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Phil Lynott’s Grand Slam / Slam Anthems – 6CD-Review

Phil Lynott's Grand Slam - "Slam Anthems" - 6-CD-Box-Review

Auf die Geschichte von Thin Lizzy in diesem Review noch weiter und tiefer einzugehen ist nach der bescheidenen Meinung des Rezensenten nicht unbedingt erforderlich, da dies an zig anderen Stellen, unter anderem hier bei uns in RockTimes, bereits ausführlich getan wurde. Fakt ist jedoch, dass die Band ihr letztes Konzert am 4. September 1983 spielte und anschließend auseinander brach. Der Frontmann und Hauptkomponist Phil Lynott hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Soloalben ("Solo In Soho" von 1980 sowie "The Philip Lynott Album" aus dem Jahr 1982) veröffentlicht und stellte im Herbst 1983 zunächst eine Solo-Band mit den Ex-Lizzy-Musikern John Sykes und Brian Downey, dazu Mark Stanway (Ex-Magnum) an den Keyboards und Doish Nagle an der Rhythmus-Gitarre zusammen, um auf Tour zu gehen. Downey stieg jedoch sehr schnell aus persönlichen Gründen wieder aus (für ihn kam Ronnie Brennan) und John Sykes nahm ein Angebot von Whitesnake an. Der neue Mann für die Lead-Gitarre war dann Laurence Archer.

In den letzten Monaten des Jahres 1983 entwickelte sich aus Lynotts Soloband dann die neue Combo Grand Slam, die nur etwas mehr als ein Jahr existierte und die von Cleopatra Records nun noch einmal mit der mir vorliegenen 6-CD-Box "Slam Anthems" gewürdigt wurde. Hört man sich das Material der ersten CD (deren Songs wohl das Debütalbum dargestellt hätten) an, kann man eigentlich nur fassungslos den Kopf schütteln, dass es Grand Slam nicht schafften, einen Plattenvertrag zu ergattern. Eigentlich schon selbstverständlich, dass diese Band einen anderen Sound hatte, dazu war sie über Strecken auch nicht mehr ganz so rockig wie Lizzy, aber hier ist unverkennbar hohe Qualität am Start. Was nicht nur die Kompositionen, sondern auch die Musiker betrifft.

Eröffnet wird dieses Erlebnis von dem flotten "Breakdown", einem coolen Rocker, der aber auch deutliche Zugeständnisse ans Keyboard macht. Die vielleicht beste Nummer schließt sich mit dem rockigsten Stück, "Crazy", an. Hätte locker auch den (mindestens) letzten vier Studioalben von Thin Lizzy alle Ehre gemacht. Mit "I Still Think Of You" sowie "Crime Rate" folgen dann zwei etwas schwächere Tracks, wobei nicht vergessen werden darf, dass sich diese Songs alle noch im Demo-Zustand befanden, sprich noch gar nicht 'fertig' waren. Im Anschluss geht es dann allerdings bärenstark mit "Dedication" (das auch schon auf ein 'Best of…'-Album von Lizzy genommen wurde) sowie "Military Man" (das Lynott 1985 auch nochmal mit Gary Moore aufnahm) weiter. Und auch im weiteren Verlauf überzeugen Rocker der Marke "I Don’t Need This", "Nineteen" und "Hot’n’Spicy" (mit seinem gar an Motörhead erinnernden Gitarren-Riff) sowie ruhigere Stücke wie das fantastische "Sisters Of Mercy" oder "Harlem" auf ganzer Länge. Ein großartiges Album also, das Mitte der Achtziger schlicht und ergreifend kein einziges Label veröffentlichen wollte.

Ab der zweiten CD stehen gleich vier Silberlinge mit Live-Material an, wobei auf CD 2 wohl noch der Gitarrist John Sykes (sowie möglicherweise Brian Downey?) zu hören ist. Wie auch bei den anderen hier beinhalteten Shows stellte die Set-List eine Mischung aus Lynotts Soloalben, ein paar Thin Lizzy-Songs sowie auch neuem Grand Slam-Material dar. Mit CD 3 geht es ins Jahr 1984 und zu Laurence Archer als Lead-Gitarrist auf die Bühne. Um nochmal auf die Set-Lists zurückzukommen, so variieren vor allem die Lizzy-Songs sowie die der Soloalben, während Grand Slam-Stücke wie beispielsweise "Nineteen", "Crime Rate" "Sister Of Mercy" oder "Dedication" scheinbar immer gespielt wurden und somit mehrfach vertreten sind, wie auch der Gary Moore-Song "Parisienne Walkways". Die Soundqualität der Live-CDs schwankt etwas und entspricht natürlich nicht einem Hochglanz-Produkt. Dennoch sind alle vier Rundlinge sehr gut anhör- und genießbar.

Richtig spannend wird es dann nochmal mit der sechsten CD, auf der sich – im Gegensatz zu CD 1, die für diese Veröffentlichung klangtechnisch überarbeitet wurde – die damals von der Band eingespielten Demos befinden. Hier zu finden sind – abzüglich "Dedication" und "Sarah" – die bereits bekannten Tracks, dazu kommen das in den Strophen "Dancing In The Moonlight"-ähnliche "Gay Boys", das sehr modern nach den Achtzigern klingende (aber mit guter Gitarrenarbeit versehene) "She Cries" und das abschließende "Slam". Eine kleine Überraschung stellt das Medley "A Whiter Shade Of Pale"/"Like A Rolling Stone" dar, das zwar nicht essenziell ist, aber als Bonus sehr gerne mitgenommen wird. Insgesamt ist der Sound hier etwas rauer, aber dennoch im durchaus 'Grünen Bereich'. Grand Slam spielten ihr letztes Konzert am 7. Dezember 1984.

Bootlegs von Studio- und Live-Aufnahmen von Grand Slam kursieren in sehr unterschiedlicher Sound-Qualität bereits seit den achtziger Jahren und auch die in dem reviewten Set enthaltenen Aufnahmen sind sicherlich alle schon mal zu haben gewesen. Die Stärke dieser Box ist, dass sich alle hier vertretenen Aufnahmen klanglich von gut (CD 1) bis befriedigend (CDs 2 bis 6) bewegen und man diesbezüglich schon mal nicht abgezockt wird. Außerdem haben wir es mit einem Stück Zeitgeschichte zu tun und selbst, wenn man im weltweiten Netz immer wieder negative Stimmen hinsichtlich der Band lesen kann, beziehen sich diese fast immer auf direkte Vergleiche mit Thin Lizzy. Dass Grand Slam – abgesehen vom Songwriting und Gesang – eben nicht wie Lizzy klangen, sollte hingegen als selbstverständlich angesehen und muss positiv bewertet werden. Denn sich selbst zu kopieren ist noch nie gut gegangen.

Wie bereits weiter oben ausgeführt ist es schwer zu begreifen, dass Grand Slam Zeit ihres Bestehens keinen Plattenvertrag an Land ziehen konnten. In den Liner Notes bleibt deren Verfasser Dave Thompson ebenfalls nur die Spekulation, dass sich Phil Lynotts Vorliebe für ungesunde Pulver sowie Getränke zum damaligen Zeitpunkt bis in die Chef-Etagen der Labels rumgesprochen hatte und diese den Frontmann deshalb nicht mal mehr mit der sprichwörtlichen Kneifzange anfassen wollten. Phil Lynott selbst hat das damalige Scheitern von Grand Slam und obendrein seine Nicht-Berücksichtigung für das im Sommer 1985 stattgefundene Live Aid-Festival (dessen Organisatoren Bob Geldof und Midge Ure [unter anderem Ex-Ultravox] er von Beginn ihrer Karriere an immer unterstützt hatte] persönlich schwer getroffen. Für Januar 1986 waren tatsächlich bereits Sessions für eine Thin Lizzy-Reunion in der Besetzung Lynott/Scott Gorham/John Sykes/Brian Downey gebucht, zu denen es aber nicht mehr kam. Nachdem Lynott an Weihnachten 1985 zusammengebrochen war, erlag er am 4. Januar 1986 im Alter von nur 36 Jahren einem akuten Leber- und Nierenversagen in Verbindung mit einer Lungenentzündung.


Line-up Phil Lynott’s Grand Slam:

Phil Lynott (bass, lead vocals)
John Sykes (guitar – CD 2)
Laurence Archer (guitars – CD 1,3-6)
Doish Nagle (guitars – CD 1-6)
Mark Stanway (keyboards)
Ronnie Brennan (drums)

Tracklist "Slam Anthems":

CD 1 – "2022 Remixes":

  1. Breakdown
  2. Crazy
  3. I Still Think Of You
  4. Crime Rate
  5. Dedication
  6. Military Man
  7. Look In These Eyes
  8. Harlem
  9. I Don’t Need This
  10. Sisters Of Mercy
  11. Nineteen
  12. Hot’n’Spicy
  13. Sarah

CD 2 – "Orebro 1983":

  1. Yellow Pearl
  2. Old Town
  3. Sarah
  4. A Night In The Life Of A Blues Singer
  5. Look In These Eyes
  6. Parisienne Walkways
  7. Solo In Soho
  8. King’s Call
  9. Baby Drives Me Crazy
  10. The Boys Are Back In Town
  11. Still In Love With You

CD 3 – "Lifford 1984":

  1. Nineteen
  2. Yellow Pearl
  3. Sarah
  4. Parisienne Walkways
  5. Crime Rate
  6. Young Boy
  7. A Night In The Life Of A Blues Singer
  8. Cold Sweat
  9. Dear Miss Lonely Hearts
  10. Whiskey In The Jar

CD 4 – "London 1984":

  1. Nineteen
  2. Sisters Of Mercy
  3. Crime Rate
  4. Military Man
  5. Dedication

CD 5 – "Great Yarmouth 1984":

  1. Yellow Pearl
  2. Nineteen
  3. Harlem
  4. Parisienne Walkways
  5. Cold Sweat
  6. Sisters Of Mercy
  7. Crime Rate
  8. Military Man
  9. Dedication

CD 6 – "Demos":

  1. Nineteen
  2. Crime Rate
  3. Crazy
  4. Sisters Of Mercy
  5. A Whiter Shade Of Pale/Like A Rolling Stone
  6. Military Man
  7. Hot’n’Spicy
  8. I Don’t Need This
  9. Harlem
  10. I Still Think Of You
  11. Gay Boys
  12. Breakdown
  13. Look In These Eyes
  14. She Cries
  15. Slam

Gesamtspielzeit: 61:40 (CD 1), 67:51 (CD 2), 48:56 (CD 3), 32:10 (CD 4), 51:53 (CD 5), 72:42(CD 6), Erscheinungsjahr: 2023 (1983, 1984)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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