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Grandval / Descendu Sur Terre – CD-Review

Grandval / Descendu Sur Terre

Selten zuvor hatte ich eine Scheibe auf heimischen Plattentellern, die sich sperriger gegen Einordnung und allzu gegenwärtige Vergleiche gewehrt hätte als "Descendu Sur Terre", den Abstieg auf die Erde nach dem ersten Album, das sich mit unseren himmlischen Sphären auseinandergesetzt hat. Nein, es geht nicht darum zu erkennen, dass Henri Vaugrand, der Mastermind von Grandval auf progressiven Pfaden unterwegs ist. Daran besteht ja auch kein Zweifel.

Nein, es ist der Weg zum Ziel, der oftmals wilde Kräuter am Wegrand und sanfte Blicke in eine provenciale, nach Lavendel duftende Ebene mitnimmt. Ein Weg, den die modernen Neo-Progger vermutlich nie gesehen haben. Dabei sprießt und treibt das Album bisweilen ein wenig unstet und es fällt schwer, so etwas wie einen roten Faden im Hinterkopf zu behalten. Doch was wie eine Schwäche klingt, ist in wirklich die größte Stärke des Albums!

Wie geil doch die schwelgenden Keyboard-Klänge gleich in "Exondation" wie zarte Pilze in einem Nebel durchfluteten morgendlichen Wald sprießen, nur um uns eine sanfte Gilmour-Einlage schmackhaft zu machen, die David vielleicht mal so gespielt hätte, wenn er einst zu früher Stunde in Frankreichs Wäldern spazieren gewesen wäre. Doch wir werden keine zahmen Klangmalereien begleiten müssen, schon der zweite Teil des ersten Songs elaboriert recht wild und ein wenig Fusion getränkt mit virtuoser Perkussion und jazziger Gitarre über den Dingen. Wie gesagt, wir bleiben ganz sicher nicht in einer Sparte stecken, sondern dürfen uns freuen auf unterschiedlichste klangliche Experimente und Pfade. Es geht rauf und runter, hin und her.

Uns erwartet eine Mischung aus mitunter fast folkloreartig klingenden Sounds mit schöner akustischer Gitarre, ausgiebig zelebriert in "Un Nouveau Destin" und den allgegenwärtigen französischen lyrischen Ausflügen – mit einer Stimme, die eigentlich gar nicht so prägnant erscheint und am Ende doch so einprägsam bleibt, die sich ständig mit unterschiedlichen Stilrichtungen weitgehend progressiver Musik verbindet. Und immer wieder interveniert eine absolut geile Gitarre, die ganz selten sogar mal (wie im Auftakttitel "Exondation") in floydschen Feldern grast, stets aber stimmige Akzente zu setzen weiß. Die Keyboards begleiten entspannt und irgendwie permanent auf dem Krautrock-Level darum herum, Detlef Schmidtchen von Eloy schrieb neulich mal sinngemäß: »Siehste, kommt alles wieder«. Ich würde sagen, dieser Sound war niemals weg, er war immer und überall – hat es doch mal so ähnlich irgendwo geheißen. Die schönen Mellotron-Teppiche geben zwischenzeitlich historische Anklänge und zum Ende hin scheint man sich beinahe an Helden wie Deep Purple zu erinnern, wenn das Adrenalin steigt. Ja, wie überhaupt die Musik immer sehr bodenständig und erdverbunden bleibt. Die Harmonien sind weit entfernt von vergleichbaren und einschlägigeren Werken, die Melodien atmen stets einen sehr eigenständigen und mitunter auch sperrigen Dunst, absorbiert aus den Wäldern des Reichs der Trikolore. Wie sehr man in Frankreich authentische, progressive Musik zu gestalten versteht, habe ich vor einigen Wochen bei Lazuli gelernt, hier erlebe ich meine zweite Lehrstunde.

Der Titelsong, "Descendu Sur Terre", hat fast ein wenig Hitcharakter und es schleicht ein Stück vom Geist der ganz frühen Marillion durch die Wälder, sicher der coolen Tastenbegleitung geschuldet und " Le Chemin À L’Envers" erfreut uns sogar mit einer schönen Twin-Guitar der Marke "Persephone" von Wishbone Ash, während uns zwischendrin in "Fractal Et Systémique" Raben und andere Erdenbewohner mit ihren originären Sounds begrüßen, wo uns Kevin Serra eher wieder mit Herrn Gilmour bekannt machen möchte.

Rhythmische Wechsel und abrupte Stimmungswechsel sind so sicher wie das Amen in der Kirche, da dürfen auch geradeaus orientierte Rocknummern wie "Brûler Dans Les Flammes De L’Enfer" schlicht und einfach mal Gas geben. Hier mag man fast glauben, Mr. Lord wäre mal eben als Gast vorbei gekommen. Und wieder einmal erwächst dieser geile Krautrocksound, der ziemlich nah bei den so ganz und gar nicht deutschen Omega begründet zu sein scheint, die unseren preußischen Musikstil in Ungarn schon ganz früh zu höchsten Blüten treiben konnten. Yeah, und rockiger klingt die Lead-Guitar auf dem ganzen Album nicht. Geil, wie das treibt und groovt.

"La Vie, Pourtant, La Vie", das Leben, und doch das Leben, es klingt wie eine Parabel auf unsere beängstigende Zeit, in der uns so viel Ungemach auf den Hals zu rücken scheint. Doch aus dem sanft, folkigen Anklängen erwachsen wilde und krachende Soloeskapaden, zuerst noch einmal in purplescher Power, dann kreiselt die Gitarre fast ein wenig fusionistisch gefrippt, immer wieder eingefangen durch nachdenkliche Breaks mit klassischem Georgel. Die klare akustische Gitarre besänftigt am Ende und schenkt uns Hoffnung. Bleiben wir menschlich, bleiben wir bodenständig – ein wunderschöner Schluss. Eigentlich.

Doch die CD trägt einen Bonus – zumindest ist es so deklariert.

Henrie Vaugard versteht es, mit seiner Band Grandval ausgesprochen eigenständige Klangbilder entstehen zu lassen, die eben mal lautmalerisch, dann aber auch wieder wild eskalierend drauf los treiben können. Dabei kreieren sie einen eigentümlich eigenen Sound, der ein wenig unkonventionell ist wie viele französische Filme für unseren eher mainstreamigen Geschmack. Wenn man sich drauf einlässt, entdeckt man ganz eigene und wunderschöne Aspekte. Das gilt für die Filme wie für diese Platte, für mich als ein Klein-Bisschen-Franzose immer leichter nachzuvollziehen. Die Leichtigkeit frankophiler Künstler, gepaart mit den Eigenschaften hiesiger Krautrocker und hin und wieder schöne Bezüge zu unser aller Pink Floyd oder Deep Purple ergeben einen fast schon dramatisch spannenden Mix aus Einflüssen und Ideen – aber immer irgendwie zusammengehalten in einem stimmigen und sehr durchdachten Konzept, in dem es Platz gibt für mystische Klangschwelgereien und energetische Ausbrüche. Auch diese Scheibe versucht den Menschen an den Umgang mit seiner Natur zu erinnern, mahnt, erinnert und erzählt von dem, wie es sein könnte. Wenn doch der Mensch endlich einmal zuhören und vor allem lernen würde. Musik erschließt uns die Schönheit, aber auch die Verletzlichkeit unseres Planeten, wenn wir nicht begreifen, wird es bald beides nicht mehr geben!

Wow, das ist eine wahrlich schöne Kombi aus intellektueller Botschaft und ausgesprochen selbständiger bewegender Musik, die ich so nicht erwartet hätte. C’est bon.


Line-up Grandval:

Henri Vaugrand (vocals, bass, guitar, programming)
Olivier Bonneau (keyboards, vocal harmonies, bass – #11)

Guests:
Jean-Pierre Louveton (guitar) (- #3-6,9,10), mellotron & programming (- #8), vocal harmonies ( #6)
Jean-Baptiste Itier (drums)
Steph Honde (guitars – #1)
Raffaele Spanetta (guitar – #2)
Christophe Chalancon / guitar solo (- #10)
Kevin Serra (guitar – #5)

Tracklist "Descendu Sur Terre":

  1. Exondation
  2. Un Nouveau Destin
  3. Puissances De L’infini
  4. Descendu Sur Terre
  5. Fractal Et Systémique
  6. Le Chemin À L’Envers
  7. Il Existe Une Etoile
  8.  a) Il Existe Une Etoile
  9.  b) Puissances De L’Infini (Reprise)
  10. La Meute Est Dans La Place
  11. Brûler Dans Les Flammes De L’Enfer
  12. La Vie, Pourtant, La Vie
  13. La Maison De Men-Tää

Gesamtspielzeit: 69:45, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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