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Gebrüder Engel / Skandal – LP-Review

LP-Review zu Gebrüder Engel - Skandal

Ein paar Engel in der Vorweihnachtszeit… wie passend. Besinnlich und liebreizend? Weit gefehlt. Die Engel, die ich meine, rocken. Speziell den Bertram Engel hat wahrscheinlich jeder von euch schon gehört, allerdings vielleicht nicht gerade in seiner Himmelsbotenversion. Bertram Passmann (wie er bürgerlich heißt) trommelt seit Ewigkeiten beim Panik-Udo und bei Peter Maffay. Mit seinem älteren Bruder Thomas, der später als Geier Carlo bei der Geier Sturzflug-Neuauflage (Mitte der 90er Jahre) in die Hände spuckte bzw. das Gesangs-Mikro in selbige nahm, hatte er die Gebrüder Engel Mitte der 70er Jahre gegründet. Namensgeber war die blonde Lockenpracht der beiden Brüder, den Engel haben sie auch in ihrer weiteren Karriere beibehalten.

Neben den Brüdern besteht die Band aus dem weiteren Lindenberg und Maffay Weggefährten Steffi Stephan, der den Gebrüder Engel-Alben nicht nur den coolen Groove verpasste, sondern sie auch produzierte. Auch Karl Allaut kam aus dem Udo-Umfeld, er wirkte auf  "Alles klar auf der Andrea Doria" und "Ball Pompös" mit, während Thomas (inzwischen Carola) Kretschmer mit Udo sogar schon den "Daumen im Wind" hatte und bereits1972 bei Kravetz auf dessen gleichnamigem Album an der Gitarre wirkte. Alle Mitwirkenden waren darüber hinaus bei unzähligen anderen namhaften Musikern aktiv, es würde den Rahmen sprengen, hier alle aufzuzählen.

"Skandal" war nach dem 1975 erschienenen Debüt "Gebrüder Engel" das zweite Album der Band. Es war die erste Platte mit einem dieser genialen Coverartworks von Lo (Graf von) Blickensdorf, die auch die Folgewerke "Magengesicht" (1980), "Kopfsalat" (1982) und "Die Wahrheit" (1983) zierten. Es war das erste Album der Gebrüder, das mir zu Ohren kam und wird meine Nummer 1 bleiben. "Skandal" erschien übrigens zwei Jahre bevor es einen solchen im Sperrbezirk gab, nur für den Fall, dass jemand hier Abkupferei wittern sollte… Skandalös waren hingegen einige der Themen auf dem Gebrüder Engel-Album – nicht nur für die Verhältnisse 1979.

Schon der Opener "Das muss weg" krallt sich das erste Tabu-Thema: Abtreibung. War 1974 eine Fristenlösung mit knapper Mehrheit vom Bundestag beschlossen worden, wurde sie zwei Jahre später vom Bundesverfassungsgericht gekippt und die lange Jahre geltende Indikationsregelung wurde eingeführt. Gesetz, Ethik und Indikation schert den Protagonisten allerdings gar nicht, denn er weiß nur:

Das muss weg – denn es bringt Pläne durcheinander
Das muss weg – denn er verdient zu wenig Geld
Das muss weg – denn sie passen doch nicht zueinander
Das muss weg – weil’s doch nicht geht in dieser Welt!

Und klar führt dann der Weg nach Amsterdam, die gängige Praxis, die gängige Doppelmoral…

Nächster Song – angenehmeres Thema: "Sie macht es gut", diese deutsche Version der Dr. Feelgood-Nummer "She Does It Right" widmet sich dem, was noch vor 'drugs & rock’n’roll' kommt. Und während gerade in dieser Zeit die eingedeutschten englischen Songs oftmals ins unfreiwillig Komische abdrifteten, kann "Sie macht es gut" mit dem Original locker mithalten. Lust und Verlangen wächst aus den Lautsprechern wie… naja, ihr wisst schon. Im Bett geht’s weiter, zwar wohl nicht bei der Zigarette danach, denn offensichtlich wird dieser Glimmstengel allein genossen. Weil »rauchend im Bett könnte er leicht verbrennen«, aber er hängt seinen Gedankengängen nach, in denen er sich selbst immer wieder zur Vorsicht ermahnt und versucht, den immer wieder aufkommenden Depressionen nicht nachzugeben. »Verkohlt im Bett wird man ihn kaum erkennen, das fällt ihm noch ein, und dann schläft er ein…«. So makaber, so gut. Makaber wirken auch etliche der Zitate, die in "Klau, lies und kotz" verwendet werden. War diese wütende Nummer damals der 4-Buchstaben-Zeitung aus dem Hause Springer gewidmet, so ließe sie sich heutzutage ganz locker auf etliche der 'Wahrheit-bringenden'-Websites ummünzen, die die damaligen Schlagzeilen an Absurdität mit Sicherheit toppen können. Absurd mutet vielleicht auch der Titel des letzten Songs der ersten Plattenseite an: "Erdnussflips und Salzbrezeln". Trotzdem (oder vielleicht deswegen) lieb ich diese Nummer. Rock’n’Roll als Jugendbewegung, die mit Steckplattenspieler und 45ern im Plattenalbum zelebriert wird und peu à peu verspießert, bis schließlich Farbfernsehen und Bürgerlichkeit Einzug halten.

Die zweite Seite startet mit "Fassade", einer Rocknummer, die musikalisch genauso zeitlos ist wie ihr Thema. Das zweite eingedeutschte Cover auf dieser Platte kommt im Original von den Pretty Things. Ihr "Come See Me" wird zu "Mach mich an" und auch hier gilt wieder, dass die Engel-Version kein bisschen peinlich rüberkommt, sondern richtig gut rockt, auch wenn sie nicht ganz ans Original rankommt. Lacher garantiert sind dann bei "Stacheldraht" – mehr will ich hier jetzt gar nicht verraten. Der Namensgeber der Platte, "Skandal, Skandal, (MDB im Separé)" rockt wieder mal so ein Thema, das selbst heute noch Köpfe kosten kann und in schön gepflegter Doppelmoral auch um die 80er zündete. Ein weiteres typisches 80er Thema ist "Schneller Brüter – Stiller Töter", wer sich noch an Brokdorf, Anti-AKW, Anti-Atom, Friedensbewegung und den ganzen Zeitgeist erinnert, wird bei diesem Song wahlweise nostalgisch oder wütend. Oder grad mal ziemlich mit der Welt am Ende. Dann passt genau der Rausschmeißer dieses Albums "Ich pfeife aus dem letzten Loch". Dieser Blues ist ganz genau der Soundtrack für solche Tage, an denen alles, aber auch wirklich alles so richtig Scheiße ist. Nur rauchend ins Bett sollte man sich danach nicht legen…


Line-up Gebrüder Engel:

Thomas Engel (Gesang, Mundharmonika)
Bertram Engel (Gesang, Percussion)
Karl Allaut (Gitarre)
Thomas Kretschmer (Gitarre)
Steffi Stephan (Gitarre, Percussion, Bass)

Tracklist "Skandal":

Seite 1

  1. Das muss weg
  2. Sie macht es gut (She Does It Right)
  3. Rauchend im Bett
  4. Klau, lies und kotz
  5. Erdnussflips und Salzbrezeln

Seite 2

  1. Fassade
  2. Mach mich an (Come See Me)
  3. Stacheldraht
  4. Skandal – Skandal
  5. Schneller Brüter – Stiller Töter
  6. Ich pfeife aus dem letzten Loch

Gesamtspielzeit: 38:00, Erscheinungsjahr: 1979

Über den Autor

Sabine Feickert

Hauptgenres: Rock, Deutschrock, Mittelalter, 'leise Töne'
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Mail: sabine(at)rocktimes.de

3 Kommentare

  1. RUDI

    Top, habe alle Platten und das Glück, sie 2 mal live sehen zu dürfen. Schönes Review

  2. SamSTyler

    Schöne Plattenkritik….es gibt sie doch noch die Gebrüder Engel Band Fans. 😀 Grüsse vom @fanderengel auf Twitter…. Und AS beste, die Engel singen Auch 20-17 noch…..oder gerade wegen!

  3. Claus

    Sehr schöne Review.

    Ich mochte damals "Kopfsalat" noch lieber. Schade, dass es die Platten nicht auf CD gibt.

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