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V.A. / D-Day – A Grateful Dead Tribute From Krautland – CD-Review

V.A. / D-Day – A Grateful Dead Tribute From Krautland – CD.Review

Nein, mit Grateful Dead nachspielen hat vorliegender Sampler nichts zu tun. Zumindest nicht, wenn man den Maßstab so anlegt, wie man das ansonsten bei Coverbands macht. Und das kann man hier definitiv nicht.

Beim ersten Hören der Zusammenstellung habe ich das wohl getan, denn als großer Fan der amerikanischen Jamband ging ich mit einer Erwartung an das Album heran, die so falsch war, wie etwas nur falsch sein kann. Manchmal ist es doch von Vorteil, wenn man Promoschreiben vor dem Hören des Beworbenen liest.

Mich hätte aber auch das Line-up stutzig machen können, denn auch wenn die Kompilation von Musikern aus 'Krautland' stammt und ich mir einbilde, mich mit Kraut auszukennen (ich denke jetzt nicht an Lebensmittel oder Rauchwaren), so gestehe ich zu meiner Schande, keine mir bekannten Namen im Booklet zu lesen. Das ist aber nicht mal schlecht, denn es zeigt, dass es noch viel aus der 'alten Zeit' und aus unserem Land zu entdecken gibt.

Ein Blick ins RockTimes-Archiv zeigt mit aber immerhin, dass die ehemaligen Kollegen Norbert und Steve Sparifankal in den Artikeln zu Aufbrüche – Die Umsonst & Draussen Festivals 1975-1978, Hart & Zart Vol.II – Neue Volksmusik aus Bayern sowie Ein Komet ist ein schmutziger Schneeball erwähnen. Markus und Sabine haben Rezis über die Flowerpornoes geschrieben und da wäre dann auch Tom Liwa zu finden. Immerhin etwas.

Also, wir hören keinen Jamrock auf "D-Day", sondern Musik von Bands und Künstlern, die den Amerikanern um Jerry Garcia auf ihre Weise und in ihrem Stil Tribut zollen, oder besser gesagt: Ehre erweisen. "D-Day" – da weiß wohl ein jeder, was gemeint ist. In Anlehnung daran, aber absolut friedlich, ist wohl die Europatour 1972 gemeint, die die Band auch nach Deutschland führte. Kleiner Tipp am Rande: Besorgt euch den großartigen Doppeldecker "Europe ’72".

Diese 'Landung' Grateful Deads in Deutschland, also wie und warum es zum Sampler "D-Day – A Grateful Dead Tribute From Krautland" gekommen ist, wird ausführlich im Booklet erzählt, und das alles zu lesen ist schon mal höchst interessant. So kommt erst Carl-Ludwig Reichert zu Wort, den zumindest Süddeutsche entsprechenden Alters von seiner Sendung "Pop Sunday" beim Bayerischen Rundfunk, die laut Wikipedia von 1968 bis 1984 lief und als »die progressivste Sendung des BR ihrer Zeit galt«, kennen dürften. Der Rezensent kennt die Sendung nicht, weiß aber aus eigener Erfahrung mit den Sendern in seiner Reichweite, dass die Radiolandschaft damals eine war, der man aus heutiger Sicht posthum nur Lob attestieren kann.

Auf jeden Fall erzählt Reichert, der nicht nur Radiomoderator, sondern auch Musiker und Schriftsteller war, wie er 1972 Grateful Dead erlebte und zwei Jahre später die Band gar traf und Garcia als auch Weir interviewen konnte. Wenn ich vor ein paar Buchstaben die damalige Radiolandschaft lobte, so muss man aber auch sagen, dass dort wo Licht, auch Schatten ist. Die Genehmigung Grateful Deads lag nämlich vor, das 1974er Konzert in der Olympiahalle live zu übertragen, aber beim BR haben das eine oder mehrere Pfeifen verschlafen. Das und noch einiges mehr erfahren wir, wie bereits gesagt von Carl-Ludwig Reichert.

Der zweite, der im Booklet zu Wort kommt ist Christoph J. Bauer von den Lost Verses. Wer den Mann auch mit Jazz in Verbindung bringt, liegt nicht falsch, aber das ist dann eine andere Geschichte. Aber nun kommt das Wheel in Bewegung, denn Christoph sah bei Michael Drexler von The Last Temple auf dessen Seite in den sozialen Medien ein Plakat von Grateful Dead und plötzlich stand die Frage im Raum, ob und wenn ja, welchen Einfluss die amerikanischen Jamrocker auf deutsche Musiker hatten – oder auch noch haben. Er kontaktierte daraufhin Tom Liwa, fragte ihn danach und Liwa sandte postwendend seine deutsche Fassung von "Friend Of The Devil". Er empfahl Christoph sich auch mit Carl-Ludwig Reichert in Verbindung zu setzen und der steuerte zwei Songs seiner Band Sparifankal sowie einen Titel seiner anderen Band, Wuide Wach bei. Dies drei Nummern seien aber keine Cover von GD-Songs, sondern lediglich von den Amerikanern inspiriert. Ich muss aber schon sagen, dass mich "I wach auf in da Früa " mehr oder weniger stark an den "Walkin' Blues* erinnert. Aber diese Art des Blues klingt vermutlich immer so, als kennt man den von woanders her.

Es war die Zeit der musikalisch toten Hose, sprich Corona beherrschte das Land, man konnte mit anderen Bands in Kontakt treten, da die meisten Musiker ja kaum Beschäftigung hatten und so wurde der Kreis der Bands, die Interesse an einer Mitwirkung an dem Sampler hatten größer und voilà: D-Day.

Es ist erstaunlich, wie vielseitig die Interpretationen sind; da ist das absolut relaxte "Fire On The Mountain" von Markus M. Steinbach And The Lost Verses, das so ganz anders klingt als Steinbach alleine mit einer Art Elektro-Version von "China Cat Sunflower", oder das mit zarten weiblichen Vocals daherkommende "Jack A Roe". Dann ist da das psychedelisch quirlige  "Cardboard Cowboy", The Last Temple mit dem, wie im Original auch, unter die Haut gehende "Brokedown Palace", das geniale "Ripple" und, und und.

Natürlich muss man "Stella Blue" oder "Friend Of The Devil" mit deutschem Text erst einmal sacken lassen, aber gerade "Stella Blue" bzw. "Sternenblau" ist sehr packend dargeboten – und wie gesagt: hier wird anders gecovert, als üblich. "Altea", "Ship Of Fools", "Dark Star", "Help On The Way" – alles saustarke Versionen. Als Grateful Dead-Fan darf man diese Fassungen mögen und den Hut ziehen. Außerdem sind einige der Bands auf meine To-hear-Liste gewandert.
Erstaunlich finde ich, dass mir Sparifankal und Wuide Wacht bisher noch nicht über den Weg gelaufen sind. Dialekt mag ich, weil diese Bands in der Regel tolle Texte haben und musikalisch meistens auf meiner Frequenz schwingen.  Da muss ich mal schauen, ob da noch was zu haben ist.

D-Day – es war ja keine schöne Sache damals und auch was vorliegende Platte betrifft, gibt es Unschönes: Carl-Ludwig Reichert starb kurz vor der Fertigstellung des Albums; am 4. September 2023. Daher ist dieses Werk vom Label The Lollipop Shop bzw. dessen Gesicht, Henning Küpper, auch dem Verstorbenen gewidmet.
Und das tut er natürlich mit einem Satz aus den großen Grateful Dead-Repertoire:

»A box of rain will ease the pain and love will see you trough«.

R.I.P. Carl-Ludwig


Tracklist "D-Day":

  1. China Cat Sunflower (Markus M. Steinbach)
  2. I wach auf in da Früa (Sparifankal)
  3. Minga Blues (Sparifankal)
  4. Mountains Of The Moon (Temple of L.I.B.)
  5. Friend Of The Devil (Tom Liwa)
  6. Jack A Roe (The Lost Verses)
  7. Cardboard Cowboy (Cosmic Kangoroos)
  8. Fire On The Mountain (Markus M. Steinbach and The Lost Verses)
  9. Brokedown Palace (The Last Temple)
  10. Ripple (Blind Joe Black and Toni Marika)
  11. Stella Blue (Tom Liwa)
  12. Atthea (Phillip Eisenblättler)
  13. Nix laid mea (Wuide Wacht)
  14. Ship Of Fools (The Lost Verses)
  15. Dark Star (Fit & Limo)
  16. Help On The Way (Markus M. Steinbach)

Gesamtspielzeit: 76:29, Erscheinungsjahr: 2023

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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