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Cosmic Combo / Mother Divine – CD-Review

Cosmic Combo / Mother Divine

Als die Chefin mir vor ein paar Tagen das neue Album von Cosmic Combo avisierte, musste ich erst einmal das Netz durchforschen und stieß auf ein geniales Video des "Tangle Town Blues", einer Nummer aus dem Jahr 2016. Das Feuer war entzündet.

Nun liegt die CD "Mother Devine" im Player und ich mag sie eigentlich gar nicht mehr herausholen. So viel vorweg: Wer ein durchaus progressives Konzept mit starker psychedelischer Ausrichtung zu schätzen weiß, zusammengestellt wie eine Art Patchwork großartiger Sounds und Anspielungen auf die Siebziger, der wird hier begeistert einsteigen. Und die Band hat ausgesprochen prägnante Merkmale, insbesondere im charismatischen Gesang von Marty Sennewald, der nebenbei die Keyboards bedient, sowie das eindrückliche Gitarrenspiel von Jost Wackernagel, der seine Phrasierungen irgendwo zwischen klassischer Hard Rock-Orientierung und Mark Knopfler platziert, zumindest auf diesem Album. Wer sich das herrliche Video "White Lies" von 2015 anschaut, würde vor allem an eine Reminiszenz an die Doors denken.

Das gilt ganz massiv und noch deutlich mehr für die Tasten und den Gesang – nein, eigentlich für die gesamte Band, damals noch in anderer Besetzung. So oder so sorgt der Sechssaiter für einige krachende Gänsehautmomente auf "Mother Devine". Saxofon und Querflöte verstärken den krautigen Charakter der Kompositionen und das kommt nicht von ungefähr. Philip Knöfel von der Dresdener Band Wucan, so etwas wie die Verkörperung des modernen Krautrocks, sitzt seit der Neuformierung der Band am Schlag und Wucans Frontfrau Francis Tobolsky unterstützt in "Dancing Light" an der Querflöte. Überhaupt ist das Album ausdrücklich durch Unterstützung entstanden, die Finanzierung erfolgte über ein Crowdfunding-Projekt.

Das epische,Titel-gebende Werk "Mother Divine" ist eine große Komposition in fünf Abschnitten und bietet eine Art Vergangenheitsbewältigung mit der bandeigenen Geschichte. Wie uns Marty im Schriftverkehr zu diesem Album berichtet, geht es um den Verlust einer geliebten Person aus dem Bandumfeld, um einen Freund, der sich einer Sekte zugewendet hat. Der erste Part lässt sich viel Zeit, eine groovige Spannung zu erzeugen und driftet elegant in einen lässigen Flow. Die Sounds klingen hier sehr schön psychedelisch und lassen das dramatische Ende nicht vermuten. Traumhaft entspannte, Retro geschwängerte Klänge laden ein, den Orbit vorübergehend mal kurz zu verlassen. Diese Art von sensibler Steigerung wird gern auch bei den psychedelisch, Stoner-befeuerten Instrumentalisten von Monkey 3 seit etlichen Jahren praktiziert.

"Prolegomena" heißt das, was nicht viel mehr als Einleitung bedeutet. Die klaren Lines und der Gesangspart übernehmen das Geschehen und die weiteren Untertitel lassen erahnen, dass wir uns in die Welt der spirituellen Wahrnehmungen begeben. "Sublime Object", "Yunus" (die arabische Form des biblischen Jonas) und "Ideology" nennen es in Worten. Hier befindet sich die Musik stimmungsmäßig längst in einem nachdenklicheren Modus und hier und da erinnern mich einzelne Breaks an die frühen Eloy. Der Gesang klingt deutlich zurückgenommener, die Harmonien kreiseln sehr Song-immanent um die gesungenen Zeilen, bis sich alles in einem bärenstarken Blues Rock entlädt. Die Melodie ist immer noch die gleiche, der Duktus jedoch ein anderer. Der Ton verschärft sich, sozusagen. In dieser Passage sind die Siebziger sehr präsent. Immer und immer wieder erhebt sich Josts Gitarre zum Solo und hat nun nichts mehr mit den eingangs zitierten Herren zu tun. Gespenstisch wird es zum Schluss, wo über nackten Riffs und partiellen Drum-Explosionen ein bis zur Unkenntlichkeit verzerrter Sprechgesang für Verängstigung und Verstörung sorgt. Klingt wie ein Albtraum unter Einwirkung nicht so betörender Substanzen und signalisiert ganz sicher die zerstörerischen Kräfte der beschriebenen Sekte, die den Freund auf ihre Seite zog. Das klingt angsteinflößend und der Hintergrund ist es auch. Wie viel Leid und Elend sind wohl unter dem Namen irgendwelcher Seligkeit versprechender, falscher Propheten schon erzeugt worden?

"Dancing Light" ist so etwas wie die Single, wie überhaupt das gesamte Werk eher auf klassisches Vinyl-Format ausgerichtet ist. Der hier leicht beschwingte Groove und die Leichtigkeit von Francis' Querflöte würde tatsächlich zu einer Auskopplung taugen. Weit weniger dann die düstere "Intermission", die mit naturalistischen Geräuschen beginnt, so als ob jemand eine Kassette in seinen Player einlegt, ja, so etwas gab es mal. Ein kurzes, einsames Saxofon-Solo beginnt, verschwindet aber schleichend im Hintergrund, während düster schwelende Keyboard-Sounds unheilkündend hervortreten. Nur als Klangteppich, aber schwer wie Blei und unverzeihlich. Eine schöne, beängstigende ambiente Nummer wie aus einem Film Noir.

Es wartet aber ein Kracher auf uns, der ganz andere Ausprägungen trägt.
"Sacrifice" ist eine Killernummer, die im Prinzip zweigeteilt daherkommt. Im ersten Part nimmt der Song langsam und lustvoll Fahrt auf, mit einer Melodic, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Herrliche Hooklines, wo auch das Saxofon die Harmonien deutlich ausprägt und dazu die sonore Stimme von Marty, den ich mir auch in einer Mittelalterband sehr gut vorstellen könnte, führen uns hier recht gradlinig und der Stimmung folgend, die wilden Breaks haben sie sich für den zweiten Part aufgespart, aber der geht dann so richtig ab. Denn dann wirft Marty den Riemen auf die Orgel und "Sacrifice" entfaltet sich nun wie eine klassische Live-Improvisation der alten Deep Purple in glorreichen Tagen. Zunächst stehen die Tasten im Vordergrund, dürfen sich aus einem wild groovenden Rhythmusgebräu zu allerlei solistischen Höhepunkten entwickeln, während die Gitarre artig die begleitenden Riffs beisteuert. Und irgendwann wird der Spieß umgedreht und mit flotten Fingern in die Saiten gegriffen.

Gerade jetzt kommen mir Mark Knopflers unfassbare Soli in "Sultans Of Swing" in den Sinn. Ja, hier geht es genau in diesem Spirit zur Sache und das darf man getrost als eine kleine Sensation oder zumindest ein wundervolles Deja Vu betrachten. Mich reißt es jedenfalls komplett aus dem Sessel – wie muss das erst Live abgehen? Das sind die Momente, wo ein alternder Rezensent beglückt erkennt, dass unsere Musik immer noch lebt. Das unbetitelte Stück zum Ende nimmt noch einmal die Mainline von "Sacrifice" auf, ganz dezent und weit im Hintergrund, die mäandernde Gitarre und der sanfte Klangteppich schweben dahin wie eine Brise im Sonnenuntergang. Da muss ich noch einmal Eloy zitieren, die auch schon mal ein Album auf ähnliche Weise ausklingen ließen, damals, vor mehr als vierzig Jahren.

Diese kosmische Kombo hat mich total umgehauen. 2022 ist noch nicht alt und hat uns bislang viel Kummer bereitet. Dieses Album aber ist ein Kleinod, welches direkt von den Göttern des Rock’n’Roll zu kommen scheint. Zeitlos, voller Inspiration, Leidenschaft und mit unglaublich ausdrucksstarker Sprache der Musik. Knietief versunken in den Wurzeln klassischer Rockmusik entwickeln sie ihren leicht progressiven Stil mit faszinierenden, bewegenden Breaks und ambienten Momenten hin zu ekstatischen Soli, die einem das Blech wegfliegen lassen. Ilka hat es mir angekündigt:»Paul, da kriegst Du eine Scheibe, die wirst Du lieben!« Meine Chefin kennt meinen Geschmack. Ich bin dankbar, diese großartige Band kennen gelernt zu haben und hoffe inständig auf Live-Erlebnisse, denn Cosmic Combo vereinen all das, was ich den vergangenen, fast fünfzig Jahren an dieser Art Musik so sehr geliebt habe. Wie geil, dass es solche Bands immer noch gibt.


Line-up Cosmic Combo:

Marty Sennewald (vocals, keyboards)
Jost Wackernagel (guitar)
Philip Blümel (bass)
Philip Knöfel (drums)
Michael Alt (saxophone, percussion)

Guest:
Francis Tobolsky (flute, backing vocals #2)

Tracklist "Mother Divine":

  1. Mother Divine
  2. Dancing Light
  3. Intermission
  4. Sacrifice
  5. "Ohne Titel"

Gesamtspielzeit: 35:48, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

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