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Porcupine Tree / Closure/Continuation – Digital-Review

Porcupine Tree / Closure/Continuation - Digital-Review

»Ich bin dann mal weg«. Das könnte sich Mastermind Steven Wilson gedacht haben, als sich Porcupine Tree 2010 auflösten. Über eine Dekade waren sie von der Bühne verschwunden, um sich 2021 offiziell neu zu formieren. Gefühlt waren sie jedoch immer da. Das traf auf eine Band zu, die so etwas wie ein Markenzeichen und stets eng mit dem Begriff Progressive Rock verbunden war. Zumindest auf den ersten Blick. Genau genommen steht das ursprünglich 1987 von Steven Wilson gestartete Ein-Mann-Projekt für eine Reihe von Stilrichtungen. Neben seinem Pop-Duo No-Man, das im Art Pop verankert war, suchte er ein Ventil für experimentelle Aufnahmen. In den frühen 1990er Jahren wuchsen Porcupine Tree zu einer vollwertigen Band heran.

Über die Jahre hinweg entwickelte sich das Trio weiter, während sich ihre Musik weg vom Psychedelic Rock über elektronische Klangwelten hin zu experimentellem Pop und schließlich bis hin zu Classic Rock sowie zu treibendem, eigenwilligen Metalsound veränderte. Auf ihren späteren Alben kombinierten Porcupine Tree all diese Genres und konnten so ein ganz eigenes musikalisches Universum besetzen.

Das macht sie so einzigartig und das hat der Gruppe eine große Schar Fans beschert. Auf dem neuen Album "Closure/Continuation" zeigen sie ihre stetige Weiterentwicklung auf zehn Tracks. Nach uns vorliegenden Informationen des Labels Music For Nations/Sony Music umfasst die Standard Edition sieben Stücke, zehn sind es auf einer Deluxe-Version. Es ist bereits ihr elftes Studioalbum. Aufgrund der langen Pause liegt das 2009 erschienene "The Incident" dreizehn Jahre zurück.

Es ist eine Freude, die Produktion anzuhören, gleicht doch kaum eine Komposition der anderen, während der Facettenreichtum an Klängen geradezu einzigartig ist. Die sprichwörtliche Melodiearbeit und die hohe Detailverliebtheit, die nicht nur die Instrumentalität, sondern auch die Songstruktur umfassen, ist in dieser Form wohl ohne Beispiel. Mit diesem Album im Gepäck gehen Porcupine Tree ab September durch Nord- und Südamerika sowie Europa auf Tour. Es werden die ersten Shows der Band seit Oktober 2010 und voraussichtlich die einzigen Konzerte zu "Closure/Continuation" sein, heißt es von ihrer Plattenfirma weiter. Der Heißhunger ihrer Fans wird ungebrochen sein. Sie werden auch sagen, dass es wichtig ist, dass ihre Idole endlich wieder präsent sind. Genau so charakteristisch wie ihre Musik sind die Texte: Ob es aktuelle Entwicklungen in der Politik oder der Gesellschaft, aber auch im Musikgeschäft sind – der Drang, Meinung zu aktuellen Themen zu beziehen, macht um "Closure/Continuation" ebenfalls keinen Bogen.

"Rats Return" zum Beispiel ist eine moderne Horrorstory. Sie erzählt von Demagogen, die tagein, tagaus die Funkwellen verschmutzen. Im Zentrum des von Ricky Allen gedrehten Musikvideos steht eine während des Kalten Krieges angesiedelte Quizshow, moderiert von einem mordlüsternen, despotischen Sadisten. Musikalisch bleibt kein Augen trocken, denn Steven Wilson & Co. zeigen uns, was auf einem Album alles möglich ist. Das reicht von der donnernden Bassline auf dem Opener "Harridan" über die elektronischen Texturen von "Walk The Plank" bis zur träumerischen Akustik von "Dignity". "Herd Culling" überzeugt mit dem kompletten Spektrum des Progressive Rock: Atmosphärisch und dynamisch, genauso wie auf dem erwähnten "Rats Return". Bei "Of The New Day" geht mir die britische Pop-Rock-Band Coldplay nicht aus dem Kopf. Solche Klangmuster gehören aber zu Porcupine Tree wie Progressive Rock.

Spätestens hier wird deutlich, was mit dem Anspruch des Experimentierens gemeint und möglich ist. "Chimera’s Wreck", das mit 9:40 Minuten längste Werk, das auf beiden Editionen enthalten ist, ist für mich unumstritten der Favorit Nummer eins. Hier geht es gar nicht so sehr um eine Stilrichtung. Der Spannungsaufbau von verhalten und ruhig hin zu einem rasenden Strudel im Finale lässt einen sprachlosen Hörer zurück. "Closure/Continuation" ist vorausdenkende Rockmusik mit einem zeitlos schönen Anstrich. Freuen wir uns über die Rückkehr einer der innovativsten und einflussreichsten Bands Großbritanniens.


Line-up Porcupine Tree:

Steven Wilson (vocals, guitars, bass, keyboard)
Richard Barbieri (keyboards, sound design)
Gavin Harrison (drums).

Trackliste "Closure/Continuation ":

  1. Harridan (08:08)
  2. Of The New Day (04:43)
  3. Rats Return (05:40)
  4. Dignity (08:22)
  5. Herd Culling (07:03)
  6. Walk The Plank (04:27)
  7. Chimera’s Wreck (09:40)
  8. Love In The Past Tense (Bonus Track) (5:50)
  9. Never Have (Bonus Track) (05:08)
  10. Population Three (Bonus Track) (06:52)

Gesamtspielzeit: 65:53, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

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