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Ted Nugent / Double Live Gonzo! – DCD-Review

Ted Nugent / Double Live Gonzo!

Ach, du liebe Zeit, Ted Nugent. Ist das nicht der irre exzentrische Typ aus Motor City Detroit?
Allerdings. Ja, The Nuge war immer ein bisschen wahnsinnig, seine Auftritte wild und legendär, seine Aussagen polarisierten die Welt. Klingt ein bisschen nach dem Rebellentum, für das der Rock’n’Roll einmal stand, oder?

Darum werde ich mich einen Teufel scheren, um die Frage politischer Korrektheit dieses Gitarren-Virtuosen zu bewerten und statt dessen einfach ein paar Blicke auf sein Live-Album von 1978 werfen, "Double Live Gonzo!" – ein veritables Meisterwerk und sicher eine der besten harten Rockscheiben ihrer Zeit.

Die Musik, die Ted Nugent hier mit seiner bestens eingespielten Truppe auf die Bühne brachte, ist pures Adrenalin. Mehr noch, es ist eine Testosteron-Bombe, Musik gewordenes Potenz-Gebaren. Die Psychologen behaupten ja eh immer, dass besonders die klassische Rock-Gitarre ein typisches Phallus-Symbol darstellt. Glücklicherweise muss ich mir um so ein Zeug keine Gedanken machen, ich kann nur sagen, dass die Songs auf "Double Live Gonzo!" schweinemäßig abgehen, hier wird gerockt bis der Arzt kommt. "Just What The Doctor Ordered" lautet denn auch beziehungsreich der erste Titel, der nebenbei gleich klar macht, dass es heute Abend keine Gefangenen geben wird.

Und "Yank Me, Crank Me" ist ein Musterbeispiel, wie man Spannung und Intensität aufbaut, Ted war ein Meister seines Fachs und konnte die Massen elektrisieren mit seinem technisch brillanten und antörnenden Spiel.

Einer der größten Hits, wenn man das so nennen darf, stellt der "Great White Buffalo" im Portfolio des Tud Nugent dar, so etwas wie ein Statement für die amerikanischen Ureinwohner. Der Song hat alles, was diese Musik so unverwechselbar macht. Krachende Riffs, einen geilen rhythmischen Unterbau, der immer wieder gerne eskaliert. Die Gitarrenlinien scheinen irgendwie aus den frühen Tagen des Rock’n’Roll befruchtet zu sein, entwickeln sich aber im Verlauf der Songs von Hard Rock fast schon in die Nähe zum Metal. Eingebremste Breaks nehmen den Zuhörer für ein paar Momente an die Hand, nur um ihn kurz darauf mit den nächsten Salven genialer Licks und mit einer perfekten Umsetzung von Intensität in die Wolken zu schießen. Virtuose Intros und Outros gehören ebenso zum Programm und zeigen die Virtuosität des Saitenzauberers.

Dass Dehnung und Streckung zwei fundamentale Merkmale einer auch körperlich mitreißenden Gitarrenmusik sein sollten, weiß eigentlich jeder, der sich solchen Einflüssen hingibt. Und Ted Nugent treibt diese Erkenntnis in seinem legendären Instrumental-Kracher "Hibernation" auf fast schon perverse Weise auf die Spitze. Wie man hier weich geklopft und geknetet wird, bevor die Luzi überhaupt abgeht, ist einfach unbeschreiblich und wohl einzigartig in der Geschichte. Es empfindet sich fast wie eine Befreiung, wenn der Rhythmus und die zunächst noch braveren Hooklines ausschwärmen. Doch der Meister dreht die Daumenschrauben schon wieder an, das Solo nimmt immer mehr Fahrt auf. Ein locker entspannt treibendes Break gönnt eine kurze Verschnaufpause, nur um in einem Finale Furioso endgültig die dicke Sau rauszulassen. Der Ausklang hat dann vorübergehend fast zärtliche Attitüden. Dieser Winterschlaf ("Hibernation") ist ein Parforceritt auf dem Rücken eines Bisons inmitten einer Stampede, von Schlaf kann keine Rede sein bei diesem geilen Krach.

Nirgendwo stimmt das mit dem Ohrgasmus so zutreffend wie bei Ted Nugents Gitarrenspiel, diese Musik ist pure Sexualität. Haben die Psycho-Heinze am Ende doch recht mit ihren Phallus-Fantasien?

Doppel-CD und -LP nehmen einen gleichen Verlauf und so eröffnen beide Scheiben Nummer 2 mit "Stormtroopin'". Auch hier tobt Ted sich erst einmal genüsslich in seiner Eröffnung aus, bevor unter dem Klang von Schüssen aus was auch immer für einem Ballermann die Band einsetzt und einen dampfenden Rock-Sound aufbrüht. Das lange Solo ist umwerfend. Mal anhaltend gestreckt, ein wenig wie in "Hibernation" zuvor, doch dann in explosionsartige Licks, die scheinbar immer schneller und wilder ausschwärmen. Irgendwie scheint es in diesem Song immer nur nach vorn zu gehen, Volldampf ohne Unterlass. Eine schweißtreibende Angelegenheit vor und auf der Bühne, so viel ist klar. Und doch ist das nur die Vorstufe für meinen persönlichen Favoriten, der weniger auf Tempo und Wildheit setzt, sondern mit einer ganz besonderen Intensität aufwartet. Nun spielen sie "Stranglehold", elf Minuten dauerhafte Gänsehaut. Hier zeigt Ted Nugent, dass er neben ausgeflippter Wildheit und halsbrecherischer Fingerfertigkeit eben auch subtilere Spannungsbögen anschlagen kann. Er spielt mit Stimmungen und setzt Kontrapunkte, die einem die Schuhe ausziehen. Dieses Solo löst den Hörer ganz langsam in seine Moleküle auf, etwas, was sonst eigentlich nur die Psychedeliker wirklich zu tun verstehen.

"Stranglehold", der Würgegriff. Nirgendwo passt die Titelgebung besser als hier. Die unglaubliche emotionale Tiefe dieser mitreißenden und doch eigentlich so einfachen Musik hat mich im Griff, lässt mir kein Entkommen, keine Sekunde, um Luft zu holen. Um die Psychologen noch einmal zu bemühen: Dieser Song muss irgendwelche Urtriebe zwischen Sadismus und Masochismus freilegen, vielleicht wirkt er ja gerade deshalb so nachhaltig? "Stranglehold" ist ein unfassbar geiles Stück, mit einer Gitarre, wie man sie nur selten zu hören bekommt.

Zum Schluss präsentiert Ted Nugent jenen Song, der für ihn Programm zu sein scheint: "Motor City Madhouse". Er, The Nuge, The Madboy aus Detroit outet sich und seine Herkunft. Das Tempo ähnlich einem überdrehten Boogie und die hypnotisch wiederholte Botschaft »it’s a madhouse« eignen sich auch stimmungsmäßig perfekt als Rausschmeißer. So wird die Nummer jam-artig in die Länge gezogen, um das Publikum in Dallas, Texas noch einmal mächtig auf Touren zu bringen. Wenn man die grölende Menge im Hintergrund hört, weiß man, dass es gepasst hat. Ein letztes Mal setzt Ted seine außergewöhnlichen Fingerfertigkeiten ein, dann enden 85 Minuten abgefahren wilder Rockmusik.

Die Aufnahmen wurden 1976 und 1977 bei diversen Konzerten in den Staaten mitgeschnitten und das Album erreichte im Erscheinungsjahr Platz 13 in den Billboard Charts.
Wenn man die Erfindung des klassischen Rock’n’Roll logisch und konsequent weiterdenkt und mit der nötigen Härte und Konsequenz verfolgt, dann muss man zwangsläufig bei einer Musik wie der von Ted Nugent landen. Harter Rock bis an die Grenze zum Metal, ein bisschen Blues und Boogie, gnadenlos geradeaus und dabei einzig und allein für den Bauch gedacht. Musik mit Eiern eben, wenn man das so sagen darf.

Aber bitte das Anschnallen vor dem Auflegen der Platte nicht vergessen.


Line-up Ted Nugent:

Ted Nugent (guitar, vocals)
Derek St. Holmes (rhythm guitar, vocals)
Rob Grange (bass)
Cliff Davies (drums, backing vocals)

Tracklist "Double Live Gonzo!":

CD 1:

  1. Just What The Doctor Ordered
  2. Yank Me, Crank Me
  3. Gonzo
  4. Baby, Please Don’t Go
  5. Great White Buffalo
  6. Hibernation

CD 2:

  1. Stormtroopin'
  2. Stranglehold
  3. Wang Dang Sweet Poontang
  4. Cat Scatch Fever
  5. Motor City Madhouse

Gesamtspielzeit: 43:06 (CD 1), 41:38 (CD 2), Erscheinungsjahr: 1978 (Originalversion DLP)

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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