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Mdou Moctar / Ilana: The Creator – CD-Review

Mdou Moctar / Ilana: The Creator - CD-Review

Für den Blues ist bei uns der Joe zuständig, denn der kennt sich aus.
Was nicht heißen soll, dass wir anderen Redakteure nicht auch eine gewisse Affinität zu dieser Musik entwickeln dürfen. Bei mir wirkt er immer schon nach, der Blues. Tief und eindringlich, seit ich mich für Musik interessiere. Dabei war ich vornehmlich auf den Spuren bekannterer Täter unterwegs, für interessante Seitenprojekte kannte ich meinen Kollegen Volker, der für mich immer so etwas wie der Grandmaster Of Blues war. Der weiß einfach alles und kennt fast jeden, der irgendwo auf dem Planeten mal was in 12 Takten vertont hat. Daher verdanke ich ihm eine Menge spannender Einflüsse.
Aber eben nicht alle.

Afrika mag für uns alle in vielerlei Hinsicht ein Kontinent mit vielen Geheimnissen sein, das gilt umso mehr für die Musik. Ehrlich, kennt Ihr Mdou Moctar?
Wenn nicht, dann glaubt mir, dass es alle Zeit der Welt wird, das zu ändern! Aus den Tiefen der Sahara, beladen mit dramatischen persönlichen Erfahrungen jenseits der heilen Musikwelt, kommt ein Tuareg zu uns – nicht auf einem Kamel, sondern auf den astralen Pfaden eines nicht ganz unbekannten Saitenbezwingers namens Jimi und er wird uns umhauen. Umhauen, weil wir so etwas aus den sandigen Hügeln unter brennender Sonne wohl kaum erwartet hatten. Mdou Moctar ist ein Derwish, ein Magier, ein wahrer Meister.
Keinesfalls nur in seiner ethnischen Herkunft.

Wer die wunderbaren Meditationen von Ali Farka Traoré kennt und die mit wilden westlichen Gitarren-Freak-outs kombinieren mag, die alle möglichen klassischen Bezüge aufweisen, der wird vor Freude einen innerlichen Salto schlagen – oder auch real, wer denn kann. Genau das aber bereitet uns das Album "Ilana" auf wie ein vorzügliches Menü. Endlich mal etwas völlig Neues im Blues, wow, Danke Afrika!

Von Beginn an bewegen wir uns in herrlichen afrikanischen Rythmusschleifen mit hypnotisch repetitiven, endlosen Wiederholungen, bis ein unfassbarer Fuzz aus eigentlich ganz anderen Welten dankbar erschlägt. Und das alles nur im ersten Song.
Ich liebe orientalische Gesänge und denke, es ist ein wenig der Schlüssel, sich dieser Musik zu nähern. Wer mit den für unsere Ohren mitunter fremdartig klingenden Harmonien nicht klar kommt, wird sich mit dieser Musik schwer tun. Sie ist die Basis, aus der ein wildes und nun ganz und gar nicht mehr so fremdes Solieren erwächst. Wie schon im zweiten Song "Tarhanin", wo wir in eine bunte psychedelische Welt einkehren, die eine Art Casablanca für Drogenkonsumenten herauf beschwört. Jetzt wird es bunt.

"Anna" klingt sehr westlich, was den Titel angeht, aber hier wird eher wieder die afrikanische Harmonie gefragt. Treibend, hypnotisch, bis die völlig losgelöste Lead-Guitar freakig, fuzzig zu elaborieren beginnt. Jetzt dürfen wir erfreut feststellen, wie sehr auch Afrika den psychedelischen Auswüchsen positiv entgegensteht. Repetitive, rückbezügliche Hooks setzen einen klaren Kontrast und ziehen uns in einem dauerhaften 'Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Gefühl' auf den Boden zurück. Das kleine, nachfolgende "Takamba" nimmt diesen Flow dankbar auf und gönnt uns eine minimale Pause.

Ein geheimnisvoll aufbegehrendes Keyboard, eine wild improvisierende Gitarre – an dieser Stelle könnten ganz viele unserer größten Helden ihren Starter zünden. Die herauswachsenden Hooks grooven mit Power und einer unglaublich positiven Energetik, irgendwie versteht jeder halbwegs sensible Mensch im Universum in diesem Moment, dass jetzt etwas Hymnisches in unserer Kultur ansteht. Der einsteigende, geile, leicht stolpernde Rhythmus verstärkt das. Mdou Moctar weiß, wie man einen Höhepunkt inszeniert, seine herrlich wilden Licks kreiseln um den orientalischen Gesang, während die kompositorische Struktur des Songs ganz und gar in westlich vorwärts treibenden Rhythmusgebaren verbleibt. Die kommentierenden Gitarrenlinien am Ende jeder Gesangszeile bestärken das nur. Und dann geht Mdou ab wie eine Sahara-Schmidt-Katze. Geile psychedelische Fingerakrobatik über einem treibend groovenden Rhythmus, jetzt entlädt sich die gesamte Energie dieser unfassbar faszinierenden Musik. Hey, wir lassen uns hier gerade aus dem Niger antörnen. "Tarhatazed" dürfte so etwas wie mein Lieblingssong für 2019 werden und Jimi Hendrix wird dabei auf seiner astralen Wolke beide Daumen heben. Musik aus der Sahara, Musik direkt ins Herz und in Woodstock wären sie ganz sicher in Ekstase verfallen. Meine Fresse, wie geil nimmt uns diese Gitarre auf die Tour.

Möchte man die Ambitionen des Albums in Richtung eines westlichen Publikums auf einen Punkt bringen, so heißt der "Wiwasharnini". So exotisch der Titel auch klingen mag, so sehr adaptiert er vor orientalischem Gesang eine ungeheuer mitreißende Atmosphäre, das, was ich beim legendären David Lindley so sehr geliebt habe. Der war auch in jeder Kultur zuhause.

Am Ende mag es kein Wunder sein, dass der Titelsong "Ilana" mit einem wuchtig, riffigen Intro aufwartet. Hey, strömt herbei Ihr Völkerscharen. Wer glaubt, Mdou Moctar kann nur multikulturell – der hat bis hierhin nichts verstanden. Mdou spielt Gitarre, die überall passen könnte. Denn er spielt sie hinreißend, perlend und ohne Rücksicht auf Verluste. Er verleugnet seine Herkunft nicht, aber er sagt Euch auch: »Hey, hier bin ich, aus dem Niger. Und das, was Ihr geil findet, das kann ich Euch geben.«

Mdou Moctar war bis vor wenigen Tagen ein Unbekannter für mich. Tuareg-Blues und psychedelischen, nordafrikanischen Rock habe ich bereits kennen lernen dürfen. Hier aber spielt mir ein wirklich genialer Wüstenbewohner jede Art von Kopfbedeckung von der Rübe, Mdou Moctar sollte zu den wahrhaft genialen Künstlern unserer Zeit gezählt werden. Man muss eben nicht aus den komischen Staaten oder unserer Umgebung stammen, um den Blues im Blut zu haben. Das geht am Mississippi, das geht am Rhein, aber das geht auch am Niger.
Keiner der mir bislang bekannt gewordenen afrikanischen Musiker steht so nahe zur Kultur des Blues und Rock wie Mdou Moctar. Fantastische orientalische Gesangpassagen, repetitive afrikanische Elemente und absolut abfahrende bluesrockige Gitarrenspektakel ergeben ein unverwechselbares Mischmasch krachend energetischer Musik zwischen den Kontinenten. Hey, genau die Musik für Mo Salah und Sadio Mané für die Meisterfeier!

Mohamed Salah, der 'König von Ägypten' inspiriert zurzeit die Welt mit seinen fantastischen Sololäufen und Toren für Liverpool. Afrika liegt ihm zu Füßen – und der Rest der Welt auch. Ein guter Zeitpunkt zu verstehen, dass aus Afrika wirklich großartiges kommen kann. Nicht nur im Fußball, Mdou Moctar zeigt uns, wo der musikalische Hammer hängt. Zieht Euch mal unvorbereitet das unfassbar geile Intro zu "Tarhatazed" rein und steigt ein in den Groove, ich möchte wetten, dass der Tuareg-Blues Euch aus dem Sessel reißen wird. Eine bessere Blues-Scheibe habe ich seit Jahren nicht gehört, eine coole Konkurrenz zu Juval Ron, Bröselmaschine und die abgefahrenen We Here Now, wenn es um mein Album des Jahres geht. Am Ende dieses Jahres stehen ein paar Musiker auf meiner persönlichen Wohlfühl-Tabelle, mit denen ich zu Beginn des Jahres wohl selbst nicht gerechnet hätte. Aber genau das macht es aus…


Mdou Moctar Line-up:
Mahamadou 'Mdou Moctar' Souleymane (guitar, vocals)
Ahmoudou Madassane (rhythm guitar, backing vocals)
Michael Coltun (bass)
Mazawadje Aboubacar Ibrahim (drums)

Guests
Aroudaini Daniel (djembe – #4)
Cem Misirlioglu (drum programming – #9)

Tracklist Ilana: The Creator:

  1. Kamane Tarhanin
  2. Asshet Akal
  3. Inizgam
  4. Anna
  5. Takamba
  6. Tarhatazed
  7. Wiwasharnine
  8. Ilana
  9. Tumastin

Gesamtspielzeit: 39:00, Erscheinungsjahr. 2019

 

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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