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Festival am See, 14.06.25 auf der Waldbühne im Stadtpark Norderstedt

Festival am See, 14.06.25 auf der Waldbühne im Stadtpark Nor-derstedt

Musikalische Vielfalt, Picknick im Grünen und Fachgespräche in der Getränkeschlange

»Ich habe die Zukunft des Rock’n’Roll gesehen« – das berühmte Zitat aus dem Jahre 1974 stammt vom Musikkritiker Jon Landau. Gemeint war kein Geringerer als Bruce Springsteen. 51 Jahre später, in der Gegenwart angekommen, tourt der 'Boss' und seine legendäre E-Street-Band immer noch rund um den Erdball und versetzt seine alte und neue Anhängerschaft in Ekstase. Für das rund dreistündige Konzert-Spektakel greifen die Fans bereitwillig tief in die Tasche.

Einen anderen Ansatz verfolgen die Musikenthusiasten der Musikwerkstatt e.V. in Norderstedt. Im Kellerclub 'Musikstar' veranstalten sie rund 100 Konzerte im Jahr. Kostenlos. Spenden für die Bands sind jedoch ausdrücklich erwünscht und auch notwendig. Jährliches Highlight ist das "Festival am See" auf der Waldbühne im Stadtpark. Weil ausschließlich Leadsängerinnen auftreten, lautet das diesjährige Motto »Starke Frauen«. Die Protagonist*Innen des 17. Festivals am See haben mindestens einmal ihre Visitenkarte im Musikstar abgegeben und repräsentieren einen Querschnitt aus Rock, Americana und Blues. Allesamt Stilrichtungen, die einen nicht unerheblichen Teil des musikalischen Programms im Musikstar ausmachen.

Picknickdecken obligatorisch

Picknickdecken obligatorisch

Eine entsprechende Vielfalt ist also garantiert und passt genau in das Beuteschema eines Musiknerd-Trios aus Oldenburg/Bremen. Die mit 85000 Einwohnern viertgrößte Stadt Schleswig-Holsteins steht ob des reichhaltigen musikalischen Angebotes schon lange auf der Wunschliste. Neben der Musikwerkstatt veranstaltet auch das Blueswerk e.V. regelmäßig Blueskonzerte im 'Kulturwerk am See'. In der beliebten Location gastiert am 14. November dieses Jahres die Connolly Hayes Band, ihres Zeichens Hauptact des heutigen Events.

Punkt 18 Uhr betritt Hauptinitiator Wolfgang Sedlatschek die Festivalbühne und verkündet: »Viel Spaß mit Dear Robin«. Etwas ausführlicher und vor allem enthusiastischer hätte die Begrüßung schon ausfallen dürfen. Die aufstrebende Rostocker Band begeistert von Beginn an die bereits zahlreichen Besucher*Innen. Viele von ihnen haben ihre Picknickdecken auf den umsäumenden Rasenflächen ausgebreitet, greifen angesichts der brütenden Hitze jedoch zunächst zu den Kaltgetränken.

Dear Robin eröffnen auf der Waldbühne

Dear Robin eröffnen auf der Waldbühne

Apropos Kaltgetränke.
Am Getränkestand neben der Bühne hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Nichts Ungewöhnliches, sollte man meinen. Es geht aber so gut wie nicht vorwärts. Viele nehmen die Wartezeit mit Humor, beginnen launig miteinander zu plaudern, und tauschen sich über die letzten Konzerterlebnisse aus. Die Pointe kommt dann bei der Getränkebestellung. Da wird allen Durstigen gewahr, dass sie sich lediglich durch die 'Bestellschlange' gekämpft haben. Nach Bezahlung der Kaltgetränke wartet eine weitere Schlange an der Getränkeausgabe. Wohl dem, der gleich einen halben Liter Gebrautes geordert hat. Und die Bestellungen werden nur der Reihe nach einzeln gezapft.

Derweil konzentriert sich Dear Robins musikalischer Vortrag auf das überaus gelungene Zweitwerk "Timebound" (2024), welches sie fast in Gänze zu Gehör bringen. Besonders ins Ohr gehen das gefühlvolle "Slow Down", das mit einem griffigen Riff ausgestattete "Kingdom Of Hope" und das Orgel-lastige "Breakout". Letzteres eröffnet Florian Fischer passenderweise mit einem fulminanten Keyboard-Intro. Mit ihrer Mischung aus 70er Jahre Vintage-Rock, garniert mit Blues- und Southern-Anleihen, legen die Rostocker einen mitreißenden Gig hin und ernten viel Applaus von der Zuhörerschaft. Das Interesse am improvisierten Merchandising hinter der Bühne ist entsprechend groß. Viele größtenteils in Würde ergrauten Herren greifen gleich beide bisher erschienenen Silberlinge ab und lassen sie von der sympathischen Frontfrau und Leadsängerin Pia Rademann signieren.

Flirtet Hannah Aldridge etwa mit dem Fotografen?

Flirtet Hannah Aldridge etwa mit dem Fotografen?

Nach dem gelungenen Festivalauftakt dauern Umbaupause und Soundcheck bedauerlicherweise etwas zu lange, sodass der ohnehin ambitionierte Zeitplan nicht mehr eingehalten werden kann. Als Hannah Aldridge und Band schließlich die Festivalbühne erklimmen, ist es bereits 19:50 Uhr.

Für den heutigen Auftritt hat Hannah Aldridge extra ihre Band zusammengetrommelt. Zuvor ist sie mit Katie Bates als Duo durch die europäischen Clubs gezogen. Die aus Melbourne stammende Australierin zupft heute den Bass und steuert dezente Background-Vocals bei. Am Griffbrett und Schlagzeug komplettieren mit Marcus Lundqvist und Daniel Juter zwei schwedische Mitstreiter das Bandgefüge und überzeugen dabei auf der ganzen Linie.
Hannah Aldridge, aufgewachsen in Muscle Shoals Alabama, bezeichnet sich selbst als »Independent Dark Country Singer Songwriter«.

Mit ihrer Band im Rücken geht sie zu Beginn druckvoll und rockig zu Werke und versprüht dabei viel Southern Flair, vor allem beim zweiten Song "Old Ghost". Ihre ausdrucksstarke, leicht melancholische Stimme veredelt aber auch Country-Balladen wie "Black And White" oder "Like You Love Me" und verleiht ihnen emotionale Tiefe. Bei der Setlist setzt Hannah Aldridge hauptsächlich auf ihre ersten beiden uneingeschränkt empfehlenswerten Alben Razor Wire (2014) und "Gold Rush" (2017). Beim letzten Stück "Burning Down Birmingham" darf auch das inzwischen restlos begeisterte Publikum kräftig mitsingen. Die geplante Zugabe entfällt leider aus Zeitgründen.

Die Connolly Hayes Band legt unverschuldet verspätet los

Die Connolly Hayes Band legt unverschuldet verspätet los

Obwohl alle Beteiligten beim Umbau kräftig aufs Gaspedal drücken, kann die Connolly Hayes Band erst um 21:15 Uhr mit "Secret" von ihrem Debütalbum "Remember Me" (2024) losgrooven. Das gelingt dem bestens aufgelegten Fünfer aus Großbritannien mit Bravour und animiert vornehmlich die weiblichen Besucherinnen, vor der Bühne kräftig das Tanzbein zu schwingen. Hier wird schnell deutlich, warum das Quintett für den UK Blues Award 2024 nominiert wurde. Jess Hayes ist eine ausdrucksstarke Sängerin mit guter Bühnenpräsenz. Frankie Connolly verfügt über ein ausgefeiltes Gitarrenspiel und steuert soulgetränkte Gesangsparts bei, die perfekt zu Bobby Womacks Songs passen. Aus dessen Œuvre bedient sich die Connolly Hayes Band gerne und präsentiert dem freudetrunkenen Publikum eine fulminante Version von "Woman’s Gotta Have It".

Die Abteilung Rhythmus, bestehend aus Beau Bernard und Andy Wilder, agiert sehr tight und hält alles im Flow. Joe Mac rollt den Klangteppich aus und sorgt mit teils jazzigen Einsprengseln für zusätzliche Klangfarbe. Leider muss durch behördliche Auflagen um Punkt 22:00 Uhr Schluss sein. Daher biegt der Fünfer mit dem Referenzsong "Midnight In Harlem" (Tedeschi Trucks Band) bereits auf die Zielgerade ein. Frankie Connolly darf beim Gitarrensolo einmal mehr alle Register ziehen. Anfangs streichelt er die Saiten behutsam, steigert dann langsam die Intensität bis zum Grande Finale, als die Funken regelrecht zu sprühen scheinen.

Fazit:
Die Festivalbesucher*Innen haben auf der Waldbühne nicht die Zukunft des Rock’n’Roll gesehen. Das kann auch gar nicht der Anspruch sein. Aber es ist bewundernswert, dass ehrenamtliche Musikenthusiasten in ihrer Freizeit ein derart wunderbares Festival auf die Beine stellen können: Glasklarer Sound in einer idyllischen Location, großartig aufspielende Bands mit unterschiedlichem musikalischem Ansatz und entspannte, freundliche Menschen, die friedlich zusammen feiern. Und das alles in Norderstedt. Da kommt einem fast das legendäre Zitat des 'Kaisers' anlässlich der völkerverbindenden Fußball Weltmeisterschaft 2006 in den Sinn: »So stellt sich der liebe Gott die Welt vor«.

Bildnachweis für die Bilder des Events: Henry Klompmaker (01-03), alle anderen Olaf 'Olli' Oetken © 2025 | RockTimes

Über den Autor

Thomas Völge

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