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Mouth Of Clay / Songs From The Wasteland – CD-Review

Mouth Of Clay / Songs From The Wasteland - CD-Review

Geschockte Eltern, geschockte Kinder, geschockte Nichtrocker – schwedische Retroattacke mit Südstaatencharme

Neulich der dreizehnjährige Heranwachsende: »Was machst Du da?«
Der Rezensent: »Schau, zu diesem Album werde ich ein paar Zeilen schreiben … weißt Du, das Teil, welches die letzten Abende aus der Küche dröhnte … möchtest Du mal sehen?«
»Ach nee Alter … lass mal stecken!«

Tja, in den 1960er Jahren überrannten gleich zwei musikalische Invasionen die Vereinigten Staaten von Amerika … erst die Beatles aus Liverpool und die Beatwelle, nicht viel später der British Blues-Boom, den spätestens der (Afro-) Amerikaner Jimi Hendrix aus London ins einst gelobte Land transferierte. In beiden Fällen war die Elterngeneration der damaligen Kids nicht wirklich amused.

Heutzutage erleben wir schon seit Anfang des neuen Jahrtausends einen anhaltenden Swedish Retro-Rock Boom, den unter anderem die großartigen Siena Root mit lostraten. Ein Mitglied der "ersten Stunde" ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch Hawkan Englund, in diesem Magazin bereits mehrfach Thema. Mit Mouth Of Clay trat er Anfang der 2000er auf den Plan und konnte 1½ Jahrzehnte später sogar den geschätzten Kollegen Uli Heiser begeistern. Deutlich weniger begeistert ist dagegen offenbar die heutige Jugend ob dieser merkwürdigen Musik, wo dauernd irgendwelche E-Gitarren kreischen, Orgeln brüllen und Sänger herumschreien.

Im Falle von Mouth Of Clay folgt bezüglich der Mucke, mit der offenbar die derzeit Heranwachsenden in den Wahnsinn zu treiben sind, auf ihre erstmals veröffentlichte eigene Historie nun ein brandneues Werk, welches immerhin Dreiviertel der Inkarnation von "What Have You Got To Loose?" (2001) aufbieten kann. Vieles hat sich seitdem getan und verändert. Der weitere Werdegang von Gitarrist Hawkan Englund ist in diesem Magazin dokumentiert (Josh’s Apple Tree, Mother’s Hope, Kee Man Hawk). Weniger bekannt dürfte sein, dass Schlagwerker Olle Frodin nach dem offiziellen Split von Mouth Of Clay 2002 kurze Zeit später in einer Combo gleichen Namens auftauchte, die 2004 mit "Still Open …" ein fantastisches Musterexemplar der Gattung Retro-Rock im Dreieck Led Zeppelin, Deep Purple und frühe Whitesnake veröffentlichte und in welcher der genauso fantastische Sartez Faraj (Abdulrahman) das Mikro schwang und sich umgehend für Siena Root empfahl, bevor er letztlich bei Three Seasons seine Heimat fand. Olle Frodin verlor übrigens bei einem schweren Unfall 2002 einen Arm und trommelt trotzdem seitdem auf mehreren Hochzeiten, unter anderem in seiner aktuellen Metal-Band Mayhem In Bedlam.

Er gibt aber auch auf "Songs From The Wasteland" stoisch den Beat vor, auf dem sich Neu-Tieftöner Johan Myrberg elastisch ausbreitet, während Saiten-Meister Englund so stark wie nie seine Slide-Künste in die Waagschale wirft und das aktuelle Werk damit deutlich in Richtung amerikanischer Süden schiebt. Die Band höchstpersönlich gibt als ihre Leit-Koordinaten altvordere Koryphäen wie Mountain, Bachman Turner Overdrive, Lynyrd Skynyrd, ZZ Top, Deep Purple und Steppenwolf an und verkündet ganz ohne falsche Bescheidenheit, hiermit das wahrhaftigste Classic-Rock Album des Jahres abzuliefern.

Und tatsächlich, nachdem früher eher die Zwischenräume von Led Zeppelin und (Früh)Deep Purple ausgelotet wurden, klingt das aktuelle Ergebnis eher nach einer Trauung von Leslie Wests Mountain mit Southern Rock auf Koffeinschock.
Das wiederum liegt nicht nur an den genialen und mitunter bleischweren Saitensprints mit Röhrchen, jubilierenden Soli und amtlichen Dampfwalzenriffs, sondern zuvorderst an Rostkehle Jocke Eriksson, der sich jetzt – warum auch immer – Jake E. Rich nennt und im Laufe der Jahre dem Organ von Leslie West immer näher gekommen ist … und nicht nur dem, auch so kernigen Protagonisten vergangener Zeiten wie John Kay von Steppenwolf oder C.F. 'Fred' Turner von BTO kann er mittlerweile locker die Reißnägel reichen. Das ist neben der hervorragenden instrumentalen Performance ein absolutes Pfund für diese Schweden, um im Dickicht der vielen gleichgesinnten Bands nicht unsichtbar zu bleiben.

Ein weiteres Pfund ist die Hinwendung zu eher kompakten, auf den Punkt kommenden Kompositionen, die in ihrer Heavy-Blues-Hard-Southernrock-Umsetzung gewaltigen Alarm machen, wobei lediglich der "Righteous Man" zum Verschnaufen einlädt. Der Einstieg "Got My Mojo" lässt gar etwas die aktuellen AC/DC durchschimmern. "Temporary Salvation" ist explizit Goldy McJohn gewidmet, Gründungsmitglied von Steppenwolf und Hammond B3-Pioneer im Frühzeit-Heavy-Rock. Aber nicht nur hier lässt es Neu-Hammond-Magier Rolph Guru (nettes Pseudonym!) amtlich wabern, brüllen und fauchen. Die Amerikanisierung im Sound von Mouth Of Clay ist aber schon allein deshalb kein Zufall, weil ihr neues Album auf dem amerikanischen Kleinstlabel JIB Machine Records erschienen ist und ebenfalls in Übersee gemastert wurde.

Fazit:
Ein Fest für Alt- und Neurocker, die sich an amerikanisierten Retro-Rock-Sounds mit Blues-Einschlag, gesunder Härte und Südstaatengrundierung erfreuen können und eine Katastrophe für die Generation 'Computergestützte Musikproduktion', für hippe Indie-Progressiv-Nerds, 'Am-Puls-der-Zeit-Fetischisten', E-Gitarrenallergiker … und für den Sprössling des Rezensenten, der ganz allgemein Musik null abgewinnen kann. Sachen gibt’s!


Line-up Mouth Of Clay:

Jake E. Rich (vocals, guitar)
Hawkan Englund (lead, slide & rhythm guitars)
Olle Frodin (drums)
Johan Myrberg (bass)
Rolph Guru (Hammond & percussion)

Tracklist "Songs From The Wasteland":

  1. You’ve Got My Mojo (3:30)
  2. Highwater (3:55)
  3. Hard Times (3:19)
  4. Blood Is Thicker (4:41)
  5. Light Me Up (3:37)
  6. Temporary Salvation (5:26)
  7. Gotta Let Me Go (3:42)
  8. Righteous Man (4:55)
  9. To Die Another Day (3:34)
  10. Lady Of The Lake (4:07)
  11. The Ruined Rest Of Me (4:28)
  12. Foxy Lola (3:21)

Gesamtspielzeit: 48:43, Erscheinungsjahr: 2020

 

 

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

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