ist wieder eine gelungene Zusammenstellung aus den Tiefen Redeckscher Musiksammlungen.
Line-up The Perc:
- Track 1: Taras Bulba
Lea Saby (vocals)
Tom 'The Perc' Redecker (keyboards, vocals)
Volker Kahrs (keyboards, percussion) - Track 2: The Perc
Tom 'The Perc' Redecker (acoustic & electric guitar, keyboards, vocals)
Jochen Schoberth (electric guitar)
Dieter Serfas (percussion) - Track 3: The Electric Family
Evelyn Gramel (vocals)
Tom 'The Perc' Redecker (acoustic guitar, vocals)
Peter Apel (electric guitar)
Harry Payuta (bass)
Volker Kahrs (keyboards)
Torsten Glase (drums, drum programming) - Track 4: The Electric Family
Tom 'The Perc' Redecker (guitar, vocals)
Rolf Kirschbaum (guitar)
Harry Payuta (bass)
Andres Becker (keyboards)
Steff Ulrich (drums) - Track 5: The Perc Meets The Hidden Gentleman
Tom 'The Perc' Redecker (keyboards, vocals)
Emilio 'The Hidden Gentleman' Winschetti (vocals)
Rolf Kirschbaum (guitar, drum programming)
Tracklist "The Electric Kindergarten Vol. 10, Chapters & Suites":
- The Moonblood Suite (12:35)
Part One: The Time Has Come
Part Two: Pierres Sacradees
Part Thee: Mother Earth
Part Four: Dance Of The Fisherman’s Wife - Sun Sketches (6:05)
a. The Plain Knights
b. Welcome To Circus Freedom
c. Back To The Jungle Of Gold - Betancuria (12:21)
a. The Conquest
b. Morro De La Cruz
c. Loverflow - The Dreamboat (7:48)
a. Fanfare To The Shipyard Workers
b. Name The Wreck
c. Back In The Yard - Rock The Widow incl. That Glass Indian (7:28)
Gesamtspielzeit: 46:17, Erscheinungsjahr: 2025



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