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The Automatic Blues Inc. / Rock’N’Blues – LP-Review

The Automatic Blues Inc. / Rock'N'Blues

Kennt ihr das? Da hat man eine Platte, die keiner im Bekanntenkreis kennt. Eine Platte, über die man lange Zeit nichts erfuhr. Weder Bandmitglieder, andere Alben, ja gar im Laden konnte man das Teil nicht mehr kaufen. Weg, keine Infos. Nur die Schallplatte stand zu Hause im Regal und die wurde genudelt. Und auch heute, Jahrzehnte später, ist dieses Teil immer noch gern gehört. Allerdings nun auf CDR, denn die Original-LP ist 'fertig'. Irgendwann vor Jahren, als das Internet Einzug gehalten hatte und sich die Seiten so langsam füllten, bin ich auf ein sehr gut erhaltenes Exemplar gestoßen, habe es erworben und dann auf einen Rohling gebrannt.

Und das alles wegen einer Scheibe aus der Grabbelkiste, die man früher vor den verschiedensten Läden fand. Ich glaub, es war noch nicht mal ein Schallplattengeschäft, das diese Wühltische mit allerlei Obskurem vor der Schaufensterfront stehen hatte. Und dann das Label: Europa. Diese Firma ist bekannt für Hörspiele, Märchen und eben auch namenlose Bands auf billigen Platten. Genau die bereits angesprochene Grabbelkistenfüllung also.

Das Cover jedenfalls erregte meine Aufmerksamkeit: zwei coole Typen, ’ne Harley und der Albumname Rock’N’Blues. Das Ganze wahrscheinlich für schülertaugliche 1,99 – oder 2,99 DM (für die jungen Leser: DM bedeutet Deutsche Mark und das war eine harte Währung, Gott hab sie selig).
Heute weiß ich, wieso es so schwer war, Infos über The Automatic Blues Inc. mit dem Leadsänger Jerry Blow zu finden: Ich hab das Pferd von der falschen Seite gesattelt.

Jerry Blow ist ein Alias, wie auch Tony, Toni Tornado oder Tony Oberdörffer. Der richtige Name des Künstlers lautet Manfred Oberdörffer und das ist ein 1944 in Hamburg geborener Schlagersänger! Zumindest war er das im späteren Verlauf seines Schaffens, als er mit Titeln wie "Mädchen mit roten Haaren", der deutschen Version von "Dynamite Woman" (Sir Douglas Quintet) oder "Der nächste Sommer kommt bestimmt" auch in der "ZDF-Hitparade" zu sehen war. Nur eben nicht von mir. Und selbst wenn, der gute Dieter hätte mit Sicherheit nichts von einem Jerry Blow erzählt. Ich konnte also lange nach diesem Jerry mit der Harley und der farbigen Schönheit suchen.

Bevor Manfred sich auf Schlagermusik verlegte, war er als Beat- und Rocksänger mit den Tonics unterwegs. Von dieser Truppe gibt es zumindest eine LP beim Label Bear Family Records. Auf der Labelseite heißt es: »Sie waren bis ungefähr 1970 Deutschlands unangefochtene Pseudonym-Band Nr. 1: Ravers, Pick-Ups, Movers, Soho Gamblers, (Pop) Spots, Phil Morris & His Beat Tigers und rund zwei Dutzend andere – immer wieder findet man auf rund 30 (!) verschiedenen Labels Billig-Langspielplatten und EPs mit nachgespielten Hits dieser Gruppen, und immer steckten die Hamburger Tonics dahinter.«

Bei den Tonics gab es jede Menge Besetzungswechsel und ob Manfred Oberdörffer auf Musiker aus dieser Formation für das Line-up von The Automatic Blues Inc. zurückgriff, ist mir nicht bekannt. Einer der bei den Tonics die Gitarre bediente, war auf jeden Fall Helmuth Franke und den kennen wir von Wonderland. Manchmal ist die Welt eben klein, aber sie hütet auch ihre Geheimnisse, wie in meinem Fall die Namen der Musiker neben Manfred Oberdörffer auf vorliegendem Album.

Die Songs auf dem Album sind ganz hervorragend in Szene gesetzt, will sagen, die Musiker verstehen ihr Handwerk und wieso Jerry Blow, mit dieser Stimme gesegnet, das Fach wechselte, weiß nur der, der nach den Kühen auch den Metzger schuf. Die Mischung aus Rock und Blues mit den gekonnten Prisen Blues’n’Roll, Soul, sowie R&B macht es fast unmöglich, die Scheibe zu unterbrechen. Es ist einfach alles immer im Fluss und man meint, alte Bekannte zu hören. Jedenfalls kommen einem die Tracks so vor. Das ist im Fall des (falsch geschiebenen) "Natural Born Bugie", als auch bei "Green River" sofort klar. Das war mir damals nach dem Plattenkauf bereits bewusst, dass da Humble Pie und Creedence Clearwater Revival die Credits haben. Marriot und Fogerty sind auch namentlich erwähnt – neben Jerry Blow allerdings!

Alle anderen Nummern nennen als Urheber lediglich Jerry Blow und das ist bei mindestens drei Stücken nicht korrekt. So kenne ich (heute) "The Cuckoo" von Gallagher und Townes Van Zandt. Viele andere haben dieses englische Traditional ebenfalls gespielt. "Backwater" heißt eigentlich "Backwater Blues" und stammt aus der Feder von Leadbelly. "Bottle Up.And Go" kenne ich als Interpretation von John Lee Hooker (allerdings mit anderem Text). Wahrscheinlich würden Recherchen auch bei den restlichen Songs ergeben, dass anstelle von Jerry Blow andere Namen hinter den Lieder stehen müssten.

Sei’s drum, erstens geht es darum, diese mich seit Jahrzenten begleitende Platte vorzustellen und zweitens, die Automatic Blues Inc.-Interpretationen toppen die mir bekannten, anderen Versionen auf jeden Fall.

Falls einer von euch, liebe Leser, weiß, wer auf "Rock’N’Blues" so alles mitspielt, oder wenn jemand alle Orginalinterpreten kennt, würde ich mich über einen Kommentar freuen. Vielleicht findet sich sogar jemand, der damals an der Grabbelkiste auch nicht widerstehen konnte.


Line up The Automatic Blues Inc.

Jerry Blow (lead vocals)
(Andere Musiker sind nicht bekannt)

Tracklist "Rock’N’Blues":

Seite 1:

  1. Natural Born Bugie
  2. Genoveva For Ever
  3. Get It
  4. Lana
  5. The Cuckoo
  6. Mean Mistreater

Seite 2:

  1. Green River
  2. Driver
  3. The New Car
  4. Backwater
  5. Chicken Race
  6. Bottle Up And Go

Gesamtspielzeit: 33:11, Erscheinungsjahr: 1970

Über den Autor

Ulli Heiser

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8 Kommentare

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  1. Horst Weitzel

    Hallo Ulli,
    ich bezeichne mich als passiven Altrocker (passiv, weil ich nie selbst gespielt habe, alt, weil Jahrgang 1955). Ich wollte ’n paar Infos zur 'Automatic Blues Inc' suchen und bin dabei auf Deine Seite gestoßen. Dabei muss ich jetzt mal den Klugscheißer raushängen lassen:
    Der Opener auf der Automatic Blues-Platte ist schon richtig geschrieben. Humble Pie hat auf Immediate seiner Zeit zwei Singleversionen des Titels rausgebracht. Auf der einen mit 'I’ll go alone' auf der Flip Side hieß der Titel 'Natural Born Woman'. Die andere mit dem grauenhaften 'Wrist Job' auf der B-Seite (das durchgenudelte Original steht bei mir immer noch im Plattenregal) hatte als A-Seite 'Natural Born Bugie'.

    So, und jetzt lass uns wieder rocken.

    Ich wünsche eine gute Zeit
    Horst Weitzel aus Frankfurt (dem mit den Banken)

    1. Ulli Heiser

      Hallo Horst,

      Danke für deine Nachricht, das mit dem Bugie war mir unbekannt.

      Rock on

      Ulli

  2. Roland Fricke

    Hallo Ulli,

    danke für diese Info! Dieses war meine erste LP überhaupt und ich finde die noch immer genial. Leider habe ich nur einen schwachbrüstigen Rip der LP. Gibt es irgendwo eine CD oder einen hochwertigeren Rip zu erwerben?

    Danke und Gruß

    Roland

  3. Wofgang Wegner

    Hallo Uli,
    jo das ist eine ganz tolle Pladde. Ist auch wieder in meiner Sammlung und ich höre sie immer noch sehr gerne.
    Als 11 Jähriger habe ich mir das teil für wenig Geld gekauft. Das Cover, die coolen Typen, die Harley auf den Cover…der Titel "Rock’N’Blues" das hat mich angesprochen und ich bin nicht enttäuscht worden. Das Exemplar war irgendwann hin und ich habe mir Jahre später…im Internet Zeialter das Teil wieder gekauft. Die Pladde is mir nie aus den Kopf gegangen.

    Gruß Wolfgang

  4. Armin Greither

    Armin

    Die Scheibe höre ich gerade auf youtube. Klasse und vielen Dank für die Beschreibung.

    1. Ulli Heiser

      Hallo Armin,

      Schön, dass dir die Scheibe zusagt. Apropos schön, bist du der Armin mit den tollen Bildern?

  5. Manni

    Das Cover ist an das der "Fantastic Expedition of Dillard & Clark" angelehnt, auf sich die beiden einen Joint reichen. 😉

    Fantastic Expedition

    1. Ulli Heiser

      Tatsächlich 🙂

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